© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/18 / 11. Mai 2018

Die Küche der Weltrevolution hat geschlossen
Vor 75 Jahren löste sich die Komintern auf: Als ein Arm der Außenpolitik Stalins hatte sie in der alliierten Koalition ihren Sinn verloren
Stefan Scheil

Am 7. September 1939 war man in Moskau mit dem Gang der Dinge zufrieden. Kremlchef Josef Stalin gab gegenüber dem Geschäftsführer der kommunistischen Internationale (Komintern) die Parole aus, wie der gerade ausgebrochene große europäische Konflikt zu sehen sei: „Der Krieg wird zwischen zwei Gruppen kapitalistischer Staaten um die Aufteilung der Welt und um die Weltherrschaft geführt. Wir haben nichts dagegen, wenn sie ordentlich gegeneinander Krieg führen und sich gegenseitig schwächen. Es wäre nicht schlecht, wenn durch die Hand Deutschlands die Position der reichsten kapitalistischen Länder (besonders Englands) zerrüttet werden würde. Ohne es zu wissen und zu wollen, untergräbt Hitler das kapitalistische System.“

Komintern als Instrument stalinistischer Politik

Die Komintern mußte in diese Aussichten einbezogen werden und bildete zu jener Zeit eine Mischung aus Revolutionsmythos und subversiver Realität auf der obersten politischen Ebene. Wir haben es der getreuen Tagebuchführung des damaligen Kominternchefs, Georgi Dimitroff zu verdanken, daß solche Informationen die Zeiten überdauert haben und nach 1989 auch öffentlich zugänglich wurden. Sie erlauben einen direkten Blick in die Küche der Weltrevolution und die Zusammenhänge der sowjetischen Politik mit eben diesem Endziel der Umstürzung aller Verhältnisse. 

Womit dann auch belegt ist, was nach 1945 von der liberalen Geschichtsschreibung des Westens wie von der offiziösen Darstellung im realsozialistischen Osten jahrzehntelang geleugnet wurde: 1939 war man sich in Sowjetrußland sicher, die Deutschen in die Falle gelockt zu haben und wußte ganz genau, daß der in Berlin regierende „kleinbürgerliche Nationalismus“ diesen Krieg gegen den kapitalistischen Westen nicht gewollt hatte. Stalin sah sich deshalb in der gewünschten Position, wie Dimitroff weiter notierte: „Wir können manövrieren und die eine Seite gegen die andere aufhetzen, damit sie sich um so heftiger gegenseitig zerfleischen. Der Nichtangriffspakt hilft Deutschland in gewisser Weise. Bei nächster Gelegenheit muß man die andere Seite aufhetzen.“

Das geschah dann in vielfältiger Weise. Die Komintern tat als Instrument stalinistischer Politik ihr Bestes, um in Europa für allgemeine Zerrüttung zu sorgen. Sie blieb während der ganzen Zeit der scheinbaren sowjetischen Neutralität bis zum Beginn des sowjetisch-deutschen Krieges im Juni 1941 in diesem Sinn aktiv. Dimitroff legte stets Wert auf Rücksprache mit der Führung: „Wir streben die Zersetzung der deutschen Okkupationstruppen in verschiedenen Ländern an, und diese Aktivitäten wollen wir, ohne es an die große Glocke zu hängen, noch verstärken. Wird das die sowjetische Politik nicht behindern?“ fragte er im November 1940 im Kreml an. 

„Selbstverständlich muß man das tun. Wir wären keine Kommunisten, wenn wir diesen Kurs nicht einhalten würden“, lautete die Antwort von Josef Stalins rechter Hand Wjatscheslaw Molotow, zu dieser Zeit nicht nur sowjetischer Außenminister, sondern formal auch Staatschef der UdSSR. Eben gerade war er aus Berlin zurückgekehrt, wo man ihn vergebens bekniet hatte, einer längerfristigen Zusammenarbeit zuzustimmen. Angesichts dieser Umstände konnte kein Zweifel bestehen, daß die Komintern trotz ihres Namens eben keine „Internationale“ verschiedener kommunistischer Parteien darstellte, sondern als Instrument einer einzigen Partei verwendet wurde, der sowjetrussischen. 

Das bekam auch der Bulgare Dimitroff als der scheinbare Chef immer mehr zu spüren. 1933 hatte er sich illegal in Deutschland aufgehalten und wurde als Brandstifter des Reichstagsgebäudes angeklagt. Vor Gericht hatte er sich dann einen innerkommunistisch legendären Ruf als „Löwe von Leipzig“ erworben und wurde vom Vorwurf der Brandstiftung freigesprochen. 

Politisches Doppelspiel bei unklaren Fronten

Nun schrumpfte der Löwe immer mehr zum Befehlsempfänger. Auch die Komintern selbst verlor ihren Sinn. Als Instrument für ein politisches Doppelspiel bei unklaren Fronten hatte sie in der Frühphase des Zweiten Weltkrieges gute Dienste getan. Da nun der Weltkrieg eine überaus militärische und staatliche Sache geworden war, in der die Fronten einstweilen klar und öffentlich geworden waren, bestand für dieses Geschäftsmodell kein Spielraum mehr. 

So gab sich denn die stalinistische Sowjetunion als harmloser Verbündeter und tat den Westmächten den Gefallen. Im Mai 1943 mußte Dimitroff den Entwurf für die Auflösung der Komintern formulieren. Wer es glauben wollte, konnte die Weltrevolution für abgesagt halten. Es blieb für Josef Stalin jedenfalls der Ärger, trotz der optimistischen Aussichten von 1939 im Jahr 1945 letztlich nur in Berlin eingezogen zu sein, nicht auch in Paris. Und die Kapitalisten waren stärker und reicher als zuvor.