© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/18 / 11. Mai 2018

Naheliegende Bedeutung der sichtbaren Welt
Bildnerische Verdichtung: Zwei Ausstellungen zum 80. Geburtstag des Malers Klaus Fußmann in Schleswig und Potsdam
Sebastian Hennig

Der Kunsthistoriker Werner Haftmann kennzeichnete 1976 den Maler Klaus Fußmann als jemanden, der sich „ohne großen Protest von den Gespinsten der modernistischen Theorien abwendet.“ Als der junge Künstler zu seiner eigenen Bildwelt aufbricht, da tönt aus Übersee gerade der vergängliche Ruhm einer Manier namens Hard Edge herüber. Scharf getrennte, geheimnislose Farbflächen versperren jeden Rückschluß auf den Vorgang einer Bildentstehung.

Diese geringe Durchlaßweite für den persönlichen Ausdruck besiegelt eine stille Abkehr von der formlosen Malerei. Die nichtgeometrischen informelle Malerei war bereits bestrebt, das Machen des Bildes mit sich selbst zu verhüllen. Der Farbauftrag war ein rein motorisches Ereignis. Fußmann bekundet im größten Gegensatz dazu: „Ich sehe alles euphorisch. Dadurch wird gerade der Vortrag von Bedeutung. Dadurch wird Kunst daraus.“ Gerade diese Resonanz auf die sichtbare Welt führt dann zu rein malerischen Ereignissen.

Klaus Fußmann wurde 1938 in Velbert geboren und studierte von 1957 an vier Jahre an der unweit gelegenen Folkwangschule in Essen. Als er von 1962 bis 1966 an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin-Charlottenburg sein Studium fortsetzt, findet er sich in einer sterbenden Stadt wieder. Ganze Straßenzüge stehen leer und werden vom Senat angekauft. Die Stadt der leeren Räume läßt sich besiedeln mit der Vorstellungskraft der Malerei.

In Mangel und Kälte tastet sich der junge Künstler unbeirrt vorwärts auf einer Bahn, die er bis heute unablässig verfolgt. Anders als in den rheinischen Provinzen ließ sich die ehemalige Walstatt Berlin nicht so schnell mit einer Folie erborgter Fortschrittlichkeit abdecken. „In Berlin war es ehrlich, alles Vorherige konnte ich vergessen“, sagt der Maler im Rückblick.

Während Fußmann das Motiv von sich erzählen läßt, berichtet die Malerei von ihrem Fortgang. In dieser Verschränkung von Aufnehmen und Wiedergeben liegt die wichtigste Mitteilung aller Malerei. Dieser Reiz wäre längst von den redseligen Diskursen über Wahrnehmung verschüttet worden, gäbe es da nicht Maler wie Klaus Fußmann, welche die Malerei mit jedem Bild wieder zum Ereignis werden lassen, ohne die Wahrnehmung zu verleugnen.

An die West-Berliner Hochschule wird er 1974 als Professor berufen. Um diese Zeit findet er in Gelting an der Ostsee einen Ausgleich zur Stadt. In diesen beiden Landschaften finden nun die Ausstellungen zu seinem achtzigsten Geburtstag statt. Die Ausstellung „Klaus Fußmann. Menschen und Landschaften“ ist zeitgleich und beziehungsreich mit „Max Beckmann. Welttheater“ im Museum Barberini in Potsdam zu sehen. Auf den Großformaten nehmen die Figuren eine mythische Position in der Landschaft ein. Ein Flugzeug rast durch den Himmel, oder ein Ikarus fällt lotrecht wie ein Stein herunter. Das Museum Schloß Gottorf zeigt in der Reithalle unter dem Titel „Von Anfang an“ eine umfassende Werkschau des Malers.

Blumenbilder zeigen instinktiven Ordnungswillen 

Die frühen Gemälde aus den sechziger Jahren wie die Londoner Schule um Leon Kossoff und Frank Auerbach. Aus schrundigen Untergründe ragen sparsam markierte Figuren. Darin ist eine Stimmung aufgenommen, die wohl damals in der Luft lag. Die Interieurs der Siebziger werden verbindlicher und detailreicher. Farbbüchsen liegen auf den Dielen vor der weißen Wand des Ateliers. Durch das raumhohe Fenster darf das Licht ungehindert in den Raum strömen. Gedrechselte Stuhllehnen, Teetassen, weißes Porzellan. Lovis Corinth ist der Gewährsmann für dieses wackere Angehen der sichtbaren Welt.

