© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/18 / 01. Juni 2018

Vom Verlust der Exzellenz
Wiener Unigeschichte leichtgemacht
Ulf Wiese

Klaus Taschwer möchte in seiner Geschichte der Wiener Universität nachweisen, daß der „dramatische Abstieg“ der Rudolphina von 1914 bis 1945 „von einer der führenden Universitäten der Welt zu einer mittelmäßigen Hochschule von provinzieller Bedeutung“ wesentlich durch den Antisemitismus von Studenten, Dozenten und Beamten der Kultusverwaltung verursacht worden sei.

Diese These vermag der langjährige Wissenschaftsjournalist des Wiener Standards trotz seines imposanten Fundus neu erschlossener Archivquellen nicht hinreichend zu belegen. Denn sie setzt die unbeweisbare Annahme voraus, daß es sich bei den jüdischen Professoren, die durch das „austrofaschistische“ und nach 1938 durch das NS-Regime ihr Lehramt verloren, um überwiegend, nach heutiger Diktion, „exzellente Spitzenforscher“ handelte, deren Verbleib allein das bis 1914 erreichte Weltniveau hätte sichern können. 

Taschwer widmet sich aber nur der erschreckenden quantitativen Dimension der „Säuberungswellen“, ohne deren qualitative Auswirkung zu prüfen. Was in jedem Entlassungsfall bedeutet hätte, den Stellenwert der jeweiligen Forschungsleistung im Kontext der Disziplingeschichte zu bestimmen, vom Anglisten bis zum Zahnmediziner. Und wo Exzellenz offen zutage liegt wie bei dem Verhaltensforscher Konrad Lorenz, fügt sie sich nicht automatisch ins Schema. Denn der Nobelpreisträger von 1973 sah seine Wiener Karriere nicht wegen des Antisemitismus ausgebremst, sondern wegen des „Jesuitengesindels“ im Unterrichtsministerium, das die Evolutionslehre aus den Lehrplänen und die Biologie aus den Studienplänen der Mediziner entfernt hatte. 

Die moralische Empörung, mit der Taschwer seine wenig überzeugende monokausale Reduktion übertüncht, die wissenschaftlichen Substanzverlust mit judenfeindlichem Furor erklärt, mag angesichts des Ausmaßes von Verfolgung und Vertreibung verständlich sein. Doch das gesellschaftliche Klima, in dem Ausgrenzung, Opportunismus und Denunziantentum üppig gedeihen, ist nicht notwendig „völkisch“ determiniert. Wie gerade seine am besten gelungenen Kapitel  über den katholisch-konservativen „Ständestaat“ und die „Entnazifizierung“ in der demokratischen Republik Österreich dokumentieren. 

Klaus Taschwer: Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Czernin Verlag, Wien 2017, gebunden, 312 Seiten, 24,90 Euro