© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/18 / 18. Mai 2018

Dreißigjähriger Krieg
Unser großes Trauma
Dieter Stein

Wenn es ein „kollektives Unbewußtes“ gibt, wie Tiefenpsychologen sagen, dann weckt das Wort „Krieg“ bei uns Deutschen spezifische Bilder. Der Dreißigjährige Krieg, dessen Ausbruch sich jetzt zum 400. Mal jährt, löste ein Echo aus, das sogar die verheerenden Weltkriege des vergangenen Jahrhunderts überdauern sollte. Der demographisch verlustreichste Großkrieg Europas radierte weite Landstriche regelrecht aus, löschte in manchen Regionen über zwei Drittel, im ganzen Reich über ein Viertel der Bevölkerung durch Gewalt, Hunger und Seuchen aus. 

Dieser Krieg hatte viele Wurzeln. Eine davon war die politisch-religiöse Umwälzung, die die Emanzipation der Evangelischen durch Martin Luther ausgelöst hatte. Die bereits an der Ordnung des Reiches zerrenden regionalen Zentrifugalkräfte erhielten eine überregionale religiöse Aufladung, die den Kampf gegen einen Feind zusätzlich legitimierte und zu einem totalen Krieg werden ließ.

Daneben nutzten europäische Mächte den innerdeutschen Konflikt für den Ausbau ihrer Vormacht. Deutschland wurde zum europäischen Schlachtfeld, zum Spielball fremder Interessen. Die Selbstzerfleischung, die Zerplitterung und politische Ohnmacht, die Auflösung von Recht und Ordnung, für all dies schuf der Dreißigjährige Krieg das blutige Ur-Panorama, das sich im Langzeitgedächtnis einbrennen sollte. 

Der Krieg endete im Westfälischen Frieden, einem zäh ausgehandelten Kompromiß, der das spätere Völkerrecht souveräner Nationalstaaten maßgeblich beeinflußte. Er legte den Deutschen in den Schoß, sich mit einer historisch beispiellosen konfessionellen Spaltung und selbstbewußten Regionalmächten dauerhaft arrangieren zu müssen und aus dieser scheinbaren Schwäche eine Stärke zu machen. Der ausgeprägte Föderalismus, der besondere Sinn für religiösen und kirchlichen Frieden findet hier seine entscheidenden Wurzeln. Die gelegentlich belächelte Neigung der Deutschen zum Konsens, ja zur Harmoniesucht, letztlich auch zu Rechtsstaat und Verfassung findet im fürchterlichen Blutbad des Dreißigjährigen Krieges einen Grund.

Der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde mahnte einmal, nie zu vergessen, daß der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebe, „die er selbst nicht garantieren kann“. Und: Der freiheitliche Staat habe nur Bestand, wenn sich die Freiheit „von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft“ reguliere. Ohne diese historisch gewachsenen Regulierungskräfte drohe der Staat „in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat“, so Böckenförde. 

Diese blutig bezahlten historischen Lehren scheinen vergessen, wenn wir die aktuelle deutsche Politik betrachten.