© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/18 / 06. April 2018

Die Auftraggeber saßen im Kreml
Politische Giftmorde: In den sechziger Jahren wurden durch einen KGB-Überläufer Auftragsmorde gegen ukrainische Dissidenten aufgedeckt
Konrad Löw

Seit dem Giftanschlag auf Sergej Skripal steht die Frage im Raume der Weltöffentlichkeit: Wer sind die Täter, die unmittelbaren wie die mittelbaren? Der Verdacht der Haupttäterschaft fiel auch auf den Kremlchef Wladimir Putin. Doch dieser scherzte nur. Als beliebter Führer seines Volkes müßte er von Sinnen sein, würde er sich zu diesem Verbrechen bekennen. Die große Mehrheit seiner Wähler würde derlei höchstwahrscheinlich mißbilligen. Doch auch wenn der Mordversuch nicht optimal gelungen ist, da die „Waffe“ gleich ermittelt werden konnte, die Täter haben ihn so fein gesponnen, daß ihre Urheberschaft bislang wohl angezweifelt werden kann und mit einem kleinen Fragezeichen versehen in die Annalen eingehen wird. 

Es gab auch Auftragsmorde des Kreml, die einen anderen Verlauf nahmen. An zwei davon soll erinnert werden, weil sie in Deutschland zur Ausführung gelangten und hier auch zu Strafverfahren führten. Am 12. Oktober 1957 verstarb im Treppenhaus des Münchner Anwesens Karlsplatz 8 Lev Rebet, der Vorsitzende einer ukrainischen Emigrantenorganisation. Der Arzt entdeckte keinerlei Anzeichen eines gewaltsamen Todes und meinte, ein Herzversagen habe zu Rebets Tod geführt. Ein perfekter Mord?

Im Frühjahr 1959 verstarb wieder ein Exilukrainer in einem Münchner Treppenhaus, Stepan Bandera. Doch bei ihm hatte der Mord Spuren hinterlassen, Glasspuren im Gesicht und Zyanid im Magen. Also Mord! Doch vom Mörder fehlte jede Spur. In der Ostpresse hieß es, Bandera sei vermutlich im Auftrag des Bundesministers für Flüchtlingsfragen Theodor Oberländer ermordet worden, weil er über Kriegsverbrechen des nunmehrigen Bonner Ministers Bescheid gewußt habe. 

KGB-Überläufer gesteht die Giftmorde an Exilukrainern

Doch kurz vor Errichtung der Berliner Mauer, Anfang August 1961, wechselte ein junger Mann von Ost-Berlin in den Westen der Stadt und begab sich unverzüglich in den Machtbereich der amerikanischen Besatzer. Sein Name: Bogdan Staschynski, Russe, Jahrgang 1931, seit Jahren erzwungenermaßen für den Geheimdienst tätig. Nach dem „perfekten Mord“ an Rebet unterschrieb Marschall Kliment Woroschilow die Urkunde zum „Rot-Banner-Orden“, der Staschynski vom KGB-Chef Alexander Schelepin für seine „Großtat“ verliehen wurde. 

Nun legte er ein umfassendes Geständnis ab: Er habe nicht nur Bandera getötet, sondern auch Rebet – beide auf Befehl. Zu dieser tätigen Reue hätten ihn sein Mitleid mit den Hinterbliebenen und seine Ost-Berliner Braut veranlaßt. Auch seine ständige Überwachung zu Hause mit Wanzen und außer Haus auf Schritt und Tritt hätten dabei eine Rolle gespielt. Nun habe er seine einmalige Chance genutzt. Da das gemeinsame Kind gestorben war, durfte er zur Beisetzung reisen. Statt zur Beerdigung zu gehen, floh der KGB-Agent mit seiner deutschen Frau über die Sektorengrenze. 

Die Amerikaner übergaben ihn der bundesdeutschen Justiz, und der Fall Staschynski landete schließlich vor dem obersten Gericht in Strafsachen, dem Bundesgerichtshof. Wird er oder werden seine Auftraggeber wegen Mordes verurteilt, lautete eine brisante Frage, die damals unter Juristen heiß debattiert wurde.In der Urteilsbegründung steht: „Beide Attentate sind nach dem sicheren Ergebnis der Hauptverhandlung von sowjetischer ‘höchster Stelle’, zumindest auf Regierungsbasis (...) dem Angeklagten befohlen worden. Die Schuld der hochgestellten Taturheber ist dem Angeklagten nicht anzulasten. Andererseits hat Staschynski durch sein rückhaltloses Geständnis dazu beigetragen, solche verbrecherischen Methoden des politischen Kampfes öffentlich aufzudecken und bloßzustellen.“