© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/18 / 01. Juni 2018

Von Staatsferne kaum eine Spur
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Die Wahl des neuen NDR-Verwaltungsrats könnte ein juristisches Nachspiel haben
Harald Fourier

Paukenschlag beim NDR: Der Rundfunkrat des Senders hat seinen 12köpfigen Verwaltungsrat neu gewählt. In der neuen Zusammensetzung widerspricht er möglicherweise den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

Gewählt wurden zwei Personen, die zumindest indirekt dem etablierten, staatsnahen Lager zuzuordnen sind, nämlich Ulf Birch (Verdi) und Eckhard Gorka (Kirche). Doch die zwei sind nur die Feigenblätter für die handfest „politiknahen“ Vertreter: Eine echte Kampfansage ist die Benennung der folgenden zehn Mitglieder: Thea Dückert (Grüne, Ex-MdB), Elisabeth Heister-Neumann (CDU, Ex-Ministerin, Vorstandsmitglied), Volker Müller (vermutlich CDU), Silvia Seeler (SPD), Joachim Wege (vermutlich SPD), Sigrid Keler (SPD), Uta-Maria Kuder (CDU), Karola Schneider (vermutlich CDU), Regina Möller (CDU), Uwe Grund (SPD, Ex-Landtagsabgeordneter).

Was die Mitglieder des im Idealfall 58 Personen umfassenden Rundfunkrates gemacht haben, könnte abermals Gerichte auf den Plan rufen: Die nur 46 anwesenden Mitglieder wählten auf ihrer vierstündigcn Sitzung vergangenen Freitag so viele aktive und ehemalige Politiker in den Verwaltungsrat, daß das nur als Affront gegen das von den etablierten Parteien als Demütigung und Gängelung empfundene „ZDF-Urteil“ von 2014 gewertet werden kann. Gremien der öffentlich-rechtlichen Sender – der Verwaltungsrat ist so etwas wie der Aufsichtsrat des NDR – haben demnach politikfern zu sein.  Das Bundesverfassungsgericht hatte damals vorgeschrieben, daß maximal ein Drittel der Angehörigen solcher Gremien staatsnah seien dürfe, um die Unabhängigkeit der Sender zu gewährleisten. Die Lage nun: selten gab es mehr direkten Einfluß der Parteien auf einen NDR-Verwalrungsrat. Die Wahl war umstritten. Es bedurfte mehrerer Wahlgänge, bis das Ergebnis feststand. Teilnehmer beschreiben die Sitzung als „hoch emotional“.

Ein Vertreter aus Mecklenburg-Vorpommern kritisierte die mangelnde parteipolitische Neutralität. Die meisten Stimmen gegen das von SPD- und CDU-nahen Freundeskreisen ausgekungelte Personalkonzept kamen wohl auch aus diesem Bundesland. Die etablierten Parteien hingegen überdeckten Streitigkeiten untereinander, um der Konsenslösung willen, heißt es aus Teilnehmerkreisen. So seien Sigrid Keler und Uta-Maria Kuder miteinander verfeindet. Beide sind frühere Landesministerinnen aus Mecklenburg-Vorpommern, reden aber – wie berichtet wird – kein Wort miteinander.

Unzufriedene Rundfunkratsmitglieder, die bislang der roten Gruppe (SPD, Gewerkschaften) und der offenen Gruppe (CDU, FDP) angehören, erwägen die Abspaltung. Das könnte die verkrusteten Machtverhältnisse in dem Gremium aufbrechen.