© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/18 / 18. Mai 2018

Die Idee lebt weiter
Südamerika: Einst zog ein französischer Anwalt aus, um den Befreiungskampf der Mapuche-Indianer anzuführen – mehr als 150 Jahre später will sein Nachfolger Frédéric I. dessen Erbe fortsetzen
Volker König

Die Mehrzahl der Teilnehmer  in Paris waren Franzosen, doch waren es weder Anhänger der Bourbonen noch Bonapartisten. Versammelt hatte sich Ende März dieses Jahres die Exilregierung des „Königreiches Araukanien und Patagonien“, um einen neuen Erbprinzen zu küren. Acht Aspiranten hatten ihre Kandidatur angekündigt. Die Wahl fiel auf Frédéric Luz, einen 54jährigen Heraldiker und Publizisten aus Toulouse. Er hatte sich zuvor bereits als Vizepräsident der für die Rechte der Mapuche-Indianer kämpfenden Organisation „Auspice Stella“ und in den neunziger Jahren als Redakteur von La Place Royale engagiert.

Als „Frédéric I.“ will sich der Erbprinz auch weiterhin für die Rechte der Indigenen einsetzen, erklärte er beim Festdiner, zu dem sich Anhänger der Bewegung aus mehreren europäischen Ländern versammelt hatten. Der Präsident der „North American Araucanian Royal Society“, Daniel Morisson, hatte zu dem festlichen Anlaß den Atlantik überquert, ebenso eine in ihre traditionelle Tracht gewandete Mapuche-Delegation mit Professorin Teresa Paillahueque aus Puerto Montt an der Spitze.

Ein „Königreich Araukanien und Patagonien?“ mag sich mancher achselzuckend fragen. Tatsächlich hat es ein solches Projekt gegeben. Es war das Werk eines französischen Abenteurers namens Antoine de Tounens. Geboren am 12. Mai 1825 auf dem elterlichen Gutshof Chourgnac im Périgord, studierte dieser junge Landadlige in Bordeaux Rechtswissenschaften, um sich in Périgueux als Anwalt niederzulassen.

Als glühender Bonapartist war er jedoch mit der französischen Republik unzufrieden und entschloß sich, nach Chile auszuwandern. Sein Augenmerk galt dabei dem seit dem Ende des spanischen Kolonialreiches keinem Staat zugehörigen Gebiet zwischen dem chilenischen Grenzfluß Bio-Bio und Feuerland, wo die unbezwungenen Mapuche-Indianer und weiter südlich patagonische Stämme lebten. 

Die Spanier hatten 1641 in einem Vertrag mit den Mapuche den Fluß Bio-Bio als Grenze akzeptiert und somit erstmals als eine europäische Großmacht die Souveränität eines indianischen Volkes anerkannt.

Mit der Unabhängigkeit Chiles aber begannen weiße Siedler über diesen Fluß vorzudringen. Die Indianer fühlten sich bedroht. 1858 verkaufte Antoine de Tounens sein Anwaltsbüro, ließ sich seinen Anteil am elterlichen Gut auszahlen und nahm ein Schiff nach Panama und von dort weiter nach Chile. Hier erlernte er die spanische Sprache und unternahm schließlich mit einem Dolmetscher das Wagnis, in dieses kaum bekannte Land der Mapuche vorzudringen.

Nach frustrierendem Warten in Valparaiso kehrte Tounens im Herbst 1862 in das Indianergebiet zurück, bekleidet mit einem indianischen Poncho und einem französischen Kavallerieschwert an der Seite. In einer großen Ratsversammlung der meisten Stammeshäuptlinge wurde er von diesen schließlich am 25. Dezember zum „Großtoqui“, zum König von Araukanien und Patgaonien proklamiert. 

Tounens begann nun eine regelrechte „Wahlkampagne“, ritt von Stamm zu Stamm, übergab den Kaziken die blau-weiß-grüne Flagge seines Königreiches und begann ein Heer aufzustellen. Dies rief die Regierung Chiles auf den Plan. In einer fingierten Aktion wurde Tounens überrumpelt und nach einem Schnellprozeß zur Kerkerhaft verurteilt. Hier erkrankte er an Typhus und hätte ohne die Intervention des französischen Botschafters das Gefängnis nicht lebend verlassen.

Des Landes verwiesen, lebte Tounens die nächsten Jahre wieder in seiner Heimat. Doch 1869 hatte er einen finanziellen Gönner für seine Vision gefunden. Ausgerüstet mit einem ansehnlichen Waffenarsenal und unterstützt von indianischen Freunden, landete er an der argentinischen Küste von Patagonien, durchquerte die endlose Weite der Pampa und überquerte mit einem kleinen Heer von 300 Indianern und Trappern die Anden, um so nach Chile zu gelangen. Dieser Ritt sei „eine historische Heldentat, würdig den Taten eines Cortez“, urteilte der argentinische Historiker Armando Braun-Menendez über dieses Wagnis.

