© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/18 / 20. April 2018

„Das ist eine historische Wende“
Eine neue konservative Bewegung will der CDU/CSU Beine machen. Kann das gelingen? Ihr Vorsitzender ist davon überzeugt
Moritz Schwarz

Herr Mitsch, warum Sie?

Alexander Mitsch: Gute Frage, denn eigentlich war ja nicht geplant, daß ich Gründungsvorsitzender des „Freiheitlich-konservativen Aufbruchs“ beziehungsweise der „WerteUnion“ werde.

Sondern?

Mitsch: Zufällig war ich es, der es übernommen hatte, Räume für die Gründungsveranstaltung im März 2017 zu organisieren, die ich im badischen Schwetzingen, das in meinem CDU-Kreis liegt,  fand. Dann passierte, womit wir so nicht gerechnet hatten: Wie eine Flut schlug uns das Medieninteresse entgegen! Und die Journalisten wollten wissen, wer der Veranstalter sei und fragten deshalb nach dem, der den Saal gemietet hatte. So gab ich schließlich ein Interview nach dem anderen, ich mußte sogar drei Tage Urlaub nehmen, in denen ich nichts anderes tat – es war unfaßbar.

Sie wurden zum Gesicht der WerteUnion?

Mitsch: Genau, und als es dann an die Wahl des Vorsitzenden ging, hieß es: „Mensch Alexander, du mußt das jetzt machen!“ Erst da wurde mir klar, daß ich diese Aufgabe übernehmen sollte. Dabei hatte ich mich Ende der neunziger Jahre zugunsten von Familie und Arbeit aus der Politik zurückgezogen. Dann kam 2015 die Grenzöffnung. Die Politik traf schwerwiegende Entscheidungen, und ich spürte, es geht um unser Land. Ich habe zwei Kinder, acht und zehn Jahre alt. Ich will nicht, daß sie später sagen: „Papa, du hast damals nur zugeschaut und nichts unternommen, um unsere Gesellschaft vor den Gefahren unkontrollierter Masseneinwanderung zu bewahren.“

Tatsächlich ist die WerteUnion bisher doch ohne jeden Einfluß auf die CDU. Wieso hat Ihr jüngst beschlossenes „Konservatives Manifest“ (JF 16/18) dennoch erneut solche Medienaufmerksamkeit ausgelöst? 

Mitsch: Da widerspreche ich, auch wenn unser Einfluß derzeit noch eher subtil wirkt. Aber zur Frage: Zum einen, weil es die für die Bürger drückenden Probleme in einer Art anspricht, die weder politisch-korrekt verdruckst noch populistisch-marktschreierisch ist. Zum anderen, weil uns im ersten Jahr unseres Bestehens eine erfolgreiche Aufbauarbeit gelungen ist.

Nur wenige Bundes- und Landtagsabgeordnete sind der WerteUnion bisher beigetreten. Finden Sie das „erfolgreich“?

Mitsch: Immerhin sind wir schon in 15 Bundesländern organisiert. Es geht uns nämlich nicht primär darum, Mandatsträger zu gewinnen, wobei natürlich auch die willkommen sind. Aber wir verstehen uns als Basisbewegung. Die konservativen Bundestagsabgeordneten der Union etwa organisieren sich in ihrer eigenen Formation, dem „Berliner Kreis“ – mit dem wir bestens zusammenarbeiten.

Wie soll denn ein schlagkräftiger konservativer Flügel entstehen, wenn Basis und die Amts- und Mandatsträger getrennt sind?

Mitsch: Für die Zukunft mögen Sie recht haben, für die Gegenwart nicht. Ich war 1992 bei der Gründung des „Christlich-Konservativen Deutschland-Forums“ dabei, quasi ein Vorläufer der WerteUnion, das aber vor allem aus Abgeordneten bestand. Ein wesentlicher Grund, warum das CKDF schnell scheiterte, war, daß die Mandatsträger von der Parteiführung rasch wieder „eingefangen“ wurden, weil sie abhängig waren. Das kann bei einer Basisbewegung nicht passieren, weder kann man uns mit Pfründen locken, noch mit Sanktionen drohen.

