© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/18 / 08. Juni 2018

Wie oft sind wir geschritten
Vergangenheitspolitik: Hundert Jahre nach Ende der deutschen Kolonialzeit macht der Bildersturm auch vor Straßennamen nicht halt
Peter Möller

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges vor bald einhundert Jahren war das Ende des deutschen Kolonialreiches besiegelt. Heute spielt die Erinnerung an die Schutzgebiete des Kaiserreiches in Afrika, der Südsee oder China in der Öffentlichkeit kaum noch eine Rolle. Lediglich einige Straßennamen, die an Kolonialpolitiker oder an ehemalige Kolonien erinnern, geben einen Hinweis – noch. Denn je weiter das Ende der Überseebesitzungen zurückliegt, desto aufgeregter die Vergangenheitsbewältigung. Wie immer wird dabei mit deutscher Gründlichkeit vorgegangen. 

Im Mittelpunkt der von linken Initiativen, aber auch von den Grünen, der Linkspartei bis hin zur SPD getragenen Kampagnen steht derzeit die Säuberung der Städte von unliebsamen Straßennamen. Laut einer Erhebung der Zeit gibt es in Deutschland noch 32 Straßen und Plätze, die nach ehemaligen deutschen Kolonien oder Ortschaften in den Schutzgebieten benannt sind, wie etwa die Windhukstraßen in Wuppertal und Hamburg oder die Togostraße im Afrikanischen Viertel in Berlin-Wedding. Nach dem deutschen Kolonialpionier Adolf Lüderitz, der vielen spätberufenen Anti-Kolonialkämpfern als Sinnbild eines rassistischen Imperialismus gilt, sind sogar noch 37 Straßen benannt.

Tansania verzichtet           auf Rückforderungen

Mitunter wird der Kampf gegen Straßennamen, die im Verdacht stehen, die Kolonialgeschichte zu „verherrlichen“ und somit auch ein Ausdruck von Rassismus seien, bis ins Absurde gesteigert. Etwa im Fall der Berliner Mohrenstraße, die laut Zeit eine von deutschlandweit 63 Straßen mit diesem Namen ist. Seit Jahren fordert eine vor allem aus afrikanischstämmigen Deutschen bestehende Gruppe, die Straße in Berlin-Mitte umzubenennen, da die Bezeichnung „Mohr“ für schwarze Menschen rassistisch sei. Dabei lassen sie sich auch nicht von den geschichtlichen Fakten beeindrucken. Denn die Straße erhielt mitnichten ihren Namen, um farbige Menschen abzuwerten und die Überlegenheit des „weißen Mannes“ zu symbolisieren, im Gegenteil: Ursprung für die Benennung vor mehr als 300 Jahren war laut neuster historischer Forschungen der Besuch einer afrikanischen Delegation im Jahr 1684 im Kurfürstentum Brandenburg. Zu Ehren der Gäste und zur Erinnerung an den, für damalige Zeiten durchaus ungewöhnlichen Besuch, erhielt die Straße ihren Namen. 

Auch wenn der Kampf gegen die Mohrenstraßen nicht recht vorankommt: Mit ihrem Ziel, die Erinnerung an das koloniale Erbe Deutschlands endgültig aus der Öffentlichkeit zu verbannen und mit Blick auf die Kolonialzeit nur noch die Schattenseiten zu thematisieren, sind die Aktivisten weit vorangekommen. Mittlerweile können sie sich bei ihrem Bildersturm sogar auf die Bundesregierung berufen. In Ihrem Koalitionsvertrag