In Araukanien angekommen, wurde er von seinem alten Weggefährten Quilapan begrüßt, der ein großes Indianerheer aufstellte. Es folgte „ein Jahr des Kampfes“, wie es Tounens in seiner Autobiografie schrieb, bei dem seine Stammeskrieger allerdings keine Chance gegen das modern ausgerüstete chilenische Militär hatten. Er kehrte nach Europa heim, wie er nach Lateinamerika gekommen war – über die Anden.

Dieser Ritt war eine Heldentat à la Cortez

Zwei weitere Male unternahm Tounens einen Rückkehrversuch, wurde jedoch bereits bei der Ankunft in Argentinien zurückgewiesen. Vereinsamt und verarmt fristete der Junggeselle seine letzten Lebensjahre in seiner Heimatgemeinde Tourtoirac als Nachtwächter, wo er am 17. September 1878 im Alter von 53 Jahren starb. Zuvor hatte er seinen Freund Gustav Achilles Laviarde testamentarisch zu seinem Nachfolger bestimmt. Dem König „Achilles I.“, der nie Lateinamerika betrat, folgten fünf weitere Könige, wobei die letzten zwei sich nur noch als Erbprinzen bezeichneten.

In der Abtei von Tourtoirac im Périgord hält heute ein Museum die Erinnerung an Tounens und das indianische Königreich wach. Tounens Abenteuer war deutschen Lexika immerhin noch bis in die zwanziger Jahre einen Eintrag wert, dann geriet er auch hier in Vergessenheit. Auf dem französisch- und spanischsprachigen Buchmarkt gibt es etliche Publikationen über Antoine de Tounens. In deutscher Sprache ist die Suche nach geeigneter Literatur deutlich schwieriger.

Die Vision von einem patagonischen Königreich hat aber bis heute einen festen Stamm von Anhängern. Ihr prominentester Vertreter ist sicherlich der Franzose Jean Raspail. Der konservative Schriftsteller verfaßte nicht nur eine Biographie über Antoine de Tounens, die zur Vorlage für einen französischen TV-Zweiteiler mit Omar Sharif in der Hauptrolle wurde, sondern er wurde auch selbst medienwirksam „militant“ aktiv: 1984 besetzten er und einige weitere Aktivisten die unbewohnte britische Minquier-Insel im Ärmelkanal als Antwort auf den Falkland-Krieg, holten die britische Flagge ein und hißten jene des Königreiches Araukanien und Patagonien. Das Vereinigte Königreich nahmen es leicht. Tags darauf nahm die britische Küstenwache die fremde Flagge an sich und tauschte sie wieder gegen den Union Jack aus. Das Thema, auf das Raspail damals hinwies, bleibt hingegen gestern wie heute ernst: der Umgang mit den Rechten der Ureinwohner, wozu auch deren Naturreligion gehört, die im Visier der christlichen Missionare steht. Dies zeigte sich nicht zuletzt im Januar dieses Jahres, als wenige Tage vor dem Besuch von Papst Franziskus auf drei Kirchen in Chile Brandanschläge der Mapuche verübt wurden.





Der Kampf der Mapuche

Immer wieder versuchen die Mapuche-Indianer, deren angestammtes Gebiet sich über die Staaten Chile und Argentinien erstreckt, auf ihre Not aufmerksam zu machen. Die Urbevölkerung der Region sieht sich von der chilenischen und argentinischen Regierung um Grund und Boden, kulturelle Identität und die Chancen für ein besseres Leben gebracht. So ist das Verhältnis zwischen den Mapuche und dem chilenischen Staat seit Jahren durch Landrechtskonflikte getrübt. Die Indianer nutzen dabei nicht nur legale Mittel, sondern verüben bisweilen auch gezielte Anschläge, worauf die chilenischen Behörden mit scharfen Maßnahmen reagieren. Hierzu verwendet die Regierung das aus der Zeit der Militärdiktatur stammende Anti-Terror-Gesetz. Anfang Januar hatte die UN-Sonderberichterstatterin für die Rechte indigener Völker, Victoria Tauli-Corpuz, davor gewarnt, Indianer, die sich für den Schutz ihres Landes vor Bergbau, Holzeinschlag, Dämmen und anderen Entwicklungsprojekten einsetzen, zu kriminalisieren.