© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/18 / 25. Mai 2018

Wer ist als nächster dran – Greenpeace?
Österreich: Kritische Stimmen zur Anklage gegen die Identitäre Bewegung mehren sich / FPÖ-Justizsprecher: „Nicht nachvollziehbar“
Curd-Torsten Weick

Schließlich platzte der FPÖ doch der Kragen. „Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft Graz ist für mich nicht nachvollziehbar“, erklärte FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan auf Anfrage des Nachrichtenportals Tagesstimme. Erstmals nahm somit ein Mitglied der Freiheitlichen-Fraktion im Nationalrat Stellung und äußerte sein Unverständnis darüber, daß die Staatsanwaltschaft Graz gegen zehn führende Vertreter der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) sowie gegen sieben Sympathisanten eine Anklage wegen Verhetzung und Bildung einer kriminellen Vereinigung, teils auch wegen Sachbeschädigung und Nötigung erhoben hatte (JF 21/18). 

Die Aktivitäten der Identitären, so Stefan weiter, seien jenen von Organisationen wie Greenpeace sehr ähnlich, gar nicht zu sprechen von der Antifa und deren Transparenten. Unter diesen Gesichtspunkten müßten „wohl viele Organisationen angeklagt“ werden. Doch die Demokratie müsse derartige Aktionen „aushalten“, so der FPÖ-Politiker. Ziel der Freiheitlichen sei es immer gewesen, das Strafrecht „möglichst maßvoll“ einzusetzen. Dies gelte besonders dann, wenn es um Einschränkungen der Meinungsfreiheit gehe. Angst, bei einem allfälligen Schuldspruch angesichts inhaltlicher Überlappungen dem möglichen Gegenwind der eigenen Kritiker ausgesetzt zu sein, hätten die  Freiheitlichen aber nicht. Vielmehr gelte seine Sorge einer „allgemeinen Verengung des Meinungsspektrums“.

Laut Staatsanwaltschaft haben IBÖ-Vertreter ihre „fremdenfeindliche Ideologie durch provokante Aktionen, Internetauftritte, Demonstrationen, Stammtische, Plakatierungen sowie den Verkauf von Propagandamaterial über ein von zwei der Angeklagten im Jahr 2016 eigens dafür gegründetes Unternehmen zu verbreiten“ versucht. Dabei nutzten sie laut Staatsanwaltschaft auch die in der „Bevölkerung stetig zunehmende Angst vor radikal-islamistischen Terroranschlägen, um den Islam generell mit islamistischem Terror gleichzusetzen und jede in Österreich lebende, der muslimischen Bevölkerungsgruppe zuzuordnende Person als potentiell terroristisch“ darzustellen. 

Gegenstand der Anklage ist ebenso eine IBÖ-Aktion im April 2016, bei der die Aktivisten auf die Parteizentrale der Grünen in Graz kletterten und ein Transparent mit der Aufschrift „Islamisierung tötet“ entrollten und Kunstblut verschütteten. Parallel dazu erfüllten Aktionen in Maria Lankowitz 2016 (Heiligenstatuen wurden mit Pappschildern und Waffenattrappen behängt) und in Wien 2017 (Plakat an der türkischen Botschaft „Erdogan, hol’ deine Türken ham“) ebenfalls den Tatbestand der Sachbeschädigung und Verhetzung. „Ziel dieser Aktionen und sehr öffentlichkeitswirksam betriebenen Propaganda der führenden Vertreter der IBÖ war es, zu Haß gegen die Religionsgemeinschaft des Islam, gegen Muslime, Ausländer und Flüchtlinge und insbesondere auch türkische Staatsangehörige aufzustacheln und diese Gruppen durch Beschimpfungen in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen und herabzusetzen“, erklärte die Staatsanwaltschaft. 

Der Vorwurf der „Steuerhinterziehung“ bereitet den Identitären kein sonderliches Kopfzerbrechen, erklärte der IBÖ-Leiter Patrick Lenart gegenüber dem Onlinedienst „unzensuriert“. Der Online-Vertrieb von Hemden mit patriotischen Aufdrucken sei jedenfalls nicht illegal, und klarerweise haben die beiden Inhaber ihre Einkünfte versteuert, auch wenn das Konto von „Phalanx Europa“ wegen zahlreicher Kündigungen  ins Ausland verlegt werden mußte. Die unterstellte „Nötigung“ beziehe sich auf den angeblichen Schubser eines Aktivisten gegenüber dem Rektor der Universität Klagenfurt. Dieser hat laut „unzensuriert“ versichert, daß  der Identitäre explizit keine Gewalt anwenden wollte. 

Die gesamte Anklage gegen die Identitäre Bewegung hat nach Ansicht von Lenart „vor allem die Funktion, Meinungen zu kriminalisieren. In der Öffentlichkeit solle der Eindruck entstehen, bestimmte politische Ansichten seien von vornherein ‘verboten’“.

