© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/18 / 13. April 2018

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat ein Interview mit Thorwald Proll abgedruckt. Proll war an der Kaufhausbrandstiftung von Baader und Ensslin beteiligt, seine Schwester Astrid, von ihm in die „Bewegung“ geholt, ging zur RAF. Das Ganze steht unter der Überschrift „Wir waren mutig“ und wäre von Achtundsechzigern „affirmativer Sch…“ genannt worden (ohne Pünktchen, na klar).

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Aktiv gegen Faschophobie: Der italienische Kassationshof hat eine Entscheidung gefällt, der zufolge das Zeigen des Römischen Grußes, die Demonstration im Schwarzhemd und die Werbung für die faschistische Ideologie keine Straftatbestände sind. Als Begründung wurde angegeben, daß der Faschismus heute keine Gefährdung des Staates bedeute. Eine Grenze sei erst überschritten, wenn von faschistischen Gruppen zum gewaltsamen Umsturz der bestehenden Ordnung aufgerufen werde, ansonsten fielen ihre Bekundungen unter das Recht auf freie Meinungsäußerung.

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Wenn man dem folgt, was Thomas Schmid (von dem man dachte, daß er schon weiter sei) über die Konservativen sagt, dann handelt es sich um einen Haufen grämlicher, älterer Herren, die immer etwas zu meckern haben. Nun darf man einer so unterkomplexen Deutung nicht zu viel Ehre antun, aber vielleicht ist es doch hilfreich, kurz ins Gedächtnis zu rufen, was alles anders wäre, wenn man in den letzten fünfzig Jahren ab und an auf die rechten Kassandren gehört hätte: keine Zerstörung des Bildungssystems, keine Demontage des Leistungsprinzips, keine Herrschaft durch Betreuung, keine strukturelle Überlastung des Sozialwesens, keine privatisierte Bahn, Post, Wasser- und Elektrizitätsversorgung, keine Masseneinwanderung, kein Doppelpaß, keine demoralisierte Armee, keine demoralisierte Polizei, keine Security in der Notaufnahme, keine Laxheit der Justiz, kein Islamismus in Deutschland, kein „Integrationsproblem“, keine No-go-Areas, kein Aufmarsch von „Menschengruppen“ zwecks kollektiver Keilerei, kein türkisch-kurdischer Bürgerkrieg auf unseren Straßen, keine Straßenbettelei, keine versifften Innenstädte, kein Fortpflanzungsstreik, keine gottlosen Pastoren, keine Genderlehrstühle, keine klammheimliche Zensur, keine Vergangenheitsbewältigung als Staatsdoktrin. Mal im Ernst, Thomas Schmid: Wäre das wirklich so schlecht?

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Wenn man heute Toledo besucht, dann sind die touristischen Hauptanziehungspunkte einmal die Bilder El Grecos und dann das jüdische wie das muslimische Erbe der Stadt. Voller Stolz präsentiert man die ehemaligen Kirchen, die ehemalige Synagogen oder ehemalige Moscheen waren, und pflegt den Mythos des multikulturellen, harmonisch-vielfältigen Spaniens vor der Reconquista. Die hatten die „Katholischen Könige“ Isabella und Ferdinand 1492 vollendet, mit der Vertreibung der letzten Mauren aus Granada. Ein Ereignis, das heute etwas peinlich wirkt, was auch erklärt, daß das Kloster San Juan de los Reyes am Rande Toledos, das die beiden ursprünglich als ihre Grabstätte vorgesehen hatten, kaum Besucher anlockt. Wer doch kommt und in Ruhe die wunderbar geschlossene gotische Architektur genießt, wird danach vielleicht sinnend vor der Fassade des Kirchenbaus stehen, an der man längst verrostete eiserne Ketten aufgehängt hat. Die waren den in Granada versklavten Christen nach der Befreiung abgenommen und dann auf Befehl Isabellas zur Erinnerung angebracht worden.

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Bildungsbericht CXIV in loser Folge: Der Bildungsforscher Rainer Dollase hat scharfe Kritik an der Art und Weise geübt, wie die Ergebnisse der letzten PISA-Studie interpretiert wurden. Entgegen dem Eindruck, den man erweckt habe, gäben die Daten keinen Hinweis auf die Überlegenheit der Gesamtschule oder des längeren gemeinsamen Lernens. Allerdings könne man sie durchaus so interpretieren, daß zu den entscheidenden Faktoren für den Erfolg schulischer Anstrengungen die Disziplin gehöre, die im Unterricht aufrechterhalten werde.

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Karl-Heinz Kohl hat unlängst einige kluge Bemerkungen zur neuen Heimat-Diskussion gemacht und die reflexhafte Abwehr des Themas durch die Linke kritisiert. Allerdings schüttet er dann das Kind mit dem Bade aus, wenn er meint, daß die Aversion eine strukturelle sei. Denn bei den „Neuen Sozialen Bewegungen“, die in den siebziger Jahren aus der Konkursmasse der APO entstanden, nährten Umweltbewußtsein, Wertschätzung des Ländlichen und Solidarität mit dem Kampf der Regionen auch etwas wie Heimatliebe. Erst als man sich mit der Abrüstungsdebatte den harten politischen Realitäten stellen mußte und für einen kurzen Moment die nationale Frage ins Spiel kam (Heinrich Albertz: „Wir leben immer noch in einem besetzten Land“), vollzog man die Kehre, machte es sich im Unverbindlich-Humanitären bequem. Und dabei ist es bis heute geblieben.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 20. April in der JF-Ausgabe 18/18.