© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/18 / 18. Mai 2018

Ein Stück Italien verschwindet
Viele Eisdielenbetreiber machen dicht – daran schuld sind auch die Kinder
Verena Rosenkranz

Der Geschmack löst nicht nur Frühlingsgefühle aus, sondern auch Sehnsucht nach Meer und heißem Sand zwischen den Füßen. Wer mit den ersten warmen Sonnenstrahlen eine der scheinbar unzähligen, aber dennoch schwindenden Eisdielen in Deutschland betritt, bestellt auch ein Stück Urlaub mit. 

Obwohl wir das schmackhafte Kühl automatisch mit Italien verbinden, stammten rund drei Viertel der ersten Gelateria-Betreiber ursprünglich aus dem nördlichen Teil Venetiens und haben damit einen wesentlich österreichischeren Einfluß, als die meisten Konsumenten glauben. Weil die Region in der Kaiserzeit als wenig wohlhabend galt und das große Glück in Österreich und Deutschland lockte, machten sich viele Bewohner auf den Weg gen Norden. Während es ausreichend traditionelle Kaffeehäuser und gediegene Restaurants auf dem Boden der Habsburger- wie der Hohenzollern-Monarchie gab, fehlte es jedoch an zwangslosen Treffpunkten mit süßem Mittelpunkt. Die ersten Eisdielen etablierten sich bereits vor 1900 bis hoch nach Schleswig-Holstein und wurden ein beliebter Ort des Austausches für Familien, Mütter mit Kindern und vorbeispazierende Passanten. 

Während die erste Auswandererbewegung aus der Gegend um Belluno schon in den 1850ern einsetzte, kamen die südlichen Landsleute in der Zwischenkriegszeit ebenfalls als Gastarbeiter vermehrt nach Deutschland und belebten das Eis-Geschäft. In Berlin eröffnete der erste waschechte italienische Eisladen 1928 als „Eiscafé Monheim“ in der Blissestraße im Stadtteil Wilmersdorf, wo es bis heute betrieben wird.

Andere Eissalons in ganz Deutschland sind mittlerweile vom Aussterben bedroht. Während in den fünfziger und sechziger Jahren – der Hochzeit der Einwanderung aus Italien –  eine Familie vom Betrieb eines Geschäfts leben konnte, sieht die Lage heute anders aus. In den Wintermonaten wurden noch bis vor wenigen Jahre die Cafés geschlossen und die Zeit im Süden verbracht. Sobald sich die ersten Sonnenstrahlen zeigten, stellten die Salons ihre kleinen Tischchen vor den Lokalen wieder auf. Zehn bis 30 Pfennige kostete zur Blüte der Dielen zwischen 1960 und 1980 eine Kugel Eis. Heute, knapp 60 Jahre später, ist ein Preis von 1,30 bis 2 Euro normal. Wenn man sich die Kosten für Rohstoffe und Handfertigung vor Augen hält, ist dies aber wenig wirtschaftlich für viele Betreiber – und gleichzeitig nicht für jeden Kunden leistbar. Die kleinen exotischen, aber doch schon zum Stadtbild gehörenden Eisbuden schwinden. 2009 gab es in Deutschland knapp 7.000 Eisdielen, heute sind es nur noch 5.000, viele in dritter Generation geführt und einige bereits seit den zwanziger Jahren aktiv.

Harte Arbeit und nicht immer finanzieller Segen

Die Konkurrenz ist allerdings groß. Franchiseketten, die in jeder Stadt einen einheitlichen Erdbeergeschmack und Hollywood-Dekorationen anbieten, oder türkische Eisdielen mit islamkonformer Produktion sind auf dem Vormarsch. Der Verband der italienischen Eishersteller, Uniteis, geht jedoch weiterhin davon aus, daß der Großteil der Salons noch in italienischer Hand sein dürfte und viele den Betrieb eher aus Leidenschaft denn aus Geldgründen aufrechterhalten. Schließlich braucht es neben etlichen Kilo Zitronen, Erdbeeren oder Kokosnüssen viel Liebe fürs Detail und ein gutes, meistens jahrelang überliefertes Rezept für die Produktion.

Die Geduld dafür bringen immer weniger Söhne und Töchter der ursprünglich italienischen Eisproduzenten mit. Anstatt den Betrieb ihrer Familie zu übernehmen, was harte Arbeit und nicht immer finanziellen Segen bedeuten würde, wendet sich der Nachwuchs zunehmend anderen Berufen zu. Ihre Eltern lassen Leckermäuler jedoch zum Glück auch diesen Sommer beruhigt an köstlichen Eissorten schlecken. Ein Erlebnis, das hoffentlich einst auch den Kindern ohne Halal-Zertifikat oder Einheitsbrei gewährt wird.

Foto: Sauerrahmeis mit Beeren: Liebe fürs Detail