Gescheitert ist nicht nur das CKDF, sondern 18 Jahre später auch die „Aktion Linkstrend stoppen“. 2009 versuchte es der Publizist Martin Lohmann mit der Gründung des konservativen „Arbeitskreises Engagierter Katholiken“ in der CDU und 2014 der CSU-Aktivist David Bendels mit dem „Konservativen Aufbruch“. Lohmann und Bendels sind inzwischen aus der Union ausgetreten. Sie vielleicht bald auch?

Mitsch: Nein, denn erstens sind wir überzeugte Christdemokraten und zweitens ist die Lage der Union dramatischer als je zuvor – und das weiß man auch in der Partei; ebenso, daß sie einen Neuanfang braucht, auch wenn man darüber noch nicht offen reden möchte. Ich bin überzeugt, wir stehen am Anfang einer historischen Wende für die Union. Daß die Situation eine ganz andere ist, sehen Sie etwa auch daran, wieviel prominenten Zuspruch wir bei unserem zweiten Bundestreffen Anfang April erhalten haben: Jens Spahn und verschiedene Abgeordnete hatten Grüße geschickt. Horst Seehofer und Carsten Linnemann, Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung, öffentlich ihre Sympathie bekundet. Gregor Golland, Vize-Fraktionschef in NRW, die Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel sowie der baden-württembergische Generalsekretär Manuel Hagel waren anwesend, letzterer hat sogar eine Rede gehalten, die inhaltlich sehr gut ankam. Und CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer hat uns zur Mitarbeit am neuen Grundsatzprogramm aufgefordert – das werden wir gern machen! 

Halten Sie das wirklich für verläßlich? Gilt in der Politik nicht: Heute so, morgen so?

Mitsch: Nein, es gibt eine enorme Entwicklung, Hagel etwa war uns gegenüber vor einem Jahr noch sehr skeptisch.

Na eben! Vielleicht ist er nur ein Trittbrettfahrer?

Mitsch: Nein, er nicht. Für mich ist das, wie gesagt, eine historische Trendwende: Die politische „Wippe“ kippt von links wieder zurück. Und wie immer geht das Kippen zu Beginn sehr langsam – in dieser Situation sind wir jetzt –, dann aber beschleunigt es sich. Und die Trittbrettfahrer, die kommen später, dann, wenn man es geschafft hat.

Wann haben Sie „es geschafft“?

Mitsch: Erstens: Die große Mehrheit der Mitglieder der Volksparteien sind bekanntlich Karteileichen. Zieht man diese ab, dürften von den etwa 420.000 CDU-Mitgliedern geschätzt 80.000 bis 100.000 Aktive übrigbleiben. Zweitens: Wir wissen, daß sich die Mehrheit der CDU-Mitglieder rechts von der Kanzlerin lokalisiert – das wären dann geschätzt 50.000 bis 60.000 Aktive. Auf dieser Grundlage glaube ich, daß es uns gelingen kann, binnen zwei Jahren unsere jetzige Mitgliederzahl zu verzehnfachen – und daß diese Zahl zudem jene Größenordnung ist, mit der wir es dann „geschafft“ haben werden: nämlich uns als akzeptierte Größe in der Union zu etablieren! Ich glaube, daß wir auch danach noch wachsen werden, unter anderem, weil dann die „Trittbrettfahrer“ kommen, aber entscheidend ist das dann nicht mehr. Entscheidend sind die 10.000, weil wir ab da ein Faktor sind, den man nicht mehr übergehen kann.

Und das können Sie wirklich schaffen?

Mitsch: Das werden wir schaffen! Allein die Mitgliederzahl der verschiedenen in der WerteUnion zusammengekommenen Mitgliedsinitiativen – wie „Konservativer Aufbruch der CSU“, regionale „Konservative Kreise“, „Konservativer Dialog“, „CDU-Kurswechsel“ oder „Konrads Erben“ und wie sie alle heißen – beträgt mehrere tausend. Wir müssen nun möglichst viele davon in die WerteUnion überführen und natürlich auch neue Leute gewinnen.

