© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/18 / 01. Juni 2018

Alarmrufe aus Sarajevo
Illegale Migration: Die bosnische Grenzpolizei warnt vor einem „hohen Migrationsrisiko“
Hans-Jürgen Georgi

Die Alarmrufe aus Bosnien-Herzegowina werden immer lauter. Schon im Februar hatte der Sprecher des UNHCR für Südosteuropa, Neven Crvenkovic, darauf hingewiesen, daß die Zahl der Asylanträge in Bosnien und Herzegowina (BiH) sprunghaft angestiegen ist. Waren es im ganzen Jahr 2017 noch 376 Anträge, so verzeichnete das BiH-Ministerium für Sicherheit allein im Januar schon 63. Man werde die Situation aufmerksam begleiten, hieß es damals. Drei Monate später sah die Situation schon kritischer aus, und der UNHCR-Sprecher sagte: „Nach unseren Informationen, und wir lehnen uns an die Angaben der BiH-Regierung an, kamen dieses Jahr 3.000 Migranten nach BiH, was viermal mehr sind als vergangenes Jahr.“ Seit Mai sind die offiziellen Zahlen von 3.000 Migranten in Bosnien-Herzegowina (BiH) im Umlauf, manche sprechen von 5.000 Migranten. Doch dürften diese Zahlen nur ein schwaches Abbild der tatsächlichen Situation sein. Denn schon Ende April gab die BiH-Grenzpolizei bekannt, daß im Zeitraum von Anfang Januar bis Ende April 1.239 Staatsbürger aus Ländern mit einem „hohen Migrationsrisiko“ beim Grenzübertritt entdeckt und 1.541 illegale Migranten am Grenzübertritt gehindert worden seien. Mit 345 nahmen die Syrier den ersten Platz ein, gefolgt von 192 Pakistanern, 129 Libyern, 146 Afghanen, 103 Iranern, aber auch 16 Türken, 13 Bengalen, je fünf kamen aus Kuba und Indien, vier aus Albanien und einzelne aus Jordanien, Ägypten, Nigeria, Somalia, Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und dem Jemen. Auch wenn bis Mitte Mai 400 Asylanträge in BiH gestellt wurden, ist das Ziel fast aller Migranten Westeuropa, speziell Deutschland. 

45.000 bis 50.000 Flüchtlinge sieht der BiH-Sicherheitsminister derzeit auf dem Weg zwischen Griechenland und Bosnien, manche sprechen gar von 120.000. Mit dem Beginn des Frühjahrs wurde die wachsende Zahl von Migranten auch für alle sichtbar, denn die Parks von Sarajevo waren nun von ihren Zelten geprägt. 

Spannungen zwischen Bosniaken und Kroaten

Zu den Spannungen vor den Wahlen am 7. Oktober kommen nun Auseinandersetzungen zwischen den muslimischen Bosniaken, den Serben und den Kroaten. Milorad Dodik, der Präsident der Republika Srpska (RS), eines der zwei Teilstaaten, aus denen sich Bosnien-Herzegowina zusammensetzt, hat schon angekündigt, keine Camps auf seinem Territorium zuzulassen: „Wir wollen unsere Art des Lebens schützen. Wir werden alle Maßnahmen ergreifen, unser Eigentum, unser Recht, die Institutionen und die RS schützen“. Die Bosniaken sprachen von einem „Staatsstreich“, als die kroatisch geführte Polizei einen Bus mit 300 Migranten stoppte. Sie sollten aus Sarajevo, vermutlich wegen des Besuches des türkischen Präsidenten Erdogan, in ein Flüchtlingslager nahe Mostar gebracht werden. Die Bosniaken werfen der Republik Serbien vor, sich seiner Flüchtlinge durch die neue Balkan-Route zu entledigen.

Nach der sicheren Abriegelung der alten Balkan-Route, die über Serbien und Ungarn führte, hat sich nun ein neuer Weg für die Flüchtlinge der Welt aufgetan. Er führt auf zwei Routen nach Bosnien-Herzegowina. Der südliche Teil geht von Griechenland über Albanien nach Montenegro, der nördliche Teil von Griechenland über Mazedonien und den Kosovo, um sich in Montenegro zu treffen. Er folgt einer Schmuggelroute für Drogen und Waffen, wie die kroatische Tageszeitung Vecernji list titelte. Nach der Querung von BiH stehen die Flüchtlinge bei Velika Kladuša und Bihac an der Grenze zu Kroatien, mithin der EU. 

Die Kroaten versuchen die Grenze so gut wie möglich zu sichern, so daß sich im BiH-Grenzort Velika Kladuša inzwischen 2.000 Migranten aufhalten sollen, so Vecernji list. Wie viele es wirklich sind, weiß keiner, will keiner sagen. Doch täglich sollen 30 neue Migranten aus Sarajevo hier eintreffen. Unterstützung bei der Suche nach Nahrung und Unterkunft erhalten sie vielfach von Bürgern oder muslimischen Hilfsorganisationen.

Inzwischen versucht man in dem wirtschaftlich schwachen Land die Situation in den Griff zu bekommen. Auch wenn alle davon ausgehen, daß nur die wenigsten Migranten in BiH bleiben werden, soll wenigstens der „Durchgang“ organisiert werden. Politisch wurde nun die Aufstellung eines operativen Stabes beschlossen, der die Regierungsorgane in BiH koordinieren soll. Für den 7. Juni sind die Innenminister der umgebenden Länder eingeladen. „Ich hoffe, daß die Minister Folge leisten werden und nach Sarajevo kommen, damit wir die Frage der ungesetzlichen Migration über den Westbalkan lösen können“, sagte Sicherheitsminister Mektic.