© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/18 / 06. April 2018

Ran an den Verhandlungstisch
Afghanistan: Die erstarkten Taliban zeigen sich gesprächsbereit, Kabul macht Zugeständnisse – reden will die Radikalmiliz aber nur mit Washington
Marc Zoellner

Eigentlich waren sie gekommen, um die Taliban aus Farah zu vertreiben, aus jener westlichsten der 34 Provinzen Afghanistans, die von Wüsten und blühenden landwirtschaftlichen Oasen geprägt ist – und seit je zum Kernland der radikalislamischen Miliz zählt.Doch die aus Kabul eingetroffenen Soldaten der Afghanischen Nationalarmee (ANA) fanden noch nicht einmal Zeit, ihre Waffen zu schultern, als sie bereits von einer Übermacht überrannt wurden. Zwei Dutzend Armeeangehörige starben während des Überfalls Mitte März, weitere wurden von Aufständischen in die nahen Berge verschleppt.

Es war der Beginn der Frühlingsoffensive der Taliban. Kurzzeitig, so mußte die Regierung in Kabul eingestehen, fielen nicht nur Waffen, gepanzerte Fahrzeuge sowie die Gebäude der lokalen Verwaltung in die Hände der Dschihadisten, sondern ebenso gleich mehrere Distrikte der umkämpften Provinz. Dies, obwohl die Armee bereits vorgewarnt war: Hatten doch erst zwei Wochen zuvor Taliban-Milizionäre in der gleichen Gegend einen Armeeposten überrannt und achtzehn Soldaten dabei getötet.

Taliban als politische Partei anerkennen? 

Von einer militärischen Niederlage der Taliban ist das Land spätestens seit dem Abzug der Isaf-Truppen im Januar 2015 in weitere Ferne denn je gerückt. Denn, so ergaben kürzlich veröffentlichte Studien des britischen Nachrichtensenders BBC, die Taliban kontrollieren derzeit erneut 40 Prozent des afghanischen Terrains – die Kabuler Zentralregierung jedoch gerade einmal noch 18 Prozent.

Für Ashraf Ghani, der seit 2014 die Amtsgeschäfte der südasiatischen Nation führt, Grund genug, um diesen Frühling erstmalig auch die Taliban an den Verhandlungstisch zu bitten. „Wir sind davon überzeugt, daß für alle Afghanen ein Leben in Frieden und gegenseitiger Achtung wiederhergestellt werden muß, einschließlich jener Taliban, welche die Gewalt hinter sich lassen“, erklärte Ghani Ende Februar in Kabul zum Auftakt einer neuen Verhandlungsrunde vor den Vertretern von 25 Einflußmächten – darunter Rußland und China, die eigenständige Kanäle zu den Taliban unterhalten. Ein Waffenstillstand solle ausgehandelt, die Taliban als politische Partei anerkannt und ein Prozeß zum Vertrauensaufbau eingeleitet werden.

Tatsächlich erklärten sich die Taliban Anfang März gesprächsbereit. In Anbetracht der massiven Zugeständnisse Kabuls auch kaum verwunderlich: Neben der – bisher verwehrten – Ausstattung der Milizionäre mit Pässen sowie der zivilen Wiederansiedelung ihrer Familien bot Ghani selbst den Taliban-kommandeuren an, von der Liste der internationalen Terroristen gestrichen zu werden. 

USA wollen Kabul nicht fallenlassen 

Doch spätestens in Ghanis Person als Verhandlungsführer scheiden sich die Geister unter den Mudschaheddin: In Taliban-eigenen Medien wird der afghanische Präsident stets nur als „Bürgermeister von Kabul“ betitelt. Vielmehr favorisieren die Taliban das direkte Gespräch mit ihrem eigentlichen Kriegsgegner, den Vereinigten Staaten.

Diese allerdings weisen die Offerte zurück. „Es liegt nun an den Taliban, dieses ernsthafte Angebot anzunehmen“, verkündete US-Außenamtssprecherin Alice Wells. „Die USA unterstützen dieses Friedensangebot und sind bereit zu vermitteln, doch wir können nicht als Ersatz für die direkten Gespräche dienen.“

Washington hat das Verhandlungsgewicht der Kabuler Regierung nur noch weiter geschwächt. Statt dessen, so kündigte Präsident Donald Trump nun an, wolle das Pentagon seine Truppenzahl in Afghanistan in diesem Sommer aufstocken. Nicht, um das Blatt im afghanischen Bürgerkrieg zu wenden – an diesen Umstand glaubt auch in Washington kaum noch jemand. Sondern einzig, um den militärischen Druck auf die Taliban zu verstärken, sich endlich ohne Vorbedingung an den Verhandlungstisch zu setzen.