© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/18 / 13. April 2018

Katalonien am „Kotti“
Auftritt in Berlin: Nach seiner Entlassung aus der Auslieferungshaft läßt sich Carles Puigdemont von Journalisten fragen und von Anhängern feiern
Thorsten Brückner

Freiheit für die politischen Gefangenen“, „Freiheit für Puigdemont“ stand auf den Schildern und Transparenten, die Sympathisanten des von Spanien für abgesetzt erklärten Präsidenten der katalanischen Autonomieregierung Carles Puigdemont am Samstag in Berlin-Kreuzberg unweit der U-Bahn-Station Kottbusser Tor enthüllten. Ihrem Helden konnten sie an diesem Tag ganz nahe sein. Um kurz nach zwölf betrat Puigdemont, der tags zuvor die Justizvollzugsanstalt Neumünster unter Auflagen verlassen durfte, das Gebäude in der Skalitzer Straße. 

Das Medieninteresse war riesig. Puigdemonts Kommen begleiteten die Katalanen vor der Tür mit „Libertad“-Rufen. Auch während der anschließenden Pressekonferenz machten sie sich immer wieder lautstark bemerkbar. Drinnen beantwortete Puigdemont derweil geduldig und entspannt die Fragen katalanischer und spanischer Medien sowie die der deutschen Hauptstadtpresse. Er wirkte nicht wie jemand, der gerade zehn Tage in einem deutschen Knast gesessen hatte.

Den spanischen Behörden warf Puigdemont autoritäres Verhalten vor. Den Vorwurf der „Rebellion“, weswegen er mit Europäischem Haftbefehl gesucht und Ende März von der Bundespolizei festgenommen wurde, wies er erneut zurück. „Rebellion verlangt die Aufforderung zu Gewalt. Die einzige Gewalt, die es am Tag des Referendums am 1. Oktober gab, ging von der spanischen Polizei aus“, diktierte Puigdemont den Damen und Herren der schreibenden Zunft in die Blöcke. Und fragte rhetorisch: „Hat Spanien einen Plan für Katalonien?“

Der 55jährige betonte, Unabhängigkeit sei nicht die einzig mögliche Option. Spanien müsse aber an den Verhandlungstisch treten und außerdem die inhaftierten politischen  Gefangenen freilassen – katalanische Minister und Demokratieaktivisten, die unter anderem wegen des Vorwurfs der Rebellion in spanischen Gefängnissen sitzen.

Über die Umstände seiner Festnahme gab er sich einsilbig. Trotz mehrmaliger Nachfrage antwortete er nicht darauf, warum er in Helsinki nicht einfach das Flugzeug nach Brüssel nahm – wo er nach seiner Flucht aus Spanien im Exil lebte und wo er mit seiner Frau und seinen Kindern Ostern feiern wollte. Die deutschen Behörden hätten sich ihm gegenüber korrekt verhalten, versicherte er.

Am Donnerstag hatte das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig die Freilassung des von seinen Anhängern als Freiheitskämpfer verehrten Politikers angeordnet. Eine Auslieferung wegen Rebellion sei „von vornherein unzulässig“, hieß es von seiten des Gerichts. Die schleswig-holsteinische Generalstaatsanwaltschaft hatte genau das beantragt. Nun steht nur noch der Vorwurf der Veruntreuung öffentlicher Gelder im Raum. Das OLG verlangte hierzu von Spanien weitere Informationen. Experten glauben, daß sich der Fall mindestens bis Ende Mai hinziehen könnte.

Unterdessen hat die Freilassung zu diplomatischen Verstimmungen zwischen Deutschland und Spanien geführt. Besonders ein angebliches Zitat von Justizministerin Katarina Barley (SPD) trieb Madrid zur Weißglut. Die Süddeutsche Zeitung zitierte die Ministerin mit den Worten: „Die Entscheidung der Richter in Schleswig ist absolut richtig. Ich habe sie so erwartet.“ Und weiter: Spanien müsse nun darlegen, warum sich Puigdemont der Untreue schuldig gemacht haben soll. „Das wird nicht einfach sein.“ Ihr Ministerium hat inzwischen dementiert, daß Barley diese Aussagen getroffen hat. Der spanische Außenminister Alfonso Dastis griff die Ministerin unmittelbar nach Bekanntwerden der angeblichen Äußerung scharf an: „Wir glauben, daß Kommentare zu Entscheidungen von Richtern zu diesem Zeitpunkt nicht passend sind.“ Es seien „unglückliche Aussagen“ gewesen.

Nicht alle Spanier reagierten so diplomatisch. Der bekannte rechtsradikale Radiokommentator  Federico Jimenez Losantos rief wegen der Freilassung Puigdemonts zu gewaltsamen Vergeltungsaktionen gegen Deutsche auf. „In Bayern können jetzt Bierkneipen in die Luft fliegen.“ Es sei klar, daß man reagieren müsse. Auf den balearischen Inseln gebe es „200.000 deutsche Geiseln“. Barley nannte er einen „Hipsternazi“, und die Regierung von Angela Merkel sei „das Vierte Reich“. Eine Distanzierung blieb bis Redaktionsschluß dieser Zeitung aus. Die Münchner Polizei nimmt den Vorfall ernst und bedankte sich via Twitter für den Hinweis.

Für die katalanischen Aktivisten kommen solche Töne aus Spanien nicht überraschend. „Damit leben wir tagein, tagaus seit Jahren, deswegen wollen wir raus aus Spanien“, sagte ein Teilnehmer der JUNGEN FREIHEIT, der zusammen mit Puigdemont, weiteren katalanischen Parlamentariern und Unterstützern nach der Pressekonferenz in einen Innenhof eines Häuserblocks am „Kotti“ zog. Dort ließ sich der Präsident, der eine gelbe Schleife trug (das Symbol der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung) feiern und stimmte mit seinen Mitstreitern Els Segadors, die katalanische Nationalhymne, an. „Visca Catalunya“ – es lebe Katalonien, riefen die Umstehenden.