© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/18 / 13. April 2018

Wofür sie besonders schwärmt, wenn es wieder aufgewärmt
Alexander Gauland: Der heutige AfD-Vorsitzende unterzeichnete einst einen Appell für „pragmatische und humane“ Einwanderung / „Völlig andere Ausgangslage“
Konrad Adam

Die Häme war unverkennbar, als die Frankfurter Rundschau vergangene Woche eine am 16. Februar 1993 erschienene Anzeige erneut öffentlich machte. Mehrere Prominente hatten darin vor 25 Jahren für eine „offene und tolerante Gesellschaft“ geworben und eine „pragmatische und humane Einwanderungspolitik“ gefordert. Unterschrieben hatte den Aufruf auch der damalige Geschäftsführer der Märkischen Allgemeinen, Alexander Gauland. „Ob die AfD ihren Vorsitzenden Alexander Gauland jetzt ausschließt?“ fragt das Blatt rhetorisch. 

Da auch ich zu den Unterzeichnern gehörte, ein paar Worte zu den Hintergründen einer Aktion, von der die Rundschau offenbar nichts weiß oder  wissen will.

Deutschland war ja schon damals zum Einwanderungsland geworden, eine Tatsache, die von der seit Jahr und Tag  regierenden CDU aber hartnäckig ignoriert wurde. Die Folge war, daß die Einwanderung, die es laut CDU nicht gab, zumindest aber doch nicht geben sollte, den Umweg über das Asylrecht nahm.

„Damals gab es keine Masseneinwanderung“

Um diesem Übel abzuhelfen, forderten die Unterzeichner des Aufrufs, unter ihnen zahlreiche Gewerkschafter, Ignatz Bubis vom Zentralrat der Juden, Grüne wie Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit, aber auch gestandene CDU-Mitglieder wie Volker Hassemer und – damals eben – Alexander Gauland, die Bundesregierung dazu auf, das unkontrolliert ablaufende Geschehen gesetzlich zu regeln und dem massenhaften Mißbrauch des Asylrechts vorzubeugen. Das ist bis heute nicht geschehen, der Mißbrauch ist zur Regel geworden, er wird ja auch belohnt. Es hat sich herumgesprochen, daß Deutschland das einzige Land ist, in das man ohne Paß zwar hinein-, aber nicht wieder herauskommt.

Als der Aufruf erschien, im Frühjahr 1993 also, hatte sich die „Frankfurter Intervention“, ein Kreis von politisch ambitionierten Leuten, der das gesamte Spektrum von rechts bis links umfaßte, dazu entschlossen, sich mit einem Personalvorschlag in die bevorstehende Wahl eines neuen Bundespräsidenten einzumischen. Jens Reich, der sich als Bürgerrechtler im Osten einen Namen gemacht hatte, sollte für jenes Amt kandidieren, das dem eingefahrenen Parteibetrieb enthoben war und dessen ganze Macht im Wort, in seiner Fähigkeit bestand, die Menschen anzusprechen und zu überzeugen. Und daß er das Wort beherrschte, besser als andere, hatte Jens Reich bewiesen.

Heute, 25 Jahre danach, liest sich der Vorschlag immer noch genauso überzeugend wie damals. Die Wiedervereinigung, meinten die Unterstützer, unter ihnen Bubis und Hans-Magnus Enzensberger, Joachim Fest, Wolf Lepenies, Monika Maron, Richard Schröder und Antje Vollmer – sei den Deutschen wie ein unerwartetes Geschenk zuteil geworden: „Gefreut haben sich alle, vorbereitet  waren aber nur die wenigsten. Deswegen ist, ungeachtet aller Anstrengungen und aller Opfer, der Einigung noch keine Einigkeit gefolgt. Im Inneren wird das Land durch Entfremdung, Mißtrauen und Verteilungskämpfe zerrissen. Nach außen hat die Bundesrepublik Mühe, der Rolle zu entsprechen, die ihre Nachbarn von ihr erwarten.“ Das ist nicht allzu weit von dem entfernt, wovon unsere Spitzenpolitiker auch heute reden, wenn sie über die Spaltung der Gesellschaft jammern, sich über die Abgehängten im Osten lustig machen und ihrer Verachtung gegen „den Mob“, „das Pack“ und „das Gesindel“ die Zügel schießen lassen.

Die Sache blieb erfolglos, weil die Altparteien – die damals allerdings noch nicht so hießen – die Sache unter sich ausmachen wollten. Das haben sie dann auch getan, gewählt wurde nicht Jens Reich, sondern Roman Herzog. 

Alexander Gauland erinnert sich zwar nicht mehr an die Anzeige von vor 25 Jahren, bestreitet aber auch nicht, den Appell unterzeichnet zu haben. „Es war ja eine völlig andere Ausgangslage“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. „Es gab damals keine Masseneinwanderung aus islamischen Ländern, die mit der von heute vergleichbar wäre.“