© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/18 / 08. Juni 2018

„Das ist Rassismus“
Aus der versprochenen Regenbogennation in Südafrika ist für viele Weiße längst ein Albtraum geworden. Kallie Kriel, Präsident der Selbsthilfeorganisation Afriforum, warnt vor dem Ende der sogenannten Afrikaaner am Kap
Moritz Schwarz

Herr Kriel, ist die Zukunft der weißen Südafrikaner in Gefahr?

Kallie Kriel: Ich will klarstellen, daß wir uns nicht als „Weiße“ definieren, sondern als Afrikaaner, auch Buren genannt.

Ist das nicht deckungsgleich? 

Kriel: Weiß zu sein ist nicht das Kriterium unserer Identität – sondern das ist unsere Geschichte. Zwar kamen unsere Vorfahren vor allem aus Holland, Frankreich und Deutschland – mein Nachname etwa kommt vom Ort Kriele bei Berlin –, aber heute betrachten wir uns nicht mehr als Europäer, als eingewanderte Weiße, sondern als Eingeborene, als ebenso indigen wie die schwarzen Afrikaner. Das Problem ist nur, daß wir von vielen nicht als solche anerkannt werden. Vor allem in den sozialen Netzwerken werden wir als „Westler“ oder „Weiße“ beschimpft, die angeblich nicht hierher gehören. 

Die Logik, daß Sie Weiße, aber nur Schwarze echte Afrikaner sind, ist auch in Europa verbreitet. Ein rassisches Vorurteil?   

Kriel: Eben, denn es sind Jahrhunderte vergangen seit der Gründung der ersten Kapkolonie 1652 durch den holländischen Kaufmann Jan van Riebeeck. Heute haben wir unsere Heimat hier, unsere Familien stammen von hier, wir sind hier geboren, wir haben sogar eine eigene Sprache, das Afrikaans. Und was viele nicht wissen: Auch die meisten Schwarzen Südafrikas sind Nachfahren von Einwanderern – aus dem inneren Afrikas. Nur die Minderheit der Khoisan sind Ureinwohner. Dennoch betrachten sich fast alle Schwarzen hier automatisch als Einheimische und Nicht-Schwarze als Fremde. Das ist rassistisch. 

Wenn alle Nicht-Schwarzen das gleiche Problem haben, warum schließen Sie sich dann nicht mit den englischsprachigen sogenannten „Briten“ im Land zusammen – da die Afrikaaner nur etwa sechzig Prozent der Weißen Südafrikas ausmachen? 

Kriel: Eben weil wir uns nicht über die Hautfarben definieren, sondern nach dem Bekenntnis – Afrikaaner ist, wer sich als Afrikaaner versteht.

Wessen Interessen vertreten Sie nun als Präsident von „Afriforum“?

Kriel: Anders als in anderen Ländern gibt es in Südafrika keinen Minderheitenschutz, und so müssen wir unserer Gemeinschaft eine Stimme geben. 

Aber Sie genießen doch das Wahlrecht. 

Kriel: Das stimmt, doch wie der Philosoph Charles Taylor bemerkt, kann man das Recht zu wählen haben und doch, wegen der Zahl der Mandate, nie die Chance bekommen, die Politik der Regierung zu ändern. Deshalb brauchen wir andere Methoden, Einfluß zu nehmen, um die Interessen der Afrikaaner zu vertreten. Wir denken aber, daß unsere Interessen als Minderheit zwangsläufig auch die Interessen einer breiteren Bevölkerungsschicht sind, nämlich auch anderer Minderheiten in Südafrika.

Sind denn auch Angehörige anderer Minderheiten, wie „Coloured“, also Mulatten, Asiaten oder Khoisan, Mitglied?

Kriel: Die meisten unserer Mitglieder sind Afrikaaner, doch wenn sie wollen, ja. 

Wie arbeitet Afriforum?

