© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/18 / 25. Mai 2018

Kopfschmerz und Entsetzen
NSU-Prozeß: Die Verteidiger des Angeklagten Ralf Wohlleben beklagen ein unfaires Verfahren und fahren in ihren Plädoyers schweres Geschütz auf
Hinrich Rohbohm

Die Gesichtszüge sind gelöst und entspannt. Ralf Wohlleben wirkt während der Plädoyers seiner drei Anwälte im mittlerweile fünf Jahre andauernden NSU-Mammutprozeß nicht wie jemand, dem der nervenaufreibende Trubel um seine Person nahegeht. Während der Verhandlungspausen lacht er, scherzt mit seiner Ehefrau Jacqueline, die sich an seine Schulter gelehnt hat und als rechtlicher Beistand neben ihm sitzen darf. 

Es sind nur wenige Minuten, die zwischen dem gelösten Auftreten Wohllebens in einer Verhandlungspause und der nachfolgenden Erklärung seines Verteidigers Olaf Klemke liegen. „Mein Mandant hat Kopfschmerzen, ich bitte die Verhandlung für heute zu unterbrechen.“ Ein ungläubiger Blick des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl. Dann beendet er einen Verhandlungstag, der von Angriffen der Verteidigung gegen Bundesanwaltschaft und Staatsschutzsenat geprägt ist. 

Schon Wohllebens erste Verteidigerin Nicole Schneiders schaltet auf Angriff. „Sie werden dazu gedrängt, ein Urteil zu fällen, das politisch gewollt ist. Sie haben sich aktiv an der Verhinderung der Aufklärung beteiligt“, beschuldigt sie Götzl. Und: „Dieses Verfahren ist nicht rechtsstaatlich und nicht fair geführt worden“, erklärt die Juristin – und ehemalige Stellvertreterin Wohllebens im Kreisvorstand der NPD Jena. Weil Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nicht mehr am Leben seien, müßten nun andere bestraft werden. Ralf Wohlleben solle nun „das Bauernopfer werden“. Denn: „Sie sind nicht für Ihre Freisprüche bekannt“, attestiert Schneiders dem Vorsitzenden Richter. Zudem könne nicht ausgeschlossen werden, daß der NSU eine reine Erfindung des Verfassungsschutzes sei, merkt sie an. Unruhe auf der Besuchertribüne. Mehrere Anhänger aus der rechts- und der linksextremen Szene sind als Zuhörer zu den Plädoyers erschienen. Unter anderem der eng mit der Antifa-Szene vernetzte Jenaer Pfarrer Lothar König sowie dessen Tochter, die thüringische Landtagsabgeordnete Katharina König (Linkspartei). „Das Urteil stand schon vor der Hauptverhandlung fest“, behauptet Schneiders. 

„Frei erfundene Geschichte präsentiert“

In ähnlicher Tonlage hält auch Olaf Klemke sein Plädoyer. Der Szeneanwalt  legt in Sachen Provokation noch eine Schippe drauf. „Herr Weingarten erhebt frei nach Hermann Göring – wer Jude ist, bestimme ich – für sich selbst in Anspruch, wer Nazi ist, das bestimme ich“, attackiert er den Bundesanwalt. „Zu gerne“, so Klemke, würde er noch einmal seinen „Antrag zum Volkstod“ wiederholen, „um einige schnappatmende Nebenklagevertreter den Saal verlassen zu sehen.“ Gemeint ist ein Beweisantrag Klemkes, in dem er nachweisen lassen wollte, daß die Deutschen hierzulande im Jahr 2050 gegenüber Nichtdeutschen in der Minderheit sein werden. Bestürzte, teils entsetzte Gesichter, nicht nur unter Zuhörern, Pressevertretern und Nebenklägern. Auch einige Verteidiger der übrigen Angeklagten blicken irritiert. Einzig Manfred Götzl verzieht keine Miene, läßt die Anschuldigungen an sich abprallen. Er will den Verteidigern auf der Zielgeraden des Prozesses keinen Stoff für Revisionsgründe liefern. 

Ralf Wohlleben, der einst zu den führenden Rechtsextremisten Thüringens gezählt wurde und lange als zentrale Gestalt der NSU-Unterstützerszene galt, ist wegen Beihilfe zum neunfachen Mord angeklagt. Vor allem durch die Aussage des Mitangeklagten Carsten S. wurde er schwer belastet. Ihn soll er beauftragt haben, eine Ceska 83 mit Schalldämpfer zu besorgen, mit der Mundlos und Böhnhardt neun Menschen erschossen. 

„Es heißt, Carsten S. habe die Waffe mit ‘hoher Wahrscheinlichkeit’ wiedererkannt. Das ist – vorsichtig ausgedrückt – euphemistisch“, sagt Klemke. Für ihn gebe es keine Beweise, daß die Waffe auch die Tatwaffe gewesen sei. S. habe dem Gericht mit „tatkräftiger Unterstützung“ der Anklage eine „frei erfundene Geschichte“ präsentiert. Als Motiv nennt Klemke, S. wolle lediglich einen „Judaslohn“ erhalten, um in sein „schwules Leben“ zurückkehren zu können. 

Für ihren Mandanten Wohlleben fordern alle seine Verteidiger einen Freispruch.