© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/18 / 25. Mai 2018

Zündstoff programmiert
Italien: Die Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega erhitzt nicht nur in Rom und Mailand die etablierten Gemüter
Marco F. Gallina

Glückwünsche an einen Ministerpräsidenten sehen anders aus: „Die Regierung hält vier Monate, dann gehen alle nach Hause.“ Dabei ist Valerio Tacchini Mitglied der Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle, M5S) und damit ein Kollege des neu vorgestellten Kandidaten Giuseppe Conte, der die neue Regierung der krisengeschüttelten Halbinsel übernehmen soll. 

Conte ist Jura-Professor, hat an den Universitäten Cambridge, Yale, Sorbonne und New York studiert – und gilt vor allem als neutral. Abwechslung, nach der sich die Italiener sehnen, jemand, der nicht mit der „Kaste“ verfilzt ist. Da stört der Vorwurf wenig, daß die New York Times derzeit nachzuweisen sucht, der zukünftige Regierungschef habe nie in New York studiert.

Präsident Mattarella frönt  Rolle als Stabilitätsanker 

Die Koalition aus M5S und Lega ist in vielerlei Hinsicht ein Novum. Nicht nur, weil mit den „Populisten“ von links und rechts eine völlig neuartige Konstellation politischer Parteien zusammenfindet – auch der Modus der Einigung ist für italienische Verhältnisse neuartig. Anders als in Deutschland sucht der künftige Ministerpräsident zuerst eine Mehrheit im Parlament und stellt anschließend das Programm vor. 

Luigi Di Maio und Matteo Salvini orientieren sich dagegen am deutschen Weg des Koalitionsvertrages und haben im Vorfeld die Ziele der gemeinsamen Politik abgesteckt. Die beiden größten italienischen Tageszeitungen Corriere della Sera und Repubblica wettern bereits gegen einen „ferngesteuerten“ Ministerpräsidenten. 

M5S und Lega betonen dagegen eine stabile Zusammenarbeit für die nächsten Jahre, die sich nicht an Personen, sondern am Programm orientiert. Dabei haben beide Parteien ihre Prestigeprojekte umgesetzt. 760 Euro Grundeinkommen soll nach dem Wunsch Di Maios jeder Italiener in Zukunft erhalten. Salvini verspricht ein einfacheres Steuersystem nach dem Modell einer „Flat-Tax“ von 15 bzw. 20 Prozent. Die Lega setzte sich außerdem mit ihrer Familienpolitik durch, die kostenfreie Kitas für einkommensschwache Familien und eine Abschaffung der Mehrwertsteuer für Babyprodukte vorsieht. Die unpopuläre Rentenreform aus der Regierungszeit Mario Montis soll zurückgenommen werden. 

Einige „Details“ stehen jedoch noch zur Debatte. Zwar setzen sich beide Parteien dafür ein, die innere Sicherheit zu stärken. Die Lega ist jedoch für eine härtere Gangart in der Einwanderungs- und Abschiebungspolitik bekannt als der M5S. Salvini will keine Flüchtlingslager, sondern „Abschiebezentren“. 

Auf EU-Ebene ist dagegen Zündstoff programmiert. Ein Referendum zum Euro soll zwar vorerst nicht stattfinden. Dafür wird der Ruf nach einer möglichen italienischen Parallelwährung in den Reihen der Lega lauter. Und dann gibt es da noch die Forderung Salvinis und Di Maios, die italienische Schuldenlast zu drücken. Dazu sollen die italienischen Staatsanleihen, die die EZB hält, aus der Berechnung herausgestrichen werden. 

Beide „Populisten“ befürworten die Revision der Rußlandsanktionen. Kritik an der italienischen Haushaltsdisziplin wurde direkt aus Frankreich laut. Salvini antwortete prompt: „Ihr ändert nichts. Ich habe nicht um Wahlstimmen und Vertrauen gebeten, um jetzt weiter auf dem Weg von Armut, Elend und Massenmigration zu gehen!“

Das erinnert an einen Mix aus griechischer Finanzpolitik unter Varoufakis und den rechtskonservativen Regierungen in Polen und Ungarn – mit dem Unterschied, daß Italien die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone ist. Das Schicksal der Europäischen Union hängt an der Zukunft des Belpaese. Und irgendwie müssen die horrenden Steuergeschenke bezahlt werden.

Größter Bremsklotz der neuen Regierung könnte der Staatspräsident Sergio Mattarella werden. Als Vertreter der alten Kaste, welche die Italiener am 4. März mehrheitlich abgewählt haben, hat dieser bereits angekündigt, daß Italien ein „verläßlicher Partner“ bleiben müsse.

 Das war nicht nur auf die mangelnde Finanzierbarkeit der Regierungsprojekte gemünzt, sondern auch die EU-Politik. Er rief das Beispiel des Nachkriegspräsidenten Luigi Einaudis in Erinnerung, der zwei Gesetzen seine Unterschrift verwehrt hatte. Mattarella war jahrelang Teil der christdemokratischen Partei, die Italien bis zu ihrem Zusammenbruch Anfang der neunziger Jahre beherrschte, und anschließend Mitglied des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), der die letzte Regierung führte. In der Bevölkerung hat sich der Präsident mit seiner „Pro Asyl“-Politik dagegen unbeliebt gemacht.

Es war demnach auch Mattarella, der in der letzten Woche die Regierungsverhandlungen für gescheitert erklärt hatte und damit insbesondere den M5S unter Druck setzte. Di Maio hatte zwischen Lega und PD als Koalitionspartner laviert. „Wir schreiben hier Geschichte, und das braucht etwas Zeit“, hatte Di Maio um mehr Zeit gebeten.

Silvio Berlusconi machte den Weg frei

Knapp 60 Tage nach der Wahl drohte der Präsident mit einer Übergangsregierung und Neuwahlen im Dezember, um eine „populistische“ Koalition zu verhindern. In letzter Sekunde suchte Di Maio dann doch den Schulterschluß mit Salvini. Der war auch deswegen möglich geworden, weil sich Silvio Berlusconi aus dem Mitte-Rechts-Bündnis verabschiedet hatte, das Salvini mit seiner Lega derzeit anführt.

Berlusconi hatte sich mehrmals gegen eine Koalition mit dem M5S ausgesprochen, die er eine „Partei aus Arbeitslosen und Taugenichtsen“ nannte. Diese Volte ist nicht ohne Pointe. Berlusconi verkauft sich derzeit als die seriöse Variante im Kampf gegen Lega und M5S – und gilt als mögliches doppeltes Netz der EU-Anhänger, die auf ein Scheitern der „Populisten“ von links und rechts spekulieren.