© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/18 / 20. April 2018

Aus der Dämmerung in die Sonne
Oper Leipzig: Ein zweiteiliger Abend mit Béla Bartók und Leoncavallo
Sebastian Hennig

Bela Bartóks durchkomponierter Einakter „Herzog Blaubarts Burg“ währt eine knappe Stunde. Sein zeitgenössischer Komponistenkollege und ungarischer Landsmann Zoltán Koldály sprach von einem Meisterwerk, „einem sechzig Minuten lang tätigen musikalischen Geysir von konzentrierter Tragik, das nur einen Wunsch aufkommen läßt: es noch einmal zu hören.“ Doch innerhalb eines abendlichen Opernpublikums stellen die musikalischen Puristen und Partiturenleser eine Minderzahl. Es wünscht billigerweise ebenso gut wie anspruchsvoll unterhalten zu werden.

Die Leipziger Oper trägt dem in besonderer Weise Rechnung, wenn sie dem schockartigen Aufreißen der dunklen Räume des Eros in „Herzog Blaubarts Burg“ nach der Pause das mediterrane Eifersuchtsdrama des „Pagliacci“ von Ruggero Leoncavallo folgen läßt. Friedrich Nietzsche glaubte in seiner Herabsetzung von Wagners „Parsifal“ gegen dessen Erlösungsmystik die fröhliche Sinnlichkeit von Bizets „Carmen“ ausspielen zu müssen. An solch einen trotzig forcierten Übergang von spätromantischer Gefühlsvertiefung zu sehr äußerlicher Leidenschaftlichkeit erinnert der Leipziger Abend.

Die beiden Inszenierungen versuchen gar nicht zusammenzuklammern, was sich nirgendwo berührt. Weil im Ohr noch ein Nachhall haftet vom fiebrig webenden Musikteppichs der sieben Türen im grausigen Schloß, klingt die südliche Musik Leoncavallos zunächst nur schmissig. Wer derart ruppig aus der Träumerei ins Helle gezerrt wird, der blinzelt freilich erst mal mit den Ohren. Doch bald schon macht sich der eigene Schmelz dieser Klänge geltend. Es handelt sich nicht um die andere Seite der Medaille, sondern um zwei Münzen ganz verschiedener Ausprägung.

Vor allem Sänger mit großen Stimmen und das unter Christoph Gedscholds Stabführung mit Elementarkraft brausende Gewandhausorchester rechtfertigen die Verbindung. Beide extreme Pole von völliger Verinnerlichung der Brunst und totaler Ausstülpung der Affekte werden durch einen Prolog eingeleitet. Damit erhält das Geschehen einen Rahmen. „Geh und sieh, doch frage nimmer. Alles schaue, frage nimmer“, beschwört der ungarische Tenor Máté Gál. Herzog Blaubart (Tuomas Pursio) und Judith (Karin Lovelius) agieren zumeist in dämmrigem Licht auf einer geneigten Ebene eines kargen Hügels. Je nach Beleuchtung eine Atmosphäre aus Caspar David Friedrichs Gemälden und des liebeswunden Tristan.

Stroboskopeffekt erinnert an Wirkung von Windrädern

Bartóks einzige Oper wurde vor hundert Jahren in Budapest uraufgeführt. Zunächst als unspielbar abgewiesen, hatte sie schon seit 1911 vorgelegen. Die unterdessen durch andere Werke gestiegene Wertschätzung von Bartók half schließlich auch seinem Blaubart auf die Bühne, einer spätromantisch-sinfonischen Opernfantasmagorie, die noch mehr der „Welt von gestern“ (Stefan Zweig) angehört als der musikdramatischen Moderne der Zwischenkriegszeit. 

Judith hat wegen Blaubart ihren Bräutigam verlassen, wie die Senta ihren Erik des geheimnisvollen Fliegenden Holländers wegen. Nun begehrt sie von dem blutrünstigen Herzog die Schlüssel zu den verschlossenen Türen. Im Bühnenbild von Philipp J. Neumann zeichnet sich von den sieben an der Decke verborgenen Ventilatoren im Lichtkegel ein rotierendes Schattenspiel auf dem Boden ab. Dieser Stroboskopeffekt erinnert an die Wirkung großer Windräder in der tiefen Abendsonne. Schlichte Mittel entfalten große Wirkungen. Dazu wechseln die Sänger häufig ihre Stellung. Pursio, der sich in Leipzig durch große Wagner-Partien gelegentlich überfordert zeigte, bildet hier mit Lovelius ein überzeugendes Paar. Gesungen wird auf ungarisch, was die Handlungsdramatik der Dichtung für ein überwiegend deutsches Publikum abstrahiert. Wer nicht immer zu den Übertiteln schielen will, der ist gehalten, sich dem sinfonischen Rausch der Musik zu überlassen.

Auch der zweite, italienische Teil des Abends wird durch eindrucksvolle Stimmen geprägt. Der Serbe Zoran Todorovich als Canio und als sein Gegenspieler Silvio der Usbeke Alik Abdukayumov verfügen über die Kraft und Modulation, um ein Stück wie „Pagliacci“ in die Herzen zu senken. Schon in seinem Prolog hat Luca Grassi das stimmliche Feuer entzündet, das alle mit ihrem Gesang nähren und erhalten. Bis zum schlimmen Ende lodert es und hält das Leipziger Premierenpublikum in Spannung.

Das scheinbar oberflächliche Gehabe der südländischen Messerstecher ist in der Vermischung von Publikum und Schauspielern beinahe noch subtiler. Der eifersüchtige Canio verfolgt seine Nedda (Eun Yee You) von der Bühne herab bis zwischen den Orchestergraben und die erste Stuhlreihe, wo er im Einstechen einen brutalen Schattenriß bildet. Zurück auf der Bühne, gibt er dem Rivalen Silvio seinen Teil. Tatjana Ivschina hat Bühne und Kostüm schwarzweiß gehalten, um die stechende Sonne Kalabriens anzudeuten, die Leoncavallos Musik ausbrütete. 

Die nächste Vorstellungen von „Herzog Blaubarts Burg/Pagliacci“ an der Oper Leipzig, Augustusplatz 12, finden am 21. April und 9. Juni statt. Kartentelefon: 03 41 / 12 61 261

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