Greifen Sie nicht ziemlich hoch? Noch hat die Union sie ja nicht mal anerkannt.

Mitsch: Stimmt, aber ich bin ganz sicher, daß wir einen offiziellen Status als CDU-Gruppierung erhalten werden.

Wird das nicht zur Spaltung führen?  

Mitsch: Warum?

Die Tendenz der CDU/CSU ist doch schleichend postnational, multikulturalistisch, genderistisch etc. Sollte es Ihnen gelingen, eine kraftvolle Gegenposition zu etablieren, muß es zu einem Machtkampf kommen – der die Partei spalten kann.

Mitsch: Nein, denn es geht nicht darum, die Union zu „übernehmen“, das wollen wir gar nicht, sondern darum, unsere zentralen Positionen durchzusetzen. Es werden dann möglicherweise andere sein, die diese umsetzen, etwa Seehofer, Spahn oder wer auch immer. In einer Volkspartei übernimmt nicht ein Flügel den ganzen Verein, sondern gewonnen hat, wer die Führung stärker beeinflußt.

Irgendwann werden aber die noch bemäntelten Widersprüche offen zutage treten: Masseneinwanderung oder konsequente Abschottung, Multikulti oder Abendland, EU oder Nation, Volk oder Bevölkerung.

Mitsch: „Irgendwann“ – so weit in die Zukunft spekuliere ich nicht. In der jetzigen Krise wirkt die WerteUnion integrierend, da wir die Konservativen wieder mit der Partei versöhnen. Es geht darum, die Union als Volkspartei zu erhalten, und das bedeutet immer die Zusammenführung verschiedener Strömungen. Volkspartei heißt, Kompromisse zu finden, die Gemeinsamkeit ermöglichen – um so Mehrheiten zu gewinnen. Helmut Kohl hat 1983 mit seiner konservativen Wende ein hervorragendes Wahlergebnis geholt!  

Jahrelang hat die CDU-Führung doch alles getan, konservative Initiativen zu neutralisieren. Werden sie von ihr bekämpft?

Mitsch: Teilweise ja. Aber es ist doch klar, daß wir Frau Merkel gar nicht gefallen können! Schließlich sind wir die Antithese ihrer Politik.

Also ist Ihr Ziel, diese zu überwinden?

Mitsch: Nein, denn natürlich versucht die Parteiführung sich lästige Konkurrenz wie uns vom Hals zu halten. Irgendwann wird das aber nicht mehr möglich sein. Dann wird sie sich mit uns an einen Tisch setzen und nach Kompromissen suchen und dabei auch einen Teil unserer Inhalte übernehmen müssen.  

Was denkt Frau Merkel wirklich über Sie?

Mitsch: Ich glaube, noch versucht sie, uns zu ignorieren. Langsam aber beginnt sie festzustellen, daß sie die Strategie ändern muß. Die Frage ist, kommt sie dabei zu dem Schluß, uns zu bekämpfen oder uns einzubinden? Wie gesagt, ich glaube, sie ist klug genug, eine dauerhafte Konfrontation zu vermeiden.

Aber wenn Ihr Ziel das Ende der Linksdrift der Partei ist, für die ja Frau Merkel steht. Wie kann es dann einen Kompromiß mit ihr geben? Dann gibt es doch nur eine Schlußfolgerung: „Merkel muß weg!“

Mitsch: Unser eigentliches strategisches Ziel ist, die CDU zur Korrektur ihrer Politik zu bewegen. Wenn Frau Merkel das dauerhaft verweigert, wäre es für die Erneuerung der Partei zwingend, daß sie abtritt. Ich halte sie aber wirklich für zu intelligent, um das nicht zu erkennen.

Mal ehrlich, heißt der Grund für Ihren Erfolg in Wirklichkeit nicht: AfD ?

