© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/18 / 20. April 2018

Waffenscheine für Patienten
SPK-Komplex: Gerd Kroskes Filmdokumentation über das Sozialistische Patientenkollektiv
Christian Stülpner

Dem Regisseur Gerd Kroske ist mit „SPK Komplex“ eine nüchterne Dokumentation über ein sehr schrilles Phänomen gelungen. Das Sozialistische Patientenkollektiv SPK in Heidelberg war vielleicht die exotischste Züchtung auf den Beeten der 68er. Verschiedene Gärtner haben daran mitgewirkt. Nachdem der ärztliche Mentor der Gruppe, Wolfgang Huber, seine Pflanzung immer stärker mit politischem Stickstoff überdüngt hatte, geriet sie ins Visier von Polizei und Justiz. Zurückgeblieben sind nostalgische Erinnerungen. Beteiligte aus dem Kollektiv, Distanzierte, Gegner und Beobachter kommen nun anteilig vor der Kamera zu Wort. Einzig der Initiator Dr. Huber war weder zu einer Auskunft zu bewegen noch überhaupt auffindbar. 

Huber stammte im Gegensatz zur Mehrheit seiner akademischen Fachkollegen aus bescheidenen Verhältnissen. Daß er den richtigen Stallgeruch entbehrte, mag die Unversöhnlichkeit seines Handelns befeuert haben. Ein SPKler attestiert Hubers Tonfall in der alten Aufnahme einerseits eine tiefe Verletztheit und andererseits ein mangelndes Selbstvertrauen.

Der Assistenzarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg löste die klassische Beziehung zwischen Arzt und Patienten in gemeinsamen Gesprächen und Gruppentherapien auf. In dieser Hinsicht wirkte er als Pionier, erlag aber letztlich wohl den Verführungen des eigenen Charisma. Immer schärfere Zuspitzungen verdeckten den möglicherweise löblichen Ansatz seiner Arbeit. Der frühere Arbeitstitel eines „Haß- und Aggressionskollektivs“ entbehrt noch der Verbrämungen mit Klassenkampfvokabeln. Aus den Protesten gegen die Entlassung Hubers formierte sich im Februar 1970 das SPK. Kurioserweise werden sein Gehalt und die nun besetzten Räume weiter von der Universität bezahlt.

Was sich genau bis zum Sommer des darauffolgenden Jahres ereignete, als das Ehepaar Huber verhaftet wurde, läßt sich kaum erahnen.  Ein Verbot des Heidelberger Sozialistischen Deutschen Studentenbundes lockte freie Radikale in die Patientengruppe. Die 500 SPK-Mitglieder waren ebenso unübersichtlich wie die Hundertschaften von Studenten, die Joseph Beuys etwa zeitgleich in seine Klasse an der Düsseldorfer Kunstakademie aufnahm. „Das System hat uns krank gemacht; geben wir dem kranken System den Todesstoß“, verkündet das SPK auf einem seiner Flugblätter im Juni 1970. Krank gemacht hat sie wohl vor allem der Vulgärmarxismus. 

Die Grenzen zwischen Happening und Brigantentum waren fließend. Jedenfalls beteiligten sich Jahre später vier SPK-Mitglieder, darunter Lutz Taufer und Karl-Heinz Dellwo, an einer Geiselnahme in der deutschen Botschaft in Stockholm, bei der sie zwei Geiseln ermordeten. Doch da saßen die Hubers schon für Jahre im Gefängnis. Sie hatten sich zumindest verbal zur RAF bekannt. Schwerer als der Vorwurf der Teilnahme an einer kriminellen Vereinigung wiegt vielleicht noch der Verrat an den eigenen Ansprüchen, den Kroske so in Worte faßt: „Man muß Huber und dem inneren Kreis vorwerfen, daß es an einem Punkt nicht mehr um die Patienten ging, die dann auf der Strecke geblieben sind. Es gab unter ihnen einige Suizide.“ 

Staatsschützer berichtet über Telefonüberwachung

Eine Forderung des SPK lautete: „Aus der Krankheit eine Waffe machen.“ Da die Kampfkraft wohl nicht reichte, wurden noch 500 Waffenscheine für Patienten begehrt. Ein Polizeibeamter führt die Situation gegenseitiger Beobachtung vor. Die Dienststelle und das vom SPK besetzte Universitätsgebäude lagen sich direkt gegenüber. Aus beiden Richtungen wurde observiert, um einerseits gewaltbereite Terroristen und andererseits Ermittler identifizieren zu können. Ein Journalist fotografierte, wer gegenüber ein- und ausging. Seine Bilder konnten später für die Fahndungsplakate des BKA verwendet werden. Ein früherer Staatsschützer berichtet, wie die Telefonüberwachung eine klare Zuordnung der Personen ermöglichte. „Die haben immer Hegel gelesen.“ In dieser Phase habe sich nach zwei Minuten Zuhören Kopfweh eingestellt. Später sei dann die Sprache derber geworden, und mit dieser Erkennungsmelodie hätten sich die Betreffenden immer verdächtig gemacht.  

Über die Existenz eines inneren Kreises von zehn Personen, der zu bewaffneten  Aktionen antrieb, haben die Beteiligten verschiedene Ansichten. Ein Überläufer berichtet von einem Mann, der eines Abends eine Maschinenpistole auf den Tisch knallt und den Volkskrieg ausruft. Davon wollen andere, wie Carmen Roll, nichts wissen. Sie taucht zunächst unter, als sie während der Anreise nach Heidelberg von der gerade erfolgten Verhaftung der Hubers erfährt. Später, 1972, wird sie inhaftiert und wegen RAF-Unterstützung zu vier Jahren verurteilt. Nach der Entlassung arbeitet sie in einer Psychiatrischen Klinik in Triest nach den Grundsätzen von Hubers erfolgreicherem italienischen Kollegen Franco Basaglia.

Am sympathischsten wirken jene Interviewpartner, denen ihre melancholische Lähmung und der nervöse Krampf noch anzumerken ist. Sie sind austherapiert und halten den schmerzlichen Bruch zu ihrer Umgebung aus, während andere zwar wohl aus dem Strafvollzug entlassen sind, dafür aber ihre Krankheiten gesellschaftlich durchgesetzt haben, als Aktivisten, Publizisten und Verleger. 

Kinostart 19. April 2018  www.spk-komplex-film.de