© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/18 / 04. Mai 2018

Pausenloses Eigenlob
Hollywood, Bollywood, Nothingwood: Sonia Kronlunds Dokumentation „Meister der Träume“ porträtiert den afghanischen Filmemacher Salim Shaheen
Sebastian Hennig

Schon  unter der Herrschaft der Taliban hat die französische Radioreporterin und Filmemacherin Sonia Kronlund für France Culture aus Afghanistan berichtet. Mit dem Dokumentarfilm „Meister der Träume“ porträtiert sie zugleich den afghanischen Filmemacher Salim Shaheen und dessen Heimatland. Um dem pausenlosen Eigenlob des Protagonisten zu entgehen folgt sie ihm bei der Arbeit, zumeist unter dem freien Himmel einer vegetationslosen Landschaft. „Ich habe festgestellt, daß ich mitspielen muß, um zu verhindern, daß Shaheen alles bestimmt – daß ich auch eine Figur werden und unsere Beziehung ein wenig inszenieren muß. Ich habe mich für eine Randfigur entschieden. Es war aber nicht immer gespielt, ich hatte häufig wirklich Angst!“

Als sie Bedenken äußert, gibt Shaheen sich überzeugt, es würde ihnen nichts geschehen. Er tröstet: „Und wenn etwas passiert, dann sterben wir für die Kunst.“ Die Stunde des Todes sei vorherbestimmt, zuvor könne niemandem etwas geschehen. Er spricht aus der Erfahrung eines doppelt Überlebenden. Den Angriff der Mudschaheddin auf die Festung Maimana entkommt er 1982 unter Leichen versteckt als einziger Angehöriger der regulären Truppen. Die Szene wird für ein autobiographisches Filmepos mit dem Blut eines frischgeschlachteten Huhns präpariert. Im Bürgerkrieg der frühen neunziger Jahre kamen durch einen Raketenangriff während der Dreharbeiten zum Film „Gardad“ zehn seiner Mitarbeiter um. Die Überlebenden wurden verarztet und arbeiteten auf Krücken weiter. 

Der Tausendsassa hat über hundert Filme gedreht 

Gemeinsam mit ihrem Kameramann folgt Kronlund dem provisorischen Drehstab zu sechstägigen Aufnahmen nach Bamiyan. Sie sagt: „Er redet viel und hat eine sonderbare Art, die Realität zu seinem Vorteil zu formen.“ Er ist ein furchtloser Macher und reißt in dem lethargischen Land alle mit. Vorübergehend bekommt die Regisseurin durch ihn eine Rolle im melodramatischen Geschehen seiner Künstlerbiographie zugewiesen. Während sich das wirkliche Geschehen um die furchtsame Sonia und den tapferen Salim ereignet, wird dieser zugleich durch sie gefilmt, wie er sein eigenes Leben für den Film darstellen läßt. Kultur- und Filmtheorethiker hätten ihre helle Freude an dieser Verschiebung der Ebenen.

Shaheen ist der Prototyp eines Autorenfilmers. In der Regel ist er nicht nur Produzent, Autor und Regisseur, sondern auch tanzender, reitender und kämpfender Hauptdarsteller. Noch mehr steht er im Mittelpunkt, weil sein wirkliches Leben zum filmischen Mythos gemacht wird. Der Sohn eines Polizisten wurde in den sechziger Jahren in Kabul geboren. Seine Vorliebe fürs Kino läßt ihn zum Gespött werden. Der als Frau verkleidete Schauspieler Qurban Ali prügelt als zornige Tante den jungen Cineasten mit einem Holzscheit. Verblüffend ist der lockere Umgang der einfachen Leute mit dem weibischen Getue, das Ali auch außerhalb der Dreharbeiten eigen ist. Er ist ein Künstler. Da nimmt man es nicht so genau. Seine Frau teilt diese Einstellung. Ihr Blick verhärtet sich erst, als ihr Mann erzählt, daß ihm Salim Shaheen der liebste Mensch ist. Die Empfindungen eines Vaters, der seine spielfreudige Tochter zum Filmdreh begleitet, spalten sich in die zwei Klischees von der Tochter als ehrbarer Jungfrau und verführerischer Diva. Letztlich bangt er wohl nicht mehr als jeder Vater um seine Tochter. Kronlund meint: „Die afghanische Gesellschaft ist gar nicht so rigoros unaufgeschlossen, wie man meinen könnte. Deshalb ist es auch so interessant, Dokumentarfilme darüber zu drehen und diese Komplexität zu zeigen!“ Seine zwei Frauen hält der „Herr der Träume“ allerdings vor der Kamera verborgen. Nur die Söhne präsentiert er stolz. 

In der Zeit des kommunistischen Putsches dreht Shaheen seine ersten Kurzfilme. Während sein Bruder bei der sowjetischen Invasion fällt, kann er sich in den Iran absetzen. Nach seiner Rückkehr wird er 1981 eingezogen und überlebt nur knapp einen Angriff. Er fügt sich einer arrangierten Hochzeit und dreht mit einer VHS-Kamera den ersten Langfilm. Während der Präsidentschaft Nadschibullahs arbeitet er für die staatliche Produktionsfirma Afghan Film. Nach dem Abzug der Russen gründet er Shaheen Films und betreibt ein Kellerkino. Vor den Taliban flieht er abermals nach Pakistan. Unter Hamid Karzai dreht er dann zehn Filme im Jahr.

Inzwischen hat der korpulente Tausendsassa über hundert Filme gedreht. Die meisten waren nach vier Tagen im Kasten. Shaheens Darsteller sind Laien wie er. Soldaten und Polizisten spielen sich selbst. Manche lassen sich die Mitwirkung etwas kosten. Shaheen charakterisiert sein Wirken mit dem Bonmot: „Dies hier ist nicht Hollywood, nicht Bollywood, es ist Nothingwood.“ 

Im Innersten meint er es ernst und fordert seine französische Kollegin auf, sie solle nicht soviel lachen und besser Tee trinken: „Laß diesen Tee dein Herz zum Klingen bringen.“