© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/18 / 30. März 2018

Der Flaneur
Spuren der Vorväter
Martin Böcker

Es ist leichter, wenn du die Schaufel unten ansetzt“, hat Opa gesagt, als das Kind ihm half, anderthalb Tonnen Koks in den Keller zu schaffen. Wie stolz es war, daß es für schwere Arbeit herangezogen wurde. Ohne diese Begriffe zu kennen, hatte es eine Idee von der Initiation und dem Übergang vom Jungen zum Mann. Und wer Kohlen schaufelte, wurde zum Mann, die schweren Hände und starken Arme des Kumpels und seine innere Selbstverständlichkeit deuteten sich im unausgesprochenen Selbstbild des kleinen Arbeiters an.

Heute ist das Kind ein Fluggast: leichte Hände, gesunder Rücken und tausend Möglichkeiten.

Doch es sollten die letzten anderthalb Tonnen gewesen sein, hat Opa dann auch gesagt, bald würde die neue Gasheizung kommen. Und wieder, ohne einen Begriff davon zu haben, geschweige denn, das Gefühl beschreiben zu können, spürte das Kind die Melancholie, wie sie einen beim Blick auf einen der vielen Zeitenwechsel erreicht, es ist halt so. Könnte man doch ein paar Minuten länger in der alten Welt bleiben, was wäre das schön.

Opa war Bergmann gewesen, hatte unter Tage gearbeitet, war mit der Kohle im Ruhrgebiet Teil einer monströsen Infrastruktur mit Hochöfen und Kühltürmen und Arbeiterstädten, feuerrot und aschengrau, die ganz andere, vielleicht noch schönere Zeiten verdrängt haben, wiesengrün und weizengelb, auch wenn man noch in die Erde ging, die eigene Erde, und von ihr lebte.

Er war ein unspektakulärer Mann gewesen, Katholik, Arbeiterhaus mit Garten, nie gereist, nur einmal mit Kolping nach Rom. Der Enkel hätte auch so werden können, wenn die Zeiten sich nicht ändern würden – tiefgläubig, mit der Erde verbunden, das grüne Idyll des kleinen Getriebes in titanischer Maschinerie von Kohle, Erz, Stahl. Aber der Weltmarktpreis, die Förderbedingungen. Dann kam das Gas.

Heute ist das Kind ein Fluggast: leichte Hände, gesunder Rücken, tausend Möglichkeiten. Und von denen muß eine, nur eine, ergriffen werden.