© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/18 / 18. Mai 2018

Pankraz,
das Christentum und die reine Demokratie

Merkwürdige, aber durchaus bedenkenswerte Pfingstbotschaften von offizieller Seite waren dieses Jahr zu vernehmen; der deutsche Katholikentag in Münster und die neu installierten Kreuze in bayerischen Amtsstuben und Klassenzimmern machten sie möglich. Markus Blume etwa, Generalsekretär der CSU, schrieb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Der empirische Blick auf die Welt zeigt, daß auf Dauer stabile Demokratien außerhalb von Ländern christlicher Prägung selten anzutreffen sind. Die bedeutenden Ausnahmen sind schnell aufgezählt: Indien, Indonesien und Israel.“

Kulturstaatsministerin Monika Grütters, prominentes Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, ging noch einen Schritt weiter. In der Zeit äußert sie die Besorgnis, daß das Internet mit seinen wüsten „sozialen Medien“ das Funktionieren einer erträglichen Demokratie auf Dauer gefährden könnte und empfiehlt dagegen den Geist des Christentums als wirksames Antidot. Zitat: „Wer Houellebecs ‘Unterwerfung’ gelesen oder auf der Bühne gesehen hat (…), der weiß, daß die ‘Entchristlichung der Gesellschaft’ dem Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaft nicht zuträglich ist.“

Nur christlich geprägte oder vom Christentum einst angeleitete Völker, darauf läuft eine derartige Rhetorik hinaus, können der Demokratie Maß und Ordnung verleihen. Das klingt zunächst ziemlich riskant, besonders wenn man den Begriff der „Demokratie“ wörtlich nimmt, seine einzelnen Bestandteile ins Auge faßt, als da sind Volksabstimmung statt Einzelherrschaft, freie öffentliche Diskussion über politische Fragen, Stimmenzählung, Minderheitenschutz. Solche Praktiken hat es schon immer gegeben. Ein alt-isländischer „Thing“ zum Beispiel brauchte gewiß keine christlichen Missionare.


Lassen sich Demokratie und Religion als reale Bezugspunkte überhaupt positiv miteinander verbinden? Erinnert das nicht eher an die Zeiten der Kreuzzüge, als Christen und Moslems davon überzeugt waren, daß es um des eigenen Seelenheils willen notwendig sei, auch alle anderen Menschen, einzelne und ganze Völker, zum „rechten Glauben“ zu bekehren, und zwar mit Feuer und Schwert? Das biblische Gebot „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker“ verwandelte sich damals gewissermaßen in einen Schlaghammer, mit dem man ganze ehrwürdige Kulturen auslöschte. 

Im Islam gilt diese Überzeugung grundsätzlich auch heute noch, doch wie steht es damit im christlichen Abendland? Dort ist das Thema ja, wie es scheint, längst zu ungunsten der Religion ein für allemal abgeheftet und zu den Akten gelegt. Der Staat, so gilt allgemein, hat sich nicht um die Religionszugehörigkeit seiner Bürger zu kümmern. Christliche Missionare, so es sie noch gibt, reißen heute, wie einst Bonifatius, keine „heiligen“ Bäume mehr aus, sondern helfen sogar beim planvollen Rekultivieren einstmals blühender, durch Bevölkerungsexplosion, Raubbau und brutale Technik verwüsteter Gegenden.

Aber ist das nicht alles bloße Tünche, unter der der alte abendländische Missionsfuror unverändert auf der Lauer liegt? Nicht wenige außereuropäische, vor allem moslemische Gelehrte vermuten das. Nicht die Absichten, lediglich das Vokabular und die Rhetorik des Abendlands, also des Westens, hätten sich verändert, sagen sie. An die Stelle von Jesus sei nur die Demokratie getreten; an der alten, nur allzu bekannten Erlösungsideologie habe sich aber nichts geändert. Der Westen wolle die Welt nach wie vor „erlösen“, und wer sich nicht erlösen lassen will, dessen traditionelle Strukturen werden brutal zerschlagen.

Kein verantworungsbewußter Politiker sollte bei diesem Unternehmen mitmachen, heißt es bei vielen islamischen Professoren, und Pankraz stimmt ihnen hier ausnahmsweise einmal  vollinhaltlich zu. Demokratie kann nicht einfach durch missionarische Umsturzgelüste eingeführt werden, so wenig wie Jesus Christus. Dauerhafte Demokratie muß Wurzeln schlagen und sich deshalb gründlich auf den lokalen Mutterboden einlassen. Wahre Demokratie und gewaltsame Revolution schließen sich, allem oberflächlichen Augenschein zum Trotz, gegenseitig aus.


Hinzu kommt, daß es fast unendlich viele Formen demokratischer Machtbeteiligung, Abstimmung und Rechtewahrnehmung gibt, je nach regionaler Tradition und Lebensauffassung. Die „moderne“, strikt gleichmacherische Form des „One man, one vote“ ist bei den maßgebenden politischen Nachdenkern, von Jean-Jacques Rousseau bis Ralf  Dahrendorf, stets auf größte Skepsis gestoßen. Sie setzt weitgehende ethnische und religiöse Einheit, ungewöhnlich hohes allgemeines Interesse für Politik und hohen Bildungsgrad voraus, um halbwegs glaubhaft und wohltätig zu funktionieren.

Um so verwunderlicher und deprimierender der Glaube unserer „aufgeklärten“, voll säkularisierten Eliten an die Weltherrschaft  einer „ reinen“ Demokratie nach westlichem Vorbild. Es ist, bei Lichte betrachtet, der alte Glaube des christlichen Abendlands an eine „erlöste“, von Leid und Ungerechtigkeit ein für allemal dauerhaft befreite Menschheit, nur hat er sich aus dem Jenseits in eine diesseitige, angeblich (wieder einmal) nahe bevorstehende goldene Zukunft verschoben – und ist dadurch zur bloßen Utopie entartet, zu einem groben Klotz aus dem Lande Nirgendwo, der jeder vernünftigen Problemlösung im Wege liegt.

Keine gut funktionierende  Demokratie, auch keine Internet-Demokratie, bedarf – Frau  Grütters und Herrn Blume zum Trotz – einer extra vom Staat installierten und von ihm bezahlten Christianisierung. Das sagt aber nicht das geringste gegen das Kreuz an der Wand von Amtsstuben oder Klassenzimmern. Es kann nie schaden, daran zu erinnern, daß alle legitime  Herrschaft im Zeichen höherer Wesenskräfte ausgeübt wird, die nicht nur zur Macht-entfaltung, sondern auch zum Miterleiden geneigt sind. Kein Abbild vermag das ergreifender und glaubhafter zu symbolisieren als der unendlich leidende Gott am Kreuz.