© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/18 / 01. Juni 2018

Die Italiener entscheiden, nicht „die Deutschen“
Italien: Staatspräsident Mattarellas harte Haltung erzürnt 5-Sterne-Bewegung und Lega / Expertenregierung im Gespräch
Marco Gallina

Er könne „keinen Kandidaten zulassen, der einen Euro-Ausstieg in Betracht“ ziehe. Mit diesem Urteil führte der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella sein Land in eine neuerliche Krise – aus Verantwortung gegenüber der Demokratie, wie seine Verteidiger anführen. Fast drei Monate hatte die Regierungsfindung gedauert. Schon zuvor hatte Mattarella daher mit Neuwahlen gedroht, weil die „Populisten“ von links und rechts sich zuviel Zeit ließen. Erst im letzten Moment hatten sich der basisdemokratische Movimento 5 Stelle (M5S) von Luigi Di Maio und die rechtsföderalistische Lega von Matteo Salvini zusammengerauft. Ihr gemeinsamer Kandidat für den Posten des Premiers: Giuseppe Conte, ein Rechtsprofessor als neutraler Mittelsmann zwischen den Polen. Die Krise schien nach der Achterbahnfahrt mißglückter Vermittlungen und drohender Neuwahlen überwunden.

Lega würde von Neuwahlen profitieren

Aber Mattarella, der als letzter Vertreter jener alten „Kaste“ gilt, die durch die Wahl vom 4. März hinweggefegt wurde, wehrte sich gegen eine Personalentscheidung. Paolo Savona sollte Finanz- und Wirtschaftsminister werden und damit eines der Kernministerien der neuen Regierung besetzen. Doch Mattarella stellte sich quer, wollte den vom Lega-Chef vorgeschlagenen Mann nicht akzeptieren. Denn Savona hat eine Vorgeschichte: Er war bereits einmal Minister, nämlich 1992 bis 1993 unter der Expertenregierung von Azeglio Ciampi. Damals war Savona federführend bei der Euro-Konzeption – auch für Italien. 

Doch nach der Einführung bereute Savona diesen „Fehler“. Seitdem gilt er als Euro-Gegner, will eine Parallelwährung für Italien. Vor einem Vierteljahrhundert noch ministeriabel, gilt er heute als Ausschlußkriterium. Mattarella schlug Salvini vor, dessen Finanzexperten und internen Parteirivalen Giancarlo Giorgetti zum Finanzminister zu machen. 

Ein vergifteter Ratschlag, den Salvini mit „Savona oder Tod“ quittierte. Mattarella entschied sich für den Tod. Conte verzichtete unter diesen Umständen auf sein Amt als Ministerpräsident. Der Präsident brachte daraufhin eine Expertenregierung ins Spiel, die der IWF-Vertreter Carlo Cottarelli als Premier anführen soll.

Doch diese technokratische Übergangsregierung dürfte kaum einen Tag halten. M5S und Lega halten die Mehrheit der Stimmen im Parlament. Neuwahlen im Herbst erscheinen unausweichlich. Dabei dürfte Mattarella dem eigenen Lager einen Bärendienst erwiesen haben, denn insbesondere die Lega hat in den Umfragen seit März massiv zugelegt: von 17 auf 24  Prozent. Daß die „Kaste“ eine Regierungsbildung der „Populisten“ vereitelt, ist gefundenes Fressen für den Wahlkampf. Für Salvini und Di Maio regiert der Präsidentenpalast gegen das Volk. 

Mattarellas Vorgehen wertet Salvini als Ausverkauf nationaler Interessen: „Wir haben nur ein Prinzip: für Italien und die Italiener entscheiden nur die Italiener, nicht die Deutschen, nicht die Franzosen, nicht die Luxemburger – wenn wir in einer Demokratie leben.“ In der Parteizentrale äußerte sich Salvini laut Zeugenaussagen noch deutlicher: „Mattarella muß verstehen, daß es aus Respekt vor dem Volkswillen uns zusteht, die Minister zu benennen, wir können sie kaum von Merkel auswählen lassen.“ 

In ein ähnliches Horn bläst der verhinderte Koalitionspartner Di Maio: der Präsident habe eine „Regierung des Wechsels“ blockiert, er fordere daher ein Amtsenthebungsverfahren. Wenn Mattarella demnach eins geschafft hat, dann den Schulterschluß zweier politischer Parteien, die sich noch vor wenigen Tagen nur unter Mühen zusammenschließen konnten.