© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/18 / 11. Mai 2018

„Wir sind keine Chauvinisten oder engstirnige Nationalisten“
JF-Besuch bei den Identitären in Halle: Aktivisten mit hochtrabenden Zukunftsidealen und fragwürdiger Vergangenheit in unfriedlicher Gegenwart
Martina Meckelein

Im dunklen Flur müffelt es noch nach dem letzten Buttersäureangriff der Linksextremisten. Ein Feuerlöscher steht auf den Fliesen, Rennräder lehnen an der Wand. Vom Flur geht es rechts in einen Veranstaltungsraum mit einem Jugendstilbuffet, Sofa und Kneipenmobiliar. Philip Thaler (24), Student der Wirtschaftswissenschaften und Politik, peilt eine Wand zwischen zwei Fenstern an. „Wo soll bloß die Johanna von Orléans hin?“ fragt er sich und hält ein großformatiges Bild der Heiligen in beiden Händen. Sie ist eines der Vorbilder der Identitären Bewegung. Der rechte Platz muß für sie noch gefunden werden.

Zu den Vorbildern gehören auch, wie Thaler und Mario Müller (29), freier Autor und Sprecher der IB in Halle, aufzählen, „die Helden der Reconquista“, Prinz Eugen und Ernst Jünger. Müller: „Aktionistisch sind auch durchaus Greenpeace, die APO von ’68 und Rudi Dutschke ein Vorbild.“ Ob der Verleger Götz Kubi­t­schek auch dazu gehört? „Nein, der ist kein Vorbild, der ist ja noch nicht tot, Vorbilder müssen tot sein“, sagt Thaler, und Müller ergänzt: „Kubitschek ist für uns ein Aktivist, ein politischer Partner, der hat wichtige Arbeit gemacht.“ 

Es geht nicht mehr nur      allein um Deutschland

Was ist das denn nun für eine geheimnisumwobene Bewegung, die von Linksextremisten bekämpft und vom Verfassungsschutz beobachtet wird? Die JF war zur Stippvisite bei den Identitären in Halle.

Das Haus in der Adam-Kuckhoff-Straße, mitten im Studentenviertel, ist unübersehbar. Die Fassade ist durch Anschläge der Linken verschmiert. „Im vergangenen Jahr wurde das Haus achtmal angegriffen“, sagt Müller. Es brannte, und Pflastersteine flogen.

Bis vor einem Jahr war es hier ruhig. Dann wurde das Haus verkauft. „Es gehört einem privaten Investor“, sagt Müller. „Jede Etage ist vermietet, an uns, dann ‘Ein Prozent’, das Institut für Staatspolitik und Hans-Thomas Tillschneider von der AfD.“

Halle ist der bekannteste Standort dieser neurechten Jugendbewegung. 2012 begann alles in Frankreich. Heute sind IBler vernetzt in Deutschland, Österreich, Großbritannien, Dänemark, Tschechien und Ungarn. Müller: „Wir kritisieren die Masseneinwanderung und Islamisierung. Wir leben hier im Kleinen vor, was wir uns im Großen für unser Land wünschen. Gemeinsamkeit, Treue, tugendhaftes Leben. Und wir werden unsere Ideale nicht verraten. Wir würden eher aus Treue zu ihnen scheitern, als sie zu verraten.“

Für ihre Ideale müssen, laut Müller und Thaler, die Mitglieder der IB Anfeindungen aushalten. „Jobverlust ist der Klassiker“, sagt Müller. Aber es ginge nicht nur um die wirtschaftliche Existenz. Auf Schlägereien mit Linken müsse jedes Mitglied gefaßt sein. In Halle gehört es dazu, zweimal die Woche Sport zu treiben. „Schon um die politischen Aktionen durchzustehen, wie die beim Brandenburger Tor“, erklärt Müller. „Wir fördern aber auch den Kampfsport“, sagt Thaler, „um sich selbst zu erden.“

Mit der NPD wollen die IBler nicht in einen Topf geworfen werden. „Wir wollen im 21. Jahrhundert zeitgemäße Antworten geben“, sagt Müller. „Wir sind keine Chauvinisten oder engstirnige Nationalisten.“ Dabei war Müller früher Mitglied der Jugendorganisation der NPD. „Rückblickend war das total bescheuert“, sagt er. „Es gab damals keine aktivistische Alternative gegen die Islamisierung, aber der Weg war der falsche. Wir merkten, daß der Nationale Widerstand sich nicht reformieren läßt. Heute fangen wir 16jährige auf, damit sie nicht dieselben Fehler wie wir begehen.“

Müller geht es heute nicht mehr nur um Deutschland: „Wir treten für das patriotische Selbstverständnis der Deutschen und Europäer ein. Das ist unser Konsens. Daß Deutschland und Europa das 21. Jahrhundert überstehen und unsere Kinder nicht als Minderheit im eigenen Land aufwachsen sollen.“ Müllers Antrieb ist seine Angst: „Wir werden ausgetauscht. Das zeigen demographische Zahlen. Die unter 35jährigen werden die Minderheit im eigenen Land werden. Am Ende geht es uns darum, einen Bürgerkrieg in Deutschland und Europa zu verhindern.“