Kriel: Zum Beispiel, indem wir Fälle von Benachteiligung oder Diskriminierung vor Gericht bringen. Sehr wichtig ist auch, im Ausland über die Lage der Minderheiten hier aufzuklären. Als Mandela 1994 Präsident wurde, genoß er weltweit das Image eines Erlösers für jedermann hierzulande. Die Welt glaubte dem Versprechen, Südafrika werde von nun an ein Land für alle sein. Die Wahrheit aber ist, daß wir uns in eine ganz andere Richtung bewegen. 

Was zur Eingangsfrage zurückführt, ob die  Zukunft der Afrikaaner in Gefahr ist.

Kriel: Zumindest drohen uns wirklich ernste Gefahren. Denken Sie etwa an die Drohung entschädigungsloser Enteignungen oder die Morde an Farmern, inklusive der zahlreichen Foltermorde.

Aber ist eine Enteignung nicht gerechtfertigt? Ihre Vorfahren haben den Schwarzen das Land doch weggenommen. 

Kriel: Wie ich schon sagte, sind die Vorfahren der meisten Schwarzen selbst eingewandert, die Zulu etwa auch erst im 17. Jahrhundert. Man kann also nicht einfach sagen, „wir“ haben „ihnen“ etwas weggenommen. Und es stimmt auch nicht, wenn der ehemalige Staatspräsident Jacob Zuma sagt, schon die erste Kapkolonie wäre Landraub gewesen. 

Was steckt dann dahinter? 

Kriel: Wir sehen hier vor allem auch Rassismus am Werk. Und wie gefährlich der ist, zeigt sich etwa daran, wie unverblümt man uns beim ANC, der seit 1994 regiert, gegenübertritt – wenn es zum Beispiel heißt, unsere Farmer sollten das Land besser freiwillig abgeben, bevor es ihnen noch mit Gewalt genommen werde. 

Aber kommt der Rassismus nicht vor allem von der Opposition, vornehmlich von den Economic Freedom Fighters (EFF), der – allerdings nur mit 6,3 Prozent der Stimmen – drittstärksten Partei im Parlament, des Ex-ANC-Politikers Julius Malema? 

Kriel: Was von der Opposition kommt, ist besonders schlimm, etwa alle „Weißen“ seien kriminell und sollten auch so behandelt werden. Als unlängst ein Löwe einen weißen Mann vor laufender Kamera grausam zerfleischte und nur per Schuß in letzter Sekunde gehindert werden konnte, ihn zu töten, twitterte Malema: „Unser Löwe!“ Später fragte er besorgt nach, ob der Löwe überlebt hätte? Viele ergriffen auf Twitter daraufhin Partei für den Löwen. Am berüchtigtsten ist aber Malemas Auftritt 2010, als er öffentlich das Lied „Kill the Boer“ – „Tötet die Buren!“ – sang.

Wofür er aus dem ANC geworfen wurde. 

Kriel: Keineswegs! Das wurde er, weil er sich mit dem damaligen ANC-Chef, Präsident Jacob Zuma, in anderer Angelegenheit zerstritten hatte. Nein, trotz „Kill der Boer“ wird er immer wieder vom ANC eingeladen, in die Partei zurückzukehren – und trotz all seiner anderen zahlreichen Äußerungen, etwa: „Kommen wir an die Macht, werdet ihr Afrikaaner lernen, wo euer Platz ist. Betet! Betet!  ... daß wir nicht die Macht übernehmen!“  

Der Rassismus kommt in Südafrika also tatsächlich aus der Mitte der Gesellschaft?

Kriel: Leider ja. Der ANC ist immerhin mit über 62 Prozent die mit Abstand größte Partei Südafrikas, und wir erleben trotz aller anderslautenden Beteuerungen eine Rerassifizierung der Politik, die sich auch in einem Teil der Morde an weißen Landwirten niederschlägt. 

Was bedeutet „in einem Teil“? 