Hier herrscht eine Unbekümmertheit, die nicht leichtfertig ist. In „Tisch mit weißem Tuch“ (1988) tritt das geraffte Tischtuch um so bauchiger hervor, je mehr er das Tischbein in der Fläche belassen ist. Das kreidige Spektrum der Stilleben lädt zum Vergleich mit Giorgio Morandi ein. Fußmann erstrebt nicht die metaphysische Szenerie des Bolognesers. Er läßt aus den Ansammlungen Schalen, Platten und Tassen kleine Gesellschaften hervorgehen. Von der Glasur der Feinbäckerei auf dem Bild „Herrentorte, Atelier Käuzchensteig“ (1974) glänzen die kandierten Kirschen wie Rubine.

Doch auch der Unrat wird farbig kostbar in der Malerei Fußmanns. Die Darstellungen „Selbst im Spiegel“ atmen etwas von der gespenstischen Romantik eines E. T. A. Hofmann. Da steht er eingebannt ins Kristall, wie Elis Fröbom im Bergwerk von Falun. Halbfiguren stehen vor knorrigem Astwerk. Sie könnten auf einer Schubertschen Winterreise sein. Chinesisch maskenhaft wie aus Porzellan erscheint Helmut Schmidt 1993 vor blauem Hintergrund. Unter dem Einstecktuch drängt sich eine Pranke in die Jackettasche. Der dicke Daumen ragt heraus.

Sechs Jahre nach der Wiedervereinigung zeigt er auf Anregung von Helmut Kohl in einer Ausstellung im Bundeskanzleramt, der Staatskanzlei Erfurt, dem Sächsischen Landtag in Dresden und dem Deutschen Historischen Museum in Berlin „Landschaften und Skizzen aus 16 Bundesländern“. In den Aquarellen ist die Entshetung besonders leicht und frisch nachzuvollziehen. In den neunziger Jahren wird der Farbauftrag der Ölgemälde pastos. Strommasten und Rapsfelder aus Farbbrei quellen mit dicken Graten über die Formate und lassen die Fläche zum Relief werden.

Die Küstenlandschaft ist vertreten mit der Bucht von Gelting, dem Strand bei Kronsgaard, dem Gut Panker. Dunkle Schatten geben der Darstellung Gerüst auch auf den Blumenbildern. Aus dem Umfeld der Herrentorte kommt der Gartenzwerg, der in seinem Geltinger Garten über den Blütenflor hinweg späht.

Bei den Blumenbildern erweist sich am deutlichsten der instinktive Ordnungswillen des Künstlers. Auf die Frage, was daran Kunst sei, hat er einmal geantwortet: Alles. Die strahlende Farbigkeit entgleist ihm nie ins Bunte.  „Schönheit läuft nebenher“, sagt Fußmann. „Sie ist nicht greifbar. Deshalb darf man im Bild auch nicht protzen.“

Jedes Blumenbild ist beängstigender Ausdruck der jähen Pracht und Trauer um dessen Vergänglichkeit. Der tiefste Gehalt liegt für uns an der Oberfläche. Die naheliegende Bedeutung der sichtbaren Welt in der bildnerischen Verdichtung zur Kenntnis zu geben, darin besteht die Noblesse dieses Malers.

Die Ausstellung „Klaus Fußmann. Menschen und Landschaften“ im Museum Barberini Potsdam ist bis 3. Juni 2018 täglich außer dienstags von 10 bis 19 Uhr zu sehen.

Zur Ausstellung erscheint ein Künstlerbuch in der Edition Peerlings mit Beiträgen von Jürgen Fitschen und Heinz Spielmann sowie 42 Bildtexten von Klaus Fußmann. Es kostet 20 Euro. 

 www.museum-barberini.com

Die Ausstellung „Klaus Fußmann. Von Anfang an“ ist bis zum 28. Oktober 2018 in der Reithalle von Schloß Gottorf in Schleswig täglich außer montags von 10 bis 16 Uhr, Sa./So. bis 17 Uhr, zu sehen. Der Katalog mit 199 Seiten kostet 20 Euro.

 www.schloss-gottorf.de