© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/18 / 20. April 2018

„Das unterschreibt man halt“
Extremismus I: Vom staatlich geförderten „Kampf gegen Links“ profitieren auch eher zweifelhafte Projekte
Sandro Serafin

Stacheldraht umgibt den kühl-grauen Gefängniskomplex im Berliner Stadtteil Hohenschönhausen. Hohe Mauern versperren die Sicht auf das Gelände. Hier trieb einst die DDR-Staatssicherheit ihr Unwesen, erpreßte Geständnisse, demütigte Insassen, folterte. 

Heute erkunden täglich Schülergruppen die Gedenkstätte, besuchen Seminare und lauschen Zeitzeugenberichten. Der direkte Kontakt mit den Opfern des DDR-Regimes dürfte wohl die beste Prävention gegen linksextremistische Umtriebe sein (JF 37/17). 2010 fing das Bundesfamilienministerium unter Leitung von Kristina Schröder (CDU) an, die Arbeit der Gedenkstätte im Kampf gegen Linksextremismus zu unterstützen. Dieses Engagement wird heute durch das Projekt „Demokratie leben“ gefördert. Seit 2015 erhielt die Stiftung so rund 525.000 Euro vom Bund. 

„Ministerium interessiert sich nicht für Inhalte“

Schröder hatte sich in ihrer Amtszeit viele Feinde gemacht, weil sie auch gegen linken Extremismus aktiv wurde. Unter Konservativen kam ihr Engagement  überwiegend positiv an. Doch gilt für diesen „Kampf gegen Links“ zumindest in Teilen: mehr Schein als Sein. Das ergibt ein Blick in eine aktuelle Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des thüringischen Bundestagsabgeordneten Stephan Brandner (AfD). Demnach dienten nicht alle vermeintlichen Projekte gegen Linksextremismus wirklich dem Kampf gegen ebendiesen.

So investierte die Bundesregierung im Jahr 2010 16.000 Euro in die Amadeu- Antonio-Stiftung (AAS) – angeblich um „israelbezogenen Antisemitismus“ auch auf der Linken zu thematisieren. Die Stiftung beschäftigt sich laut eigener Auskunft jedoch in erster Linie mit „Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“. Von der Bekämpfung linksextremer Auswüchse ist auf der ganzen Stiftungs-Webseite hingegen kein einziges Wort zu lesen. Im Gegenteil: Kritiker werfen der AAS selbst linksradikale Tendenzen und ihrer Vorsitzenden, der ehemaligen Stasi-IM Anetta Kahane, zuweilen antideutschen Rassismus vor. 

Auch die 130.000 Euro teure Förderung des Berliner „Archivs der Jugendkulturen“ zwischen 2010 und 2012 wirft Fragen auf. Das Geld sollte dem Buchprojekt „Die Autonomen“ zugute kommen, einem Interview-Band, „der die Haltung und Einstellungen derjenigen dokumentiert“, die sich zur autonomen Szene dazugehörig fühlen.

Herausgeber und Autor Klaus Farin hatte 2011 in einem Interview mit dem Magazin Red Alert erklärt, er lehne die von Schröder seinerzeit eingeführte – und von ihrer Nachfolgerin Manuela Schwesig (SPD) wieder abgeschaffte –  Extremismusklausel ab. Der zufolge hatten sich staatlich unterstützte Organisationen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen müssen. Die Erklärung sei ein Stück Papier und nicht mehr, sagte Farin damals. „Das unterschreibt man halt und kümmert sich nicht weiter darum.“

Die Behauptung, man könne linken und rechten Extremismus gleichsetzen, bezeichnete Farin in demselben Interview als „Geschichtsklitterung“. Schließlich würden in der autonomen Szene nach jeder militanten Aktion „mehr oder weniger offen“ selbstkritische Debatten geführt. Ziel des Buches sei es auch, der „absolut klischeehaften Reduzierung der autonomen Szene auf Gewalt“ entgegenzuwirken. Und: „Niemand kann ernsthaft annehmen, so ein Ministerium interessiert sich wirklich für Inhalte der Hunderte von Projekten, die dort Jahr für Jahr gefördert werden.“

In eine ähnliche Kerbe wie Farin schlägt auch die Europäische Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte (EJB) Weimar, die in den Jahren 2010 bis 2013 insgesamt gut 830.000 Euro aus dem Bundesfamilienministerium für den Kampf gegen Linksextremismus erhielt. In einer Projektbeschreibung empört sich die EJB ebenfalls über das Vergleichen linksextremer mit rechtsextremer Gewalt. Dadurch könne „die dem Rechtsextremismus inhärente Ideologie der Ungleichwertigkeit von Menschen und die damit verbundene Ablehnung grundlegender Menschenrechte“ an Bedeutung verlieren. Der Begriff „Linksextremismus“ sei eindimensional, habe Schwächen und führe zu Irritationen. Dem EJB gehe es daher nicht darum, „anti-linksextrem“ aufzuklären, sondern „pro-demokratisch“. 

Ausdrücklich betont die EJB: „Die Bedrohungslage, wie sie in den Verfassungsschutzberichten zu einer politisch motivierten linksextremistischen Gewalt nachgezeichnet wird, läßt sich aus unserer Sicht nicht bestätigen.“ Zwar gehe es nicht darum, „Menschenfeindlichkeiten und Extremismen, die sich auf eine als links einzuordnende Ideologie beziehen, auszuschließen.“ Ein Vorhandensein linksextremer Einstellungen und Haltungen im Sinne eines Rückgriffes auf geschlossene linksextreme Welt- und Menschenbilder lasse sich jedoch nicht konstatieren. Dagegen werden als Probleme in der Mitte der Gesellschaft „Sozialchauvinismus, Sexismus und Homophobie“ benannt.

Doch sogar ein Projekt wie die 2010 mit 29.000 Euro geförderte Initiative „Wir fahren nach Berlin“ der Jungen Union dürfte am Ende eher wenig zur Bekämpfung von Linksextremismus beigetragen haben. Bei dem Trip sollte laut Angaben des CDU-Nachwuchses unter anderem der Checkpoint Charlie und die Berliner Mauer besichtigt, aber auch ein „gemeinsamer Ausflug in das Berliner Nachtleben“ unternommen werden.

Auffallend: Bei weniger als der Hälfte aller dem „Kampf gegen Links“ zugeordneten Projekte (2010–2017) taucht das Wort „Linksextremismus“ ausdrücklich als zentrales Thema im Titel auf. Einige weitere beschäftigten sich noch mit anderen Formen des politischen Radikalismus, etwa dem „neuen Nationalismus in Europa“. Und wieder andere sprechen ganz allgemein nur von „Extremismus“, dem sie entgegentreten wollten.