„Ich lehne diese Typen und ihre Aktionen ab, aber ich finde die Anklage nicht unbedenklich“, erklärte dann aber der Chefredakteur der linken österreichischen Wochenzeitung Falter, Florian Klenk, auf Facebook. Die Identitäre Bewegung werde mit Genehmigung des Weisungsrats des Justizministers als „Kriminelle Organisation“ angeklagt. Das Problem: Deren Ziele seien der FPÖ ähnlich. Die Protestformen seien auch im Umweltbereich üblich. „Ob der Paragraph 278 hier richtig ist? Ich denke, man sollte sich hier nicht mit schwammigen Paragraphen helfen, sondern jede einzelne Tat anklagen, beweisen und aburteilen“, so Klenk. Michael Jungwirth, Innenpolitik-Chef der Kleinen Zeitung, sprang ihm via Twitter bei: „Bin der gleichen Meinung. Habe mit diesen Typen nichts am Hut, sie sind ideologisch total auf dem Holzweg, aber sie als kriminelle Organisation anzuklagen, ist eigenartig. Der Aktionismus erinnert an Aktionen von Greenpeace & Co.“

Parallel ließ der Ex-BZÖ-Chef Gerald Grosz via Facebook seinem Unmut über Justizminister Josef Moser (ÖVP) freien Lauf: „Paragraph 278 StGB ‘kriminelle Vereinigung’? Ist das Dein Ernst? Was kommt als nächster Schritt? Greenpeace, weil es demonstriert? Global 2000, weil es auf Dächer steigt? NoWKR-Aktivisten, weil sie Veranstaltungen stören? Die KPÖ, weil sie links ist? Antifa-Hausbesetzer, weil sie privates Eigentum mißbrauchen? Die Caritas, weil sie ‘organisiert’ rechtsstaatlich verordnete Abschiebungen verhindern will?“

Dies sprach Vizekanzler Heinz-Christian Strache aus dem Herzen. Entsprechend teilte der FPÖ-Chef Grosz’ Beitrag auf seinem als privat bezeichneten Facebook-Profil mit dem Kommentar: „Nachdenkliche Worte!“ Auf die Frage: „Sympathien für die IBÖ?“ antwortete Strache: „Nein, es geht um rechtsstaatliche und demokratiepolitische Kriterien!“ 

Nichtsdestotrotz drohen den IBÖ-Aktivisten bis zu drei Jahre Haft, sollten diese in einem Prozeß wegen Verhetzung und Bildung respektive Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt werden. Doch ist eine Verfolgung der Gruppierung nach Paragraph 278 (kriminelle Vereinigung) „sinnvoll und legitim?“ fragte die Wiener Zeitung (WZ). „Gewaltaufrufe sehe ich keine“, antwortete der Wiener Strafrechtsexperte Helmut Fuchs. Zudem sei „zum Haß aufstacheln“ ein dehnbarer Begriff. Die Frage sei immer konkret, „ob ein Tatbestand erfüllt ist“. Einen solchen kann Fuchs laut WZ beim Verhetzungsvorwurf gegen die Identitären nicht erkennen.

„Setzt Greenpeace auf Haß gegen Muslime?“

Ganz anders, so das Blatt weiter, sei die Einschätzung des Linzer Strafrechtlers Alois Birklbauer. Den Paragraphen 283 (Verhetzung) als Tathintergrund bei der kriminellen Vereinigung hinzuzunehmen, sei Teil der Strafrechtsreform 2016. „Der Hintergrund war, daß man rechtsextreme Gewalt und Agitation, die aber am Verbotsgesetz vorbeischrammt, rechtlich belangen kann. Die zuvor nicht unter Verhetzung fallende pauschale Ausländerhetze habe man ‘ganz bewußt’ beim Strafrechtspaket verschärft“, erklärte Birklbauer.

Auch der Generalsekretär des Justizministeriums, Christian Pilnacek, betonte, daß mit der von SPÖ, ÖVP und Neos gebilligten Strafrechtsreform lediglich europäische Leitlinien umgesetzt worden seien. Bedenken, wonach bei einer Verurteilung der IBÖ-Aktivisten auch zivilgesellschaftliche NGOs kriminalisiert werden könnten, die ebenfalls auf Aktionismus setzten, wies er als „oberflächlich” zurück und fragte: „Setzt Greenpeace auf Haß gegen Muslime?“

Anfang des Jahres 2016 wurde Verhetzung neu definiert und deutlich verschärft. „Wir haben nun ein noch stärkeres Mittel, um gegen Menschenfeindlichkeit und Haß vorgehen zu können. Wenn jemand aufgrund seiner Herkunft, Religion, Hautfarbe, Sprache oder ähnliches verbal attackiert wird, darf das nicht ungestraft bleiben. Haß darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben, denn wer Haß sät, wird Gefängnis ernten. Und das gilt selbstverständlich auch für verhetzende Inhalte, die über Social-Media-Kanäle verbreitet werden“, erklärte der damalige Justizminister Wolfgang Brandstetter im Januar 2016. 

Knapp zwölf Monate später frohlockte der parteilose Jurist, die Strafrechtsreform zeige Wirkung. Die Neuformulierung des Straftatbestands der Verhetzung habe zu deutlich mehr Anzeigen und Verfahren geführt.