Kriel: Man muß vorsichtig sein und differenzieren. Die Mehrzahl der Farmmorde – allein im letzten Jahr haben wir 85 gezählt – wird wohl aus kriminellen Gründen verübt, die Täter wollen sich bereichern. Zudem sind etwa ein Drittel der Opfer schwarz, meist Angestellte der Farm. Aber wir gehen davon aus, daß es sich zumindest bei den Folterverbrechen, die etwa zwanzig Prozent der Morde ausmachen, um Taten aus Haß handelt. Da werden Farmer etwa mit kochendem Wasser übergossen, mit Schweißbrennern gequält oder anderen Mitteln gemartert.

Ist nicht naheliegend, daß die Täter so eher verstecktes Geld finden wollen? 

Kriel: Wir meinen, dies ist vor allem Folge der ständigen Aufrufe zu Haß, Rache und zur Menschenverachtung gegenüber Buren und Weißen, die angeblich an allem schuld sind und besitzen, was ihnen „rechtmäßig“ nicht gehöre, sondern den Schwarzen.

Peter Scholl-Latour sprach für die Zeit von 1994 bis 2001 von 1.100 Farmmorden, die Wochenzeitung „Zeit“ von 3.000 zwischen 1991 und 2012. Doch zwischen 1994 und 2006 gab es in Südafrika unvorstellbare 420.000 Tötungsdelikte. Da verschwinden die Farmmorde fast.

Kriel: Das stimmt, und doch ändert das nichts an der Gefahr für die Farmer und daß diese drei- bis viermal so oft Opfer eines Mordes werden wie der Durchschnitt. Oder daß von etwa fünfzig Morden am Tag etwa zwanzig der Opfer Weiße sind – also etwa vierzig Prozent; bei neun Prozent Bevölkerungsanteil. Natürlich ist das auch Folge der Art, wie die Politik redet und welche Stimmungen sie schürt.  

In der Zeit der Apartheid war die Empörung in Deutschland über Rassismus und Ungerechtigkeit in Südafrika hoch, heute dagegen nimmt kaum jemand Notiz. 

Kriel: Wir sind schon froh, daß es überhaupt Medienberichte in Deutschland gegeben hat – ich möchte da keine Klage erheben. Denn wir sind nicht naiv und wissen, daß man sich in jedem Land zunächst einmal für die eigenen Belange interessiert. Wenn die Empörung in Deutschland heute so viel geringer ist als damals, dann ist das natürlich nicht fair. Aber vor allem ist es für uns ein Zeichen, daß wir noch mehr aufklären müssen. Denn ich glaube, wird den Leuten erst bewußt, was hier passiert, werden sie das empörend finden. 

In Deutschland gibt es unterschwellig auch die Einstellung, die Buren ernteten eben, was sie mit der Apartheid gesät hätten.

Kriel: Die gibt es nicht nur bei Ihnen. Aber auch hier müssen wir durch Aufklärung Bewußtsein dafür schaffen, daß die Antwort auf die Apartheid nicht Rassismus sein kann, sondern eine gerechte Gesellschaft. Dazu müssen wir klarmachen, daß es uns nicht darum geht, daß wir um Hilfe bitten, weil wir Afrikaaner – sondern weil wir Opfer von Gewalt und Diskriminierung sind. Unsere Sache also nicht die der „Weißen“ ist, wie uns immer wieder unterstellt wird, sondern die der Gerechtigkeit für jedermann: Menschen dürfen nicht enteignet, ermordet und gefoltert werden, gleich welche Hautfarbe sie haben. Und es darf über dieses Unrecht, das uns trifft, auch nicht aus politischer Korrektheit geschwiegen werden.

Etliche Kritiker sprechen Afriforum allerdings genau das ab – eine Menschenrechtsorganisation zu sein. Sie sprechen statt dessen von einer Gruppierung des „weißen Nationalismus“. 

