© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/18 / 18. Mai 2018

Kalifornische Vetternwirtschaft
Handelspolitik: Umweltgesetze, Steuern, Sanktionen und Strafverfahren ersetzen Zölle und Subventionen
Thomas Kirchner

Kalifornien ist der wachstumsstärkste US-Bundesstaat: Innerhalb von hundert Jahren verzwölffachte sich die Einwohnerzahl auf 39,6 Millionen. Das sind zwölf Prozent der US-Bevölkerung und doppelt soviel wie im Bundestaat New York. Mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2,8 Billionen Dollar lag der „Golden State“ 2017 im globalen Vergleich – nach China, Deutschland und Japan – auf Rang vier. Allein der Großraum Los Angeles versiebenfachte zwischen 1920 und 1970 seine Einwohnerzahl auf über sieben Millionen – und fast jede Familie hatte bald ein oder zwei Autos.

Der große Erfolg hatte aber auch seine Schattenseiten: Südkalifornien erstickte im Smog, vergleichbar mit der Lage in China heute. Es dauerte Jahrzehnte, die legendäre Dunstglocke über Los Angeles zu reduzieren, beginnend mit der Einführung des Katalysators 1975 und strengen Umweltstandards, die weltweit eine Vorreiterrolle spielten. Trotz Verdopplung der Autozahl sind beispielsweise die Ozonwerte in L.A. seitdem um etwa zwei Drittel gesunken.

Der Pioniergeist in Umweltfragen ist inzwischen eine Allianz mit wirtschaftlich-politischen Interessen eingegangen: Neue Umweltstandards sollen nicht nur den Schadstoffausstoß, sondern auch den Benzinverbrauch der Fahrzeugflotte (Stichwort: „Klimagas“ CO2) drastisch senken. Ab 2025 sollen Pkw mit einer Gallone Benzin 54,5 Meilen weit fahren können. Das entspräche einem Spritverbrach von 4,32 Litern pro 100 Kilometer. Die Benzinbesteuerung ist – nach Pennsylvania – mit umgerechnet 17 Eurocent pro Liter die zweithöchste in den USA. Im benachbarten Arizona ist der staatliche Aufschlag nur halb so hoch.

Wegen der Bedeutung Kaliforniens wirken sich strenge örtliche Vorschriften zwangsläufig auf das Produktangebot im Rest des Landes aus. Daher versucht die Trump-Regierung in Washington ihr Wahlversprechen zur Deregulierung einzuhalten und Kalifornien auf juristischem Weg von der Umsetzung der neuen Normen abzuhalten. Gleichzeitig wurde eine unter Barack Obama beschlossene Verschärfung der US-Abgasnormen zurückgenommen – was wiederum 18 Staaten unter Führung Kaliforniens vor Gericht blockieren wollen.

VW hilft selbst ein Erfolg von Donald Trump nicht mehr. Den Konzern hat sein „Dieselgate“ 26 Milliarden Euro gekostet, wovon ein erheblicher Teil in die amerikanische Staatskasse geflossen ist. Und die US-Justiz läßt nicht locker, macht jetzt gegen die Chefs mobil. Gegen den Ex-VW-Chef Martin Winterkorn wurde in Detroit Anklage erhoben (JF 20/18). Neben Verstoßes gegen Umweltgesetze und Falschangaben gegenüber Behörden steht auch Betrug unter Einsatz von Telekommunikationsmitteln auf der Liste. Ein Druckmittel, mit dem Bundesanwälte ihre Zuständigkeit ausweiten und worauf besonders hohe Strafen stehen.

Juristischer Kampf gegen die deutsche Exportindustrie?

VW-Verfahren, Spritverbrauchsvorgaben, Pflicht zu Solarzellen auf neugebauten Eigenheimen und Benzinpreisspirale sind eine Konstellation, von der vor allem ein Unternehmen profitiert: Tesla, das seit der umstrittenen Übernahme von SolarCity, der Firma des Cousins von Tesla-Chef Elon Musk, neben E-Autos auch Solaranlagen anbietet. Vetternwirtschaft oder Zufall? Auf jeden Fall handelt es sich um staatliche Hilfen, die nicht als Subvention gelten.

Die USA fördern so die heimische Industrie durch Umweltvorschriften und benachteiligen ausländische Konkurrenz durch komplexe juristische Schachzüge. Zölle und Subventionen sind nicht mehr das große Problem des Welthandels, sondern ausufernde Umwelt- und bald auch Sozialstandards. Hinzu kommen Sanktionen, deren Verletzung drastisch geahndet wird. Siemens wurde von US-Behörden wegen Bestechung im Irak eine Strafe von 800 Millionen Dollar auferlegt. Das ist vergleichsweise günstig: die französische Bank BNP zahlte neun Milliarden Dollar, weil sie US-Sanktionen gegen Sudan und Kuba ignorierte. Vergleichbare Strafen gegen US-Firmen in Europa gibt es keine.

Damit wird das politische Sanktionsregime zum Handelshemmnis, das den Wettbewerb verzerrt. Die Finanzbranche ist besonders exponiert: es reicht schon, wenn in Dollar gezahlt wird, damit Staatsanwälte einen Bezug zu den USA herstellen und amerikanische Gesetze extraterritorial anwenden können. Dann werden drakonische Strafen fällig.

Mit dem Washingtoner Office of Foreign Assets Control (OFAC) gibt es bereits seit 1950 – anläßlich des Korea-Krieges gegründet – eine dem Finanzministerium unterstellt Behörde, die sich um Sanktionsverstöße kümmert. Dazu kommen die nach der Krise verschärften Regeln für Banken, die unter dem Deckmantel der Finanzstabilität ausländische Banken benachteiligten und viele zum Rückzug, zumindest teilweise, aus dem US-Markt veranlaßt haben.

Für die deutsche Exportindustrie wird das Verhältnis mit den USA immer schwieriger: Die Rußland-Sanktionen trafen die deutsche Wirtschaft hart, die verschärften Iran-Sanktionen werden zwangsläufig den Exportweltmeister härter treffen als die USA mit 796 Milliarden Dollar schwerem Handelsdefizit. Der Schaden entsteht in der deutschen Wirtschaft auch da, wo man auf den ersten Blick nichts erwartet: die Rußlandsanktionen können den Bau der Erdgaspipeline Nord Stream II verteuern, was wiederum die von der Energiewende ohnehin schon gebeutelten Gas- und Stromkunden treffen würde.

Industriepolitik durch Regelungen und Sanktionen hat inzwischen ein Ausmaß erreicht, bei dem es an der Zeit wäre, daß die Regierung die Wirtschaft diplomatisch unterstützt. Doch solange die Regierenden Wohlstand als naturgegeben ansehen, der nur umverteilt werden muß, sollte man sich keine Hoffnung auf Besserung machen.

Spritverbrauchsregulierung in den USA:

 www.api.org/

 www.nhtsa.gov/

Office of Foreign Assets Control (OFAC):

 www.treasury.gov/