Mitsch: Die AfD ist das Symptom des Versagens des Linkskurses der Union. Und natürlich bewirkt dieses Überdehnen nach links, wie bei einem Gummiband, nun ein Zurückziehen hin zur konservativen Mitte. Je stärker die AfD wird, um so deutlicher wird die Notwendigkeit eines konservativen Kurswechsels.

Was halten Sie von der AfD?

Mitsch: Sie ist eine politische Konkurrenz, mit der wir pragmatisch umgehen sollten. Ich halte nichts davon, sie, ihre Mitglieder oder Wähler pauschal zu stigmatisieren. Für mich rangiert dringende Problemlösung vor Parteipolitik. Es wäre absurd, unsere Positionen nicht zu vertreten, nur weil die AfD zustimmen könnte.

Das „Konservative Manifest“ der WerteUnion, das auf Ihrer Netzseite einzusehen ist, enthält zahlreiche begrüßenswerte konservative Positionen. Allerdings kommt das wohl zentrale Thema, nämlich nationale Identität, nicht vor.

Mitsch: Bitte? Wir bekennen uns ausdrücklich zu „gesundem, weltoffenen Patriotismus“, „Heimat und Tradition“ und dem „christlichen Menschenbild“!

Der zentrale Konflikt, der allen anderen, wie dem um den Islam, die Einwanderung, Integration, EU, den Euro etc. zugrunde liegt, ist der um unsere Identität: multikulturelle Bevölkerung versus Volk im Sinne des Grundgesetzes? Davon kein Wort. 

Mitsch: Ich gebe Ihnen insofern recht, daß das Manifest natürlich nicht bei allem ausreichend in die Tiefe geht. Das liegt daran, daß es kein Buch sein kann: Mit drei Seiten ist es für ein Manifest eigentlich schon zu lang. Und doch fehlt natürlich vieles, was wir aber anderswo vertiefen, auch das, was Sie ansprechen.

Das Wort „Nation“ findet sich in dem Manifest nicht ein einziges Mal.

Mitsch: Halt: Ausdrücklich lehnen wir darin einen EU-Zentralstaat ab und nennen als Alternative einen europäischen Staatenbund – was ja automatisch ein Bekenntnis zum Nationalstaat ist!  

Daß es massiven Antigermanismus und antideutschen „Rassismus“ gibt – keineswegs nur von Einwanderern, vor allem auch von Linken –, auch davon kein Wort.

Mitsch: Indirekt spricht sich das Manifest mit seinem klaren Bekenntnis zu Heimat, Tradition und Patriotismus auch dagegen aus. Dennoch ist das ein Punkt, der eine vertiefte Betrachtung lohnt. Entscheidend aber ist doch, daß wir auf sehr vieles aufmerksam machen, was in der Union sträflich vernachlässigt worden ist. Und in einigen Punkten, übrigens unter anderem bei der Einwanderung, gehen wir sogar über das hinaus, was die CSU fordert. Wir können aber nicht an allen Fronten gleichzeitig den Konflikt suchen. Denn es geht nicht darum, das perfekte Manifest zu schreiben, sondern eines, das dem Zweck dient, das unser Land aus der Krise führt, indem es den Konservatismus politisch wieder erfolgreich macht. 





Alexander Mitsch, ist Gründungsmitglied und Bundesvorsitzender der „WerteUnion. Freiheitlich-konservativer Aufbruch“ (Logo rechts). Das Mitglied des CDU-Kreisvorstands Rhein-Neckar trat der Partei 1985 bei und war bis Mitte der neunziger Jahre Kommunalpolitiker, Vize-Kreisvorsitzender und JU-Chef im Bezirk Nordbaden. Geboren wurde der Diplom- und Bankkaufmann 1967 in Heidelberg. 

 www.werteunion.net

Foto: Aktivisten der WerteUnion vor dem CDU-Bundesparteitag am 26. Februar in Berlin: „Noch versucht Merkel, uns zu ignorieren. Langsam aber merkt sie, daß sie die Strategie ändern muß“

 

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