Kriel: Ja, aber die Erklärung hierfür ist einfach. Viele haben keine Antwort auf die Ungerechtigkeiten, auf die wir hinweisen. Und wie reagiert man, wenn man keine Antwort hat? Man delegitimiert sein Gegenüber! Natürlich ist dieser Vorwurf gegen uns gelogen, aber es ist die übliche Strategie. Und ich weise darauf hin, daß nicht nur wir Afrikaaner unter den zum Teil rassistischen Mißständen leiden, sondern auch andere Minderheiten. So arbeiten wir zum Beispiel auch mit farbigen Minderheiten zusammen, etwa den Khoisan. 

Adam Habib, der Rektor der Universität  Witwatersrand und eine in der südafrikanischen Medienöffentlichkeit einflußreiche Stimme, wirft Ihnen vor, „Kontakt zu knüpfen zu protofaschistischen Gruppen, wie dem Front National, der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien oder der AfD“.

Kriel: Ach, Herr Habib hat uns auch schon mit Idi Amin verglichen. Also, erstens sind wir als demokratische Institution grundsätzlich bereit, mit jedem zu sprechen. Zweitens, dennoch stimmt es nicht. Afriforum pflegt keine solche Kontakte, weder nach Deutschland noch nach Frankreich – und auch nicht zum Ku-Klux-Klan in den USA, wie uns auch vorgeworfen worden ist.

Warum haben die Afrikaaner keine politische Partei, die für sie eintritt? 

Kriel: Wir sind viel zu wenige, um auf diese Weise Einfluß zu nehmen. So wählen die meisten Afrikaaner die liberal ausgerichtete Demokratische Allianz, die zweitgrößte Partei, die zuletzt 22 Prozent erreicht hat und Interessen von Weißen und Schwarzen vereint. Oder die kleine Freiheitsfront Plus, die sich für unsere Interessen einsetzt, aber im Parlament nur 0,9 Prozent hat.  

In Australien wird debattiert, notfalls südafrikanische Farmer aufzunehmen, in Europa dagegen nicht. Warum? 

Kriel: Es ist furchtbar, aber in den letzten Jahren haben etwa eine Million weiße Südafrikaner das Land verlassen. Viele davon sind nach Australien gegangen, so daß dort nun eine vergleichsweise große Auswanderergemeinde besteht, was natürlich für Aufmerksamkeit sorgt, aber auch zeigt, daß die Probleme real und drängend sind. 

Wenn die Morde und die Politik so weitergehen, werden die Afrikaaner und vielleicht auch andere Minderheiten eines Tages ausgelöscht beziehungsweise die letzten zuvor Südafrika vollständig verlassen?

Kriel: Das zu verhindern ist unsere Aufgabe. Deshalb haben wir Afriforum gegründet. Über 350 Jahre waren wir Afrikaaner immer wieder mit Bedrohungen konfrontiert. Wir hoffen einfach, daß wir auch diese überstehen. Das können wir aber nur, wenn wir auch daran glauben, daß es für uns eine Zukunft in unserer Heimat gibt. Das heißt nicht, daß wir die äußerste Gefahr, die uns droht, ignorieren oder verharmlosen dürfen. Aber nur wenn unser Glaube an uns noch stärker als die Gefahr groß ist, haben wir die Chance, sie zu bestehen.






Kallie Kriel, ist Gründer und Direktor von Afriforum, einer der führenden Burenorganisationen. Geboren wurde der ehemalige Lehrer, der Geschichte, Psychologie und Politische Geographie studierte, 1969 in Pretoria. 

Foto: ‚Witkruismonument‘ (Mahnmal der weißen Kreuze) am Ysterberg im ehemaligen Transvaal, Südafrika (2017) – ein Kreuz für jeden ermordeten Farmer: „Die Mehrzahl der Taten sind kriminell motiviert … Ein Teil ist aber auch Folge der ständigen Aufrufe zu Haß, Rache und Menschenverachtung gegenüber Buren und Weißen, die angeblich an allem schuld sind“

 

weitere Interview-Partner der JF