© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/18 / 18. Mai 2018

Mobilisierung gegen „Fake News“
„Spiegel“-Akademie und Reporterfabrik wollen den Bürgerjournalismus ausweiten
Christian Schreiber

Das Angebot klingt verlockend: „Machen Sie sich bereit für die digitale Zukunft“, heißt es auf der Seite der Spiegel-Akademie. Mehrere Kurse bietet die Online-Hochschule an, die mit Gebühren von rund 1.200 Euro pro Modul zweifelsohne nicht ganz billig ist. Die Themenfelder reichen über Digitales Wirtschaftsmanagement oder Projektgestaltung bis hin zu den neuen Medien. 

Damit erreicht die Akademie einen Bereich, den Fachleute auch als Bürgerjournalismus bezeichnen. Darunter versteht man einen partizipativen Journalismus, bei dem ganz normalen Bürgern eine aktive Rolle bei Recherche, Nachrichtenübermittlung und dem Schreiben von Artikeln zukommt. Vor allen Dingen im Medium Internet werden immer mehr Inhalte generiert, die nicht von Profi-Journalisten stammen, als Musterbeispiel gelten hierbei Blogs. Damit ist über Jahre eine Art Gegenöffentlichkeit entstanden, die auch Graswurzeljournalismus genannt wird. 

Auch große Konzerne greifen das Konzept auf

Das Phänomen der Leserreporter geht an das Fundament des journalistischen Selbstverständnisses. In Deutschland darf sich jeder „Journalist“ nennen. Das ergibt sich aus Artikel 5 des Grundgesetzes, der die freie Meinungsäußerung garantiert. So war auch der umtriebige Rentner, der die Lokalseite sonntags mit Fußballkurzmeldungen belieferte, irgendwo Journalist. Mittlerweile hat sich die Welt aber geändert, sie ist digitaler geworden. 

„Jetzt kann jeder mit einfachsten Mitteln im Internet publizieren, und aus der akademischen Frage wird plötzlich eine ganz konkrete. Und die Journalisten versuchen, klare Mauern zu errichten zwischen sich, den ‘richtigen Journalisten’, und den Bürgern, Leserreportern, Bloggern“, schreibt die Süddeutsche Zeitung und fügt hinzu: „Früher bedeutete Bürgerjournalismus, daß Journalisten mehr auf Bürger hören, heute dagegen, daß jeder Bürger Journalist spielen kann.“ Und es gibt Versuche, diese Entwicklung zu kanalisieren. Einer der Pioniere des Bürgerjournalismus ist der langjährige Spiegel-Redakteur Cordt Schnibben. 

Gemeinsam mit „Correctiv“-Macher David Schraven gründete der 65jährige mit der „Reporterfabrik“ eine Online-Journalistenschule „für jeden“ und verließ den Spiegel nach mehr als 30 Jahren, wo er im Ruf stand, ein „Digital-Vordenker“ zu sein und wo er die Spiegel-Akademie aufbaute. Während das Spiegel-Institut eine Mischung aus digitaler Abend- und Hochschule ist, hat sich die „Reporterfabrik“ zum Ziel gemacht, die Gesellschaft medienaffiner zu machen. Die Journalistenschule für jedermann ist auch ein Kampf gegen die „Fake News“, erklären die Macher. Kostenlose Workshops sollen Grundlagen des journalistischen Handwerks vermitteln und die Arbeit von sozialen und klassischen Medien durchschaubar machen. Daneben gibt es auch Angebote, die sich an hauptberufliche Journalisten richten. „Das ist unser Versuch, die aufklärerische, konstruktive, solidarische Vision des Netzes zu verteidigen gegen die dunkle Seite: gegen Haß, Fake-News, Desinformationen und Trash“, teilte Correctiv-Leiter David Schraven gegenüber der Nachrichtenagentur dpa mit.

Doch unumstritten ist der Bürgerjournalismus keineswegs. Die „Initiative Qualität im Journalismus“, hinter der unter anderem Verleger- und Journalistenverbände stehen, warnt vor den Gefahren: Solche Bürgerreporter arbeiteten ohne hinreichende Kenntnisse etwa über Persönlichkeitsrechte oder ethische Standards journalistischer Arbeit.  Es gibt aber auch Unternehmen, die im Bürgerjournalismus ein Geschäftsfeld der Zukunft sehen. Google testet gerade die Reporter-App „Bulletin“, über die Bürger Fotos, Videos und Texte auf dem Handy zu kleinen Artikeln zusammenstellen können. 

Neben dem Programmierunterricht stehe die Vermittlung von Medienkompetenz und „digitale Alphabetisierung“ im Fokus. Abgesehen von den Kursen für Profi-Journalisten soll das Angebot kostenfrei bleiben – im Gegensatz zur Spiegel-Akademie. Bildung sei ein Zukunftsfeld, erklärt der Vertreter der Spiegel-Gesellschafter Jesper Doub. „Unsere Zertifikatskurse unterscheiden sich von den vielen Angeboten am Markt, weil wir gemeinsam Kurse auf Hochschulniveau anbieten und diese mit der umfassenden fachlichen Expertise unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kombinieren.“ Die Lerninhalte werden zusammen mit der privaten SRH Fernhochschule entwickelt. Langfristig sei gar geplant, akademische Aabschlüsse online erwerben zu können. Ein Journalist auf dem zweiten Bildungsweg entsteht.