© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/18 / 11. Mai 2018

Zerrissene Existenzformen
Kino: Der Film „Was werden die Leute sagen“ handelt vom Heranwachsen einer in Norwegern lebenden Pakistanerin und kulturellen Konflikten
Sebastian Hennig

Was werden die Leute sagen“ ist der zweite Spielfilm der Regisseurin und Drehbuchautorin Iram Haq. Ihm liegen eigene Erfahrungen der in Norwegen aufgewachsenen Pakistanerin zugrunde. Im Alter von vierzehn Jahren sei sie von ihren Eltern zu Verwandten nach Pakistan entführt worden. Zuvor allerdings hatten die Eltern ihr Kind in eine ihrem Heimatvolk fremde Umgebung gepflanzt. Im Gegensatz zu ihnen ist es dann dort aufgewachsen und hat sich den Gepflogenheiten angepaßt oder vielmehr der Gewohnheit, die an Stelle der alten Sitte getreten ist.

Die Regisseurin witterte in der schwierigen Situation einen bemerkenswerten Filmstoff. Die achtzehnjährige Maria Mozhdah ist die Hauptdarstellerin der fünfzehnjährigen Nisha. Sie wurde in Pakistan geboren und wuchs in Norwegen auf. Nishas Vater Mirza ist ein erfolgreicher, angesehener und gleichwohl parallel-vergesellschafteter Geschäftsmann. Seine Tochter ist gescheit und lernt gut in der Schule. Die Freunde beneiden ihn um den hoffnungsvollen Nachwuchs. Dieses wie in Kunstharz gegossene Idyll bekommt Sprünge, als der norwegische Schulfreund Daniel (Isak Lie Harr) eines Nachts durchs Kinderzimmerfenster zu seiner exotischen Freundin einsteigt. Nur mit Mühe kann der Vater davon abgehalten werden, den Ertappten bewußtlos zu schlagen.

Überzeugend wird der Vater von dem in Indien sehr beliebten Adil Hussain gespielt, der vor allem mit seiner Rolle in „Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger“ (2002) von Ang Lee bekannt wurde. Die Schauspieler sprechen im Originalton Norwegisch und Urdu. Das Drama des Films ist einfach das alltägliche einer Heranwachsenden, die zwischen den Milieus der Eltern und der Altersgenossen ihren Weg sucht.

Schwierig wird es, weil der willkürlich entstandene Gegensatz unüberbrückbar ist. Das übliche Generationsmilieu entspricht einem ethnisch-kulturellen. Das ursächliche Problem besteht nicht in der familiär betriebenen Abschottung von der westlichen Gesellschaft, sondern in der unsinnigen Entrückung der pakistanischen Familie in die nordeuropäische Umgebung. Die Verheißungen einer jungen Zivilisation gehen an einer alten Kultur zuschanden.

Die Kluft zwischen den Kulturen bleibt tief

Entmischung der Elemente soll nun die gefährliche Kettenreaktion unterbinden. Vater und Bruder täuschen Nisha einen Ausflug vor. Das Ziel der Reise wird ihr beharrlich verschwiegen. An der Fähre kehrt der Bruder um. Der Vater begleitet seine Tochter mit dem Flugzeug nach Pakistan, wo sie städtischen Verwandten übergeben wird. Solide Bindung soll das Mädchen fortan vor der westlichen Libertinage bewahren. Dabei hat die traditionelle Lebensweise mit dem Islam ungefähr soviel zu schaffen wie die schwäbische Kehrwoche und der erzgebirgische Hutzenabend mit dem Christentum. Wie bedauerlich wäre es, wenn das Füreinandereinstehen der emanzipatorischen Vereinzelung zum Opfer fiele. 

Mit Bockigkeit, Unlust und einem törichten Fluchtversuch strapaziert Nisha die Geduld ihrer Gastgeber. Doch letztlich muß sie sich arrangieren. Dann erwächst eine Romanze zum Sohn der Familie, Asif (Ali Arfan). Nächtens in der Stadt werden sie von korrupten Polizisten aufgegriffen und gewaltsam zu erniedrigenden Handlungen gezwungen. Die Beamten erpressen mit den Fotos Geld. Asif beugt sich der Familienräson und rückt von ihr ab. Der alte Konflikt hat sie eingeholt. 

Filme dieser Art sind ausschließlich für ein romantisierendes westliches Publikum gemacht, das halb abgestoßen und halb fasziniert ist vom unbedingten Lebensgesetz und Zusammenhalt der Fremden. Die sture Leidenschaft ohne Lieblichkeit läßt solche Staumauern angemessen wirken. Nisha entzieht sich letztlich erfolgreich allen Ehrengerichten und Umerziehungen. Ihre endgültige Abkehr von den Eltern ist nur der Vollzug von deren Entscheidung, zunächst nach Deutschland zu gehen und sich später in Norwegen eine Existenz aufzubauen. 

Die Regisseurin wollte die Geschichte in einer Weise erzählen, „in der das Mädchen Nisha nicht nur als Opfer und ihre Eltern nicht bloß als Täter erscheinen“. Eine „unmögliche Liebesgeschichte zwischen Eltern und ihrem Kind (…), die kein glückliches Ende haben kann, solange die Kluft zwischen diesen beiden Kulturen so tief ist“.

Diese Kluft bleibt tief, solange wie sie zu beiden Seiten von den Massiven der Kultur umgeben ist. Erst wenn diese zur indifferenten Zivilisation abgeschliffen ist, findet alles zusammen. Es darf aber bezweifelt werden, ob das niedrige Niveau noch als Glück empfunden wird. Jeder sollte nach seiner Fasson glücklich sein. Schmerzlich vermischte Existenzformen müssen sich entscheiden, ob es die Fasson der Eltern sei oder die der alltäglichen Umgebung. Objektiv richtig ist keines von beiden. Bliebe jeder an seinem Ort, würde sich sein Leben erfüllen in einer ihm gemäßen Gestalt. 

Kinostart am 10. Mai 2018  wwdls.pandorafilm.de