© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/18 / 04. Mai 2018

Kippa statt Konsequenzen
Antisemitismus: Auf Attacken gegen Juden durch eingewanderte muslimische Täter reagiert Berlin vor allem mit Symbolpolitik
Sandro Serafin

Berlin-Neukölln: Ein Mann rennt über den Hermannplatz, entreißt einem Demonstranten mit Kippa eine Israel-Flagge. Die Kundgebung gegen Antisemitismus wird schließlich abgebrochen. Im Netz äußern sich Nutzer schockiert – als wunderten sie sich darüber, daß es das, wogegen da demonstriert wurde, tatsächlich gibt.

Vor der Jüdischen Gemeinde in Charlottenburg findet zeitgleich eine Kundgebung unter dem Motto „Berlin trägt Kippa“ statt. Anlaß: die Gürtel-Attacke gegen einen kippatragenden Israeli im Stadtteil Prenzlauer Berg. Bekannte Persönlichkeiten sind gekommen – und rund 2.500 Bürger. Im Netz posieren Politiker mit Kippa: Es ist an diesem Tag „en vogue“, sich mit der jüdischen Kopfbedeckung ablichten zu lassen.

An der Seite Israels      kämpfen und sterben

Die FDP-Fraktion twittert ein Bild, das zahlreiche Abgeordnete mit einheitlich blauer Kippa zeigt. AfD-Fraktionsvize Beatrix von Storch kommentiert das mit den Worten: „Im Bundestag traut sich die FDP, Kippa zu tragen – wie heroisch. Geht doch damit mal über den Hermannplatz in Berlin-Neukölln!“ Der jüdische Historiker Michael Wolffsohn spricht in einem Interview mit der Frankfurter Neuen Presse später von einem „Hochgefühl“ der Demonstranten – als wollte er einen Vergleich zum „Refugees Welcome“-Jubel des Jahres 2015 ziehen – und warnt, daß dieses schwinde und das Problem bleibe, „wenn den schönen Worten keine Taten folgen“.

Und tatsächlich: Zumindest an Taten mangelt es bisher. Die Bundesregierung hat mit dem Diplomaten Felix Klein inzwischen zwar einen Antisemitismusbeauftragten ernannt – laut Wolffsohn „eine völlig naive Bürokratenidee“. Doch konkrete Maßnahmen, vor allem gegen den neuen Antisemitismus, lassen noch auf sich warten – und schon bei der Problemanalyse gibt es massive Differenzen.

Konservative Kreise sehen den arabisch-muslimischen Judenhaß als größtes Problem – und erhalten dafür nicht nur von Wolffsohn Zustimmung. Der erklärte kürzlich, daß der „liquidatorische Antisemitismus“ heute „fast ausschließlich aus der muslimischen Minderheit“ komme, während der rechte und linke Antisemitismus zwar unerfreulich, „aber eher diskriminatorisch“ sei. 

Linke Politiker hingegen beeilen sich in Talkshows und Plenardebatten zu betonen, daß Antisemitismus „im Land des Holocaust“ nicht nur ein Import, sondern vor allem ein Problem der Einheimischen sei. Doch selbst die großen Zeitungen des Landes erklären ihren Lesern inzwischen, daß die Polizeistatistik, laut der neun von zehn antisemitischen Gewalttaten von „rechts“ ausgehen, wenig bis gar keine Aussagekraft hat.

Immerhin: Zweieinhalb Jahre nach der Offenhaltung der deutschen Grenzen im Herbst 2015, ist man sich einig, daß die Einwanderung einer großen Zahl antijüdisch sozialisierter Menschen das Antisemitismus-Problem zumindest nicht geschmälert hat. Als der Präsident des Zentralrats der Juden, Wolfgang Schuster – nicht gerade ein rechter Scharfmacher –, 2015 vorsichtig eine Obergrenze für Flüchtlinge anmahnte, war das noch überhört worden. Heute warnt er seine Glaubensbrüder vor dem Tragen der Kippa in deutschen Großstädten.

Dennoch hält man sich hierzulande daran fest, daß wir noch nicht „solche Verhältnisse wie in Frankreich oder Belgien“ hätten, wie der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe, bei „Berlin trägt Kippa“ betonte. Aber: Jene Stimmen, die für das jüdische Leben in ganz Europa schwarzsehen, werden mehr. So erklärte etwa der jüdische Vizebürgermeister der französischen Stadt Toulouse, Aviv Zonabend, angesichts der Geschehnisse in Deutschland kürzlich, daß die Zukunft der europäischen Juden generell „hoffnungslos“ sei.

Die AfD nutzt die Debatte unterdessen, um den ihr noch anhaftenden Mief der Antisemitismus-Affäre um den Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon loszuwerden. Bei einer Bundestagsdebatte zu „70 Jahre Israel“ bekannte sich Fraktionschef Alexander Gauland unumwunden zum Existenzrecht Israels als Teil der deutschen Staatsräson – sogar wenn dies bedeute, an der Seite Israels „zu kämpfen und auch zu sterben“. Damit wurde er deutlich konkreter als Bundeskanzlerin Angela Merkel. Weiter warnte er vor überzogener Kritik an Israel, „die die historischen Reflexe der Judenfeindschaft bedient“, und ging mit besonderem Nachdruck auf den „importierten Antisemitismus“ ein. Der dürfe nicht zum „Kollateralschaden einer falschen Flüchtlings- und Einwanderungspolitik werden“. Seine Fraktionskollegin Beatrix von Storch kritisierte in diesem Zusammenhang, daß die Bundesregierung „Judenhaß und Israelfeindschaft im Nahen Osten mit deutschen Steuergeldern finanzierte“. So sei das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) im Nahen Osten im Gazastreifen praktisch ein Teil der Infrastruktur der Hamas. In den UNRWA-Schulen werde das Existenzrecht Israels konsequent geleugnet, Terroristen und Selbstmordattentäter würden als Helden verklärt. Dennoch seien die deutschen Zahlungen an das UNRWA, „seitdem die Bundeskanzlerin amtiert, von drei Millionen Euro auf 80 Millionen Euro gestiegen“. 

In den anderen Fraktionen stieß die äußerst proisraelische Rede Gaulands auf Ablehnung. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt entgegnete ihm: „Wir können nicht ernst nehmen, was Sie über das Existenzrecht Israels und den Antisemitismus in Deutschland sagen.“ Bereits am Vortag war AfD-Politikern klar gemacht worden, daß sie bei den Demonstrationen gegen Antisemitismus nicht willkommen seien. Und der neue Antisemitismusbeauftragte betonte, daß die AfD ein „durchschaubares Manöver“ fahre, das sich gegen die Muslime richte, wenn sie sich als Verbündete der Juden inszeniere. 

Auf Unverständnis stößt der deutsche Umgang mit Antisemitismus derweil ausgerechnet in Israel. So zeigte sich Yair Lapid, liberaler israelischer Oppositionspolitiker, gegenüber Welt Online empört über den „hochproblematischen“ Rat Schusters, die Kippa abzulegen. Er empfiehlt Juden trotz der „nicht hinnehmbaren Zustände“ in Deutschland, die Kopfbedeckung weiterhin zu tragen – „und einen Stock, um euch zur Not zu verteidigen“.