© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/18 / 25. Mai 2018

Schmusen und spalten
Sudetendeutscher Tag: Der Kurs des Vorstands erhitzt weiter die Gemüter der Basis
Gernot Facius

Frantisek Cerny hatte 1998 einen Traum. Er träume davon, daß irgendwann ein Sudetendeutscher Tag in Böhmen oder Mähren stattfinde, erzählte der damalige tschechische Botschafter in Deutschland der Welt. Das Entsetzen in Prag war groß, Politiker und Medien forderten die Abberufung des Diplomaten, bald brach aber die Regierung auseinander, und Cerny blieb auf seinem Posten. Zwanzig Jahre sind vergangen, der 87jährige Ex-Diplomat ist unter den Gästen des sudetendeutschen Pfingsttreffens in der Friedensstadt Augsburg, und wieder ist von einem Traum die Rede. 

Bernd Posselt, amtierender Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL), deutete, versteckt in seiner Laudatio auf den diesjährigen Karlspreis-Träger seiner Organisation, Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn aus Wien, an, daß „vielleicht“ demnächst zu einem  Sudetendeutschen Tag in der Tschechischen Republik eingeladen werden könne. Es gebe Städte, die darüber diskutierten, zum Beispiel Brünn: „Wenn wir eine Einladung bekommen, werden wir sie ernsthaft prüfen und wahrscheinlich annehmen.“ Einen „großen Schritt Richtung Böhmen“ (Posselt) will man schon 2019 tun: mit dem 70. Sudetendeutschen Tag in Regensburg, der Patenstadt aller Sudetendeutschen. „Wir werden diesen Tag kombinieren mit einem großen Moldau-Donau-Fest, wo wir alle Völker des Donauraumes mit ihren Repräsentanten versammeln wollen, um klarzumachen: Dieses blühende Kleineuropa, das vor 100 Jahren zerschlagen worden ist, wollen wir als Herz eines sich einigenden demokratischen Europa im Sinne einer gerechten Völkerordnung wieder zum Leben bringen.“  

Dieser versuchte Aufbruch zu neuen Ufern hat viel mit veränderten Gegebenheiten zu tun:  Großveranstaltungen wie in Augsburg sind finanziell kaum noch zu stemmen, die Kassen der SL sind strapaziert durch endlose Rechtsstreitigkeiten um eine umstrittene Satzungsänderung, und die alten heimatpolitischen Forderungen werden fast nur noch im Kammerton vorgetragen, das erklärt das Fernbleiben vieler Landsleute der Erlebnisgeneration. In der SL wuchert der Spaltpilz. Sudetendeutsche Tage nehmen immer mehr den Charakter von sudetendeutsch-tschechischen Folklore-Begegnungen an, das wird nicht von allen goutiert. 

Nichts soll Beziehungen     zu Prag stören

Die SL-Spitze will sich, so Posselt, von „einigen Quertreibern auf beiden Seiten“ nicht davon abbringen lassen, den „Verständigungskurs konsequent weiterzugehen“. In Augsburg war dies deutlich zu spüren: Der nationalkonservative Witikobund, einst ein Motor der Landsmannschaft, war total ausgegrenzt, der AfD wurde ein Stand in den Hallen verweigert, hingegen konnten sich CSU, Sozialdemokraten und Freie Wähler präsentieren. Einige Teilnehmer, die mit einem „N“ an der Kleidung (Erinnerung an die Stigmatisierung der Sudetendeutschen nach Kriegsende in der alten Heimat) angetroffen wurden, mußten dieses Zeichen ablegen. Nichts sollte die „guten Beziehungen mit Prag“, die wie Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte, noch „besser werden können“, stören. 

Der Franke Söder, seit 20 Jahren auch Mitglied der SL, wofür er von seinem Parteifreund Posselt mit einer Ehrenurkunde bedacht wurde, war erstmals als Schirmherr der Volksgruppe zum ST gekommen. Er brannte ein rhetorisches Feuerwerk ab, philosophierte über die Begriffe Heimat und Kultur, schmeichelte seinen Zuhörern („Ihr seid echte Vorbilder für den Frieden, Botschafter und Brückenbauer“, machte sich für eine Wiederbelebung des Themas Mundart in den Schulen stark, umging aber so gut es ging die ungelösten Fragen und Reizworte im sudetendeutsch-tschechischen Verhältnis. Mehr noch: Söder lobte ausdrücklich seinen Amtsvorgänger Horst Seehofer für dessen – von vielen Vertriebenen kritisch gesehene Tschechien-Politik. Seehofer habe eine neue Art des Miteinanderredens und des Verstehens in den Beziehungen zu Tschechien etabliert. Jetzt sei es wichtig, dieses Tor offen zu halten. In den Gängen des Messegeländes machen so manche Sudetendeutsche aus ihrem Herzen keine Mördergrube: Sie hätten sich von Söder gewünscht, daß er sich in der sudetendeutschen Frage, so war zu hören,  von dem  „Seehoferschen Schmusekurs“, der primär bayerische (Wirtschafts-)Interessen bediente, gegenüber Prag abhebe.   

Klare Worte zum „Drama von 1945“ hatte hingegen Kardinal Schönborn in seiner Dankesrede nach der Verleihung des Karlspreises gefunden. Er nannte die Vertreibung „ein Unrecht, das mit dem völkerrechtlichen Mäntelchen der Aussiedlung zugedeckt wurde“ Schönborn setzte sich ferner und unter Verweis auch auf die Beneš-Politik äußerst kritisch mit der in der Geschichte immer wiederkehrenden Idee der staatlichen Einheit durch gewaltsame Vereinheitlichung auseinander: „Diese Idee ist einer der großen Leidverursacher in der neueren Geschichte. Wenn es der Zweck der Verleihung des Karlspreises ist, ein Mahnruf nach einer gerechten Völker- und Staatenordnung in Mitteleuropa zu sein, dann stellt sich die Frage, wie dieser Mahnruf heute formuliert werden kann.“ 

Der Kardinal lieferte auch gleich die Antwort: Er forderte eine wache Sensibilität gegen alle Tendenzen, die „alten Dämonen“ wieder zu wecken, die das Miteinander in der alten Heimat zerstört haben“. Freiheit gebe es nicht ohne ein wirkliches Ja zur Vielfalt. „Die ‘Entgermanisierung’  unserer alten Heimat, die Vertreibung von über drei Millionen Deutschsprachigen und 700.000 Ungarischsprachigen war ein unvorstellbarer Verlust an Lebendigkeit, und das heißt immer Vielgestaltigkeit des Landes.“ Heimat, schloß der Kirchenmann aus einem alten böhmischen Adelsgeschlecht, dürfe nie zur „Ausschließung“ werden.