© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/18 / 11. Mai 2018

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Michael Klonovsky hat unlängst in München unter dem Motto „Zukunft braucht Wurzeln“ einen ebenso klugen wie unterhaltsamen Vortrag über das Konservative in der Gegenwart gehalten (man kann ihn auf seiner Netzseite www.michael-klonovsky.de nachhören). Dabei entwickelt er den Gedanken, daß sich der Konservative paradoxerweise in Front gegen die aussichtsreichste „Konservative Revolution“ gestellt sieht: den fundamentalistischen Islam. Es wäre vielleicht zu ergänzen, daß es auf der anderen Seite noch eine andere offene Flanke gibt. Da stehen die Konjunkturkonservativen, womit nicht die Spätbekehrten gemeint sind, sondern jene, die sich das modische Mäntelchen umhängen, mit keiner anderen Absicht als der, den Status quo zu bewahren.

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Spengler A: Zu den unbekannten Rezeptionen Oswald Spenglers gehört die durch den Sozialdemokraten Julius Leber. Er befaßte sich 1933 in „Schutzhaft“ mit dem „Untergang“, aber auch mit den „Politischen Schriften“ und deutete die Machtübernahme Hitlers als Vorstufe jenes Cäsarismus, den Spengler als notwendige Phase der weiteren Entwicklung angekündigt hatte. Man könnte auch Lebers Erwägung zu den Nachteilen der Demokratie in diesen Kontext einordnen: „Abschaffung der Demokratie kann (…) ihre innere Rechtfertigung haben, wenn große Aufgaben nicht anders zu lösen sind als in Unfreiheit, Diktatur und rücksichtsloser Machtanwendung.“ Nur setze das voraus, daß die „Aufgaben wirklich angepackt werden“, und das sei den Nationalsozialisten nicht zuzutrauen. Eine Feststellung, in der sich Leber wieder mit Spengler traf.

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Zu den merkwürdigen Beschäftigungen bürgerlicher Zeitungen gehört die Sorge um das Wohlergehen der Linken. Nicht die taz oder die Frankfurter Rundschau (gibt’s die eigentlich noch?), nicht der Freitag von Jakob Augstein oder die Badische Zeitung, sondern die Zeit und die Welt und selbstverständlich auch die FAZ machen sich regelmäßig Gedanken darüber, wie es mit der Linken weitergehen soll, was gegen ihr Schwächeln zu tun ist. Die neueste Therapie hat Konrad Schuller vorgeschlagen, in einem Leitartikel der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (Ausgabe vom 29. April). Allerdings so ganz neu ist sie dann doch nicht, denn es geht um die Einheit der Arbeiterklasse, jenen Ladenhüter, den die Kommunisten zuerst in der Phase des Untergangs der Weimarer Republik erprobt hatten und dann wenigstens teilweise in der Ostzone verwirklichen konnten. Was immer zur Rechtfertigung dieser ersten „Sozialistischen Einheitspartei“ geschrieben und gesagt wurde, es täuschte doch nicht darüber hinweg, daß man etwas wieder zusammenzwingen wollte, was aus guten Gründen getrennt worden war: die Sozialdemokratie, die faktisch den utopischen Zukunftsstaat und das Revolutionsgerede aufgegeben hatte, um sich konkreten Reformprojekten zuzuwenden, und der Kommunismus, getragen von einer tendenziell terroristischen Vereinigung, die bereit war, jedes Mittel zu ergreifen, um ihre absurden Ziele zu erreichen. Bevor jetzt also darüber nachgedacht wird, die Krise der SPD dadurch zu bewältigen, daß man ihr die Verschmelzung mit der Linken nahelegt, sollte dieser Sachverhalt zur Kenntnis genommen werden, und dann könnte man vielleicht noch die peinliche Beschwörung der antifaschistischen Solidarität unterlassen, die nur dazu dient, sich um die Unterscheidung der Geister zu drücken.

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Spengler B: Zur Wirkung Spenglers im Ausland noch zwei Bemerkungen. Die erste betrifft Olier Mordrel, bretonischer Aktivist, der in engem Kontakt zu deutschen Nationalrevolutionären (vor allem dem Kreis um Friedrich Hielscher) stand und in seiner Zeitschrift Stur („Steuerrad“) nicht nur regelmäßig auf die Geschichtsphilosophie Spenglers zurückkam, sondern auch eine Variante des „preußischen“ als „bretonischem Sozialismus“ propagierte. Mordrel (1901–1985) war im Hauptberuf Architekt und von den Häusern, die er entworfen hat, steht in Quimper im Département Finistère wenigstens noch eins im Art déco, dessen Kühnheit sicher Spenglers ästhetischen Vorstellungen entsprochen hätte. Auch in dem zweiten Fall gab es direkte Berührungen zu den Trägergruppen der rechten Intelligenz in Deutschland. Denn es geht um Rolf Gardiner, einen britischen Pfadfinderführer, der sich sehr für die „Bündischen“ interessierte und in den 1920er Jahren Treffen zwischen deutschen und englischen Jugendlichen organisierte, um eine Versöhnung der ehemaligen Kriegsgegner anzubahnen. Gardiner (1902–1971) muß den „Untergang“ schon kurz nach Erscheinen kennengelernt haben und sprach von Spenglers „verehrungswürdiger, aber satanischer Einsicht“. Seine Überzeugung, daß wir einem „dunklen Zeitalter“ entgegengehen, führte bei Gardiner aber keineswegs zu Resignation, sondern zu der Entschlossenheit, sich der Dekadenz entgegenzustemmen und Zellen zu bilden, in denen eine Regeneration möglich sein würde.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 25. Mai in der JF-Ausgabe 22/18.