© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/18 / 11. Mai 2018

Verzichten hilft nur bedingt
Eurokrise: Weitere Schuldenerleichterungen für Griechenland / Was haben die Rettungshilfen bislang gekostet?
Dirk Meyer

Schon wieder Griechenland? Das dritte Hilfsprogramm läuft zwar erst am 20. August aus, doch bereits jetzt wird ein viertes Rettungspaket diskutiert. Erleichternde Kreditkonditionen bis hin zu einem offenen Schuldenschnitt sind im Gespräch. Doch wie sieht die bisherige Bilanz aus? Insgesamt hat Griechenland 272,7 Milliarden Euro an subventionierten Krediten erhalten. Im April lagen die Staatsschulden bei 320 Milliarden Euro. Das entspricht 175,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Der Kapitalmarktzugang wäre mittelfristig versperrt. Beim Euro-Beitritt 2001 hatte die Schuldenquote noch bei 106,8 Prozent gelegen.

Schuldenerleichterungen oder freiwillige Forderungsverzichte umfassen verschiedene Maßnahmen. Ein Schuldenschnitt (Haircut) kommt einer anteiligen Reduzierung der Forderungen gleich. Des weiteren können Zinssatz, Tilgungsverlauf und Laufzeit zugunsten des Kreditnehmers angepaßt werden. Allen gemeinsam ist eine Minderung der Kreditlast des Schuldners.

Wegweisend war der Schuldenschnitt privater Gläubiger Anfang März 2012. Da von dem 206 Milliarden Euro schweren Anleihevolumen 177 Milliarden Euro griechischem Recht unterlagen, machten nachträglich eingeführte CAC-Klauseln (Collective Action Clauses, JF 3/13) eine Zwangsumschuldung möglich. Private Gläubiger mußten nominal auf 107 Milliarden Euro verzichten. Dies entspricht einem Forderungsausfall von 54 Prozent. Gleichzeitige Zinssenkungen und Laufzeitverlängerungen steigerten den Ausfall auf etwa 75 Prozent.

Deutsche Gläubiger waren mit 20 Milliarden Euro betroffen. Davon trugen private Banken, Versicherer und Fonds sechs Milliarden Euro. Für 14 Milliarden Euro kamen indirekt die Steuerzahler auf. So entfielen auf die Bad Bank der Hypo Real Estate 8,9 Milliarden Euro, auf die West LB 700 Millionen Euro, auf die KfW-Gruppe 210 Millionen Euro, der Rest auf andere (teil-)staatliche Institute (Sparkassen, Landesbanken, Commerzbank).

Von dem Schuldenschnitt ausgenommen waren Kreditpapiere im Umfang von 53 Milliarden Euro anderer Eurostaaten, 20 Milliarden des Währungsfonds IWF sowie 56 Milliarden der Europäischen Zentralbank. Da die EZB die gleichen Anleihen hielt wie die Privaten, konnte die Zentralbank sich nur durch einen Trick von Verlusten freihalten. Um dem Vorwurf zu entgehen, gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung zu verstoßen, befreite sich die EZB durch die Einführung einer neuen Wertpapierkennummer.

Im November 2012 beschlossen die Euro-Finanzminister weitere Schulden­erleichterungen. Die Maßnahmen umfaßten beispielsweise eine Laufzeitverlängerung der Rettungskredite um 15 auf 30 Jahre bis ins Jahr 2042 sowie eine Zinsabsenkung um einen Prozentpunkt, dazu einen Zinsaufschub für die ersten zehn Jahre bis 2022. Die geänderten Kreditkonditionen führten zu Einsparungen von mindestens 47 Milliarden Euro, was einem Schuldenverzicht von 37 Prozent entspricht. Davon trägt Deutschland 13,8 Milliarden Euro.

Wertpapierankäufe erzielten Buchgewinne

Zu den weiteren Maßnahmen gehörte auch ein Schuldenrückkauf. Mit Hilfe eines Rettungsfonds-Kredites zu günstigen Zinskonditionen konnte Griechenland Altschulden aus den Händen Privater zum vergleichsweise niedrigen Marktkurs zurückkaufen. Mit einem 11,3 Milliarden Euro Hilfskredit wurden Anleihen zu Kursen zwischen 30 und 40 Prozent von nominal zirka 30 Milliarden Euro aufgekauft. Allein dieser „Voodoo-Zauber“ minderte die Schulden um 20 Milliarden Euro. Das Problem dabei: Einher ging eine Kreditverlagerung auf öffentliche Gläubiger, die zukünftig die Kreditrisiken zu tragen haben.

Hedgefonds zählten zu den Gewinnern, die sich im März 2012 zu günstigen Marktkursen mit Anleihen spekulativ eingedeckt hatten und jetzt etwa 50 Prozent Gewinn machen konnten. Schließlich beschlossen die Euro-Staaten, die von ihren nationalen Zentralbanken aus dem SMP-Programm (Securities Markets Programme) im Rahmen der Wertpapierankäufe erzielten Buchgewinne auf ein griechisches Sonderkonto zu überweisen: Vorteil zehn Milliarden Euro.

Im Rahmen der Hilfsprogramme bezieht Griechenland seine Kredite vom Rettungsfonds ESM, der sich seinerseits am Kapitalmarkt refinanziert. Diese „Umwegfinanzierung“ ergibt weitere Vorteile für Griechenland, da der Fonds lediglich kostendeckend arbeiten muß. Kosteneinsparungen aus einem effizienten Schuldenmanagement werden weitergereicht. Der ESM schätzt diesen Finanzierungsvorteil Griechenlands für den Zeitraum 2011 bis 2016 auf 9,9 Milliarden Euro. Dabei bleibt ein unrealistisch niedriger Risikoaufschlag bei Durchschnittszinssätzen von etwa 1,2 Prozent jährlich unberücksichtigt.

Im Januar 2017 beschloß der ESM weitere Schuldenerleichterungen: Die durchschnittliche Laufzeit wurde auf 32,5 Jahre erhöht, die Zinsmarge gemindert und das Zinsänderungsrisiko im Umfeld steigender Zinsen durch einen Festzins gesenkt. Der Vorteil für Griechenland kann aufgrund des langen Finanzierungszeitraumes und der Unwägbarkeiten des Kapitalmarktumfeldes nur sehr grob geschätzt werden. Der ESM gibt die Einsparungen bis 2060 mit einer Reduzierung der Schuldenstandsquote um 25 Prozentpunkte an, entsprechend 45 Milliarden Euro auf der Basis des BIP von 179 Milliarden Euro (2017).

Eine grobe Abschätzung der gesamten Schuldenerleichterungen bewegt sich zwischen 280 und 298 Milliarden Euro. Dies entspricht mehr als dem Eineinhalbfachen des griechischen BIP oder etwa 90 Prozent der griechischen Staatsschulden. Ausblickend läßt sich feststellen, daß jede zukünftige Schulden­erleichterung die Euro-Rettungsstaaten und die EZB infolge der Kreditverlagerung vermehrt belasten wird. Demgegenüber wäre ein Scheitern Griechenlands, verbunden mit einem Austritt aus dem Euro, eine Warnung für den nächsten Krisenkandidaten: Italien.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.