© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/18 / 04. Mai 2018

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Leere aus der Vergangenheit
Paul Rosen

Der Bundestag ist mal voller und mal leerer – aber immer voller Lehrer“, lautete ein Bonner Bonmot. Das stimmt längst nicht mehr. Pädagogen sind seltener geworden, dafür rückt als Ursprungsberuf „Assistent eines Abgeordneten“ vor. Über leere Stühle im Plenarsaal wird seit langem geklagt. Von den Abgeordneten heißt es stets, parallel zu den Sitzungen würden Ausschüsse und Gremien tagen. 

Der Ablauf einer Bundestagswoche ist fest gefügt: Montags reisen die Abgeordneten an, dann sind erste Landesgruppensitzungen, aber auch schon öffentliche Anhörungen der Ausschüsse. Der Dienstag ist den Sitzungen der Fraktionen und ihrer Arbeitskreise vorbehalten. Mittwochs tagen die inzwischen 24 Bundestagsausschüsse, und ab dem Nachmittag beginnen die Bundestagssitzungen. Donnerstag ist Plenartag, an dem allerdings Untersuchungsausschüsse und der Ältestenrat parallel tagen. Freitags tagt noch mal das Plenum bis zum Mittag. Dann ist Wochenende. 

Besonders am Mittwoch häufen sich die Sitzungen: Der Petitionsausschuß beginnt ganz früh, etliche Ausschüsse fangen um neun Uhr an, andere um elf. In der Mittagszeit sind oft Anhörungen, am Nachmittag wieder – parallel zum Plenum – Ausschußsitzungen. Die AfD will das Gedränge mit einer Änderung der Geschäftsordnung entzerren. Sitzungsüberschneidungen sollen nicht mehr sein. Denn die neue Fraktion hat ihr anfangs eindrücklich umgesetztes Vorhaben, im Plenum für höhere Anwesenheitsquoten zu sorgen, nicht mehr durchhalten können. Für Stefan Brandner (AfD) ist daher klar: „Wir fangen einfach am Montag etwas eher an, oder wir machen Freitag etwas länger, oder – o Schreck für die Altparteien – wir kommen einfach häufiger nach Berlin und machen unsere Ausschußsitzungen außerhalb der Sitzungswochen.“ Man brauche als MdB auch nicht neun Wochen Sommerferien, ergänzte Bernd Baumann (AfD).   

Der Schreck saß bei den Etablierten wirklich tief. Der CDU-Abgeordnete Michael Brand regte sich über die AfD auf: „Wenn Sie mit dem Tempo nicht mithalten können, müssen Sie es lassen.“ Ein volles Plenum bedeutet für Brands CDU-Kollegen Patrick Schnieder offenbar Diktatur: „Das eine Parlament hat in der Kroll-Oper getagt und das andere in Erichs Lampenladen. In diese Zeiten wollen wir nicht zurück.“

Das will natürlich niemand, aber Abgeordnete wie Matthias Bartke (SPD) sollten besser nicht den Eindruck erwecken, daß bei überwiegend leerem Plenum alle in den Ausschüssen wären. So oft tagen die auch nicht. Gegenüber vom Reichstag sind hingegen sehr viele MdBs zu finden: in der Bundestags-Bar und im Restaurant der noblen Parlamentarischen Gesellschaft, für Wähler übrigens eine „No-go-Area“. Mittwochs und donnerstags, wenn der Plenarsaal fast leer ist, drängen sich dort jede Menge Volksvertreter an von Verbänden gesponserten Buffets. Beliebt sind auch die Freitische in den Vertretungen der Bundesländer. Warum auch ins Plenum gehen, fragen sich Abgeordnete wie Bartke, denn das funktioniere „auch mit nur einem Teil der Abgeordneten“.