© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/18 / 11. Mai 2018

Der Flaneur
Schick gemacht für die Oper
Elke Lau

Es ist warm in Berlin. Wir treffen viel zu früh an der Deutschen Oper ein und verbringen die Zeit bis zum Beginn der chinesischen Tanzvorführung des „Shen Yun-Ensembles“ unter freiem Himmel. Die Veranstalter hatten bei Zusendung der Karten um „Abendgarderobe“ gebeten. Für uns eine Selbstverständlichkeit, nicht aber für unsere Mitstreiter. Die präsentieren stolz ihre Vorstellung von festlicher Kleidung: Jeans mit Löchern, T-Shirts, Sportjacken. Auch Träger dunkler Anzüge promenieren, hier mindern lediglich weiße Turnschuhe und Schlafanzugoberteile unter dem Sakko den positiven Gesamteindruck. 

„Sie können froh sein, wenn Ihr Sitznachbar keinen Döner verspeist.“

Die Eingangstüren sind geöffnet. Eine davon wird von einem Mann mit grauem, dünnem Pferdeschwanz blockiert, mitsamt drei voluminösen Tüten, wie wir sie von Flaschensammlern kennen. Er hält ein Schild hoch: „Suche Eintrittskarte“. Eine ältere Dame spricht ihn an. Er schüttelt den Kopf, sie wendet sich ab. Als sie dann in unserer Nähe stehenbleibt, fragen wir neugierig: „Haben Sie dem Mann eine Karte angeboten?“ „Ja, aber er wollte sie geschenkt oder höchstens drei Euro bezahlen.“ 

Ein Klingelzeichen kündigt den baldigen Beginn der Vorstellung an. Auf der Treppe zu unseren Plätzen hat sich ein übergewichtiger Mittfünfziger in zerschlissener Jeanskleidung mit geöffnetem Hosenschlitz niedergelassen, rechts und links halbleere Cola-Flaschen, aus denen er abwechselnd trinkt.

Wir bitten den Platzanweiser, den Provokateur zu vertreiben. Der Angestellte schüttelt bedauernd den Kopf: „Dazu bin ich nicht berechtigt. Der Mann ist im Besitz einer 200 Euro teuren Karte, und wir dürfen ohnehin das Verhalten von Besuchern nicht kritisieren.“

„Erleben Sie das öfter?“ fragen wir schockiert. Er nickt. „Ständig. Sie können froh sein, wenn Ihr Sitznachbar keinen Döner während der Vorstellung auspackt und verspeist.“ Uns bleibt das zum Glück erspart. Die Darbietungen der chinesischen Künstler sind phantastisch.