© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/18 / 25. Mai 2018

Lesereinspruch

Zweifelhafte Lesart

Zu: „Neue Möglichkeiten schaffen“ von Christian Schreiber (JF 19/18), Ottobrunn

Sie schreiben, in Deutschland sehe „das Grundgesetz keine bundesweiten Volksentscheide vor“. Diese stereotype Lesart ist zweifelhaft. Der für unsere Demokratie grundlegende Art. 20 (2) Grundgesetz (GG) lautet nämlich: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen (...) ausgeübt.“ Während Wahlen zur repräsentativen Demokratie (der Bundestag repräsentiert das Volk) führen, bezeichnen Abstimmungen Entscheidungen (ja/nein) zu konkreten Fragestellungen, also direkte Demokratie im Sinne von Volksentscheiden. Beide Begriffe (Wahlen und Abstimmungen) sind gleichwertig nebeneinandergestellt sowie durch ein „und“ verbunden, also nicht zur Auswahl gestellt. 

Unser GG sieht also eine gemischte, nämlich eine repräsentative wie auch eine direkte Demokratie vor. Es ist für mich auch kaum vorstellbar, daß es eine (mir nicht bekannte) Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt, die den Demokratiebegriff oder das Wort Abstimmungen anders interpretiert.

Dr. Joachim Sandmann,  Ottobrunn