© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/18 / 25. Mai 2018

„Von Gott gesandt“
Bosnien-Herzegowina: Erdogans sogenannter Arbeitsbesuch erfreut die Herzen der Muslime / Breitseiten gegen EU-Staaten
Hans-Jürgen Georgi

Eigentlich wollte der türkische Präsident Recep T. Erdogan nach Nordwesten, so wie alle Sultane zuvor, in deren Reihe er sich gern gestellt sieht. Doch dieses Mal verwehrte der Westen ihm seine Wahlkampfauftritte. So bemühte er sich von Bosnien aus zu behaupten, daß die Muslime und damit der Islam als in Europa autochthon zu betrachten seien: „Wir sind in Europa keine Neuankömmlinge“ –  und widerlegte sich zugleich, „weil die erste Tat unserer Vorfahren war, den Bosporos zu queren und nach Europa zu gehen“. 

Am vergangenen Wochenende wollte  Erdogan seinen politischen Einfluß auf dem Balkan wirtschaftlich fundieren. Erst im Herbst des vergangenen Jahres hatte er Serbien besucht und eine engere politische und wirtschaftliche Partnerschaft vereinbart. Insbesondere der Bau einer Autobahn zwischen Belgrad und Sarajevo ist sein Lieblingsprojekt, unter anderem, weil türkische Firmen maßgeblich daran beteiligt sein werden.

Dieses Autobahnprojekt war auch einer der offiziellen Gründe für den Besuch am 20. Mai in Sarajevo. Seinen Wahlkampfauftritt kaschierend, wurde er vier Woschen vor dem Urnengang in der Türkei als „Arbeitsbesuch“ bezeichnet. 

„Gemeinsam haben wir gut gekämpft“

Schon im April hatte er in der Türkei verkündet, er werde „in einer Sporthalle mit einer Kapazität von 10.000 bis 11.000 Menschen“ sprechen, in einem „europäischen Land“ ein Meeting abhalten, und die Vorbereitungen seien schon abgeschlossen. Allerdings wußte man in „diesem Land“ nichts von einem solchen Besuch. Weder das Staatspräsidium noch das Außenministerium, noch die Polizei hatte Kenntnis davon. Eine politische Zustimmung des dreiköpfigen Staatspräsidiums lag nicht vor. Das kroatische Mitglied dieses obersten Staatsgremiums sagte noch am Tag von Erdogans Ankunft, daß er davon aus der Presse erfahren habe.

So begrüßte nur der bosniakische Vertreter des Präsidiums, Bakir Izetbegovic, den türkischen Präsidenten und ließ an Huldigungen nichts zu wünschen übrig. Nicht nur freute er sich, das Fahnenmeer „gemischt aus den Fahnen Bosnien-Herzegowinas und der Türkei“ zu sehen. Auf die gemeinsame Vergangenheit bezogen sagte er: „Lange sind wir zusammen, und gut haben wir zusammen gelebt, und gemeinsam haben wir gut gekämpft. Die Bosniaken verteidigten die Türkei.“ Ihr Schicksal gleiche sich, denn es sei versucht worden, Türken und Bosniaken von ihrer Religion zu trennen. Trotz Feinden innerhalb der eigenen Grenzen und Millionen von Flüchtlingen habe die Türkei weitere Fortschritte gemacht. „Deshalb habt ihr heute einen Menschen, den euch Gott sandte, und sein Name ist Recep Tayyip Erdogan.“ 

Allerdings wollten nicht alle Bosnier in dem „Gast“ den Messias erblicken. Bosniakische Politiker äußerten die Furcht, der selbstherrliche Besuch des türkischen Präsidenten könnte zum Präzedenzfall für andere werden. So könnte sich Wladimir Putin in den serbischen Teil von BiH, die Republika Srpska, einladen, warnte die zweitgrößte bosniakische Partei (SBB) und ihr Vorsitzender Fahrudin Radoncic. Andere sahen in dieser Art von Besuchen ohne Erlaubnis die Souveränität des Staates verletzt. Die meisten Kritiker befürchteten vom Auftritt Erdogan aber negative Folgen für das Verhältnis zur EU und für den angestrebten EU- und Nato-Beitritt.

Bei Investitionen läßt die EU Ankara weit hinter sich  

Denn trotz gewisser Fortschritte bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen BiH und der Türkei werden die Bäuche der Bewohner von BiH vor allem durch die einträglichen Wirtschaftsbeziehungen mit den europäischen Staaten gefüllt. So belief sich der Warenaustausch Bosnien-Herzegowinas mit den Ländern der EU, denen sich Erdogan gern gleichstellt, auf etwa 2,3 Milliarden Euro. Die Ein- und Ausfuhren mit der Türkei betrugen im vergangenen Jahr 600 Millionen Euro. Auch in der Rangliste der Investoren in BiH nimmt die Türkei nur den 11. Platz ein. Angeführt wird die Liste von Ländern wie Österreich, Kroatien und Serbien. Zählt man Zuwendungen wie Entwicklungshilfe und andere Fördermittel hinzu, zeigt sich das Abhängigkeitsverhältnisse Bosnien-Herzegowinas von Westeuropa deutlich. 

Doch wie weit Erdogans Arm reicht, bewies die Verhaftung und Auslieferung von sechs türkischen Staatsbürgern aus dem Kosovo, weil sie dort an sogenannten Gülen-Schulen unterrichtet haben. Auch von BiH wurde unlängst die Auslieferung eines Gülen-Anhängers gefordert, der sich die BiH-Behörden bisher aber entgegengestellt haben. Damit will sich Erdogan nicht zufriedengeben und rief die Verantwortlichen in Sarajevo auf,  alle Strukturen der Fetö (Gülen)-Organisation „zu beenden“. Viele Bosniaken dürfte das mit Blick auf die gnadenlose Verfolgung der Gülen-Anhänger in der Türkei ängstigen. Denn auch in BiH gab es 15 Schulen und Bildungseinrichtungen bis zu einer Universität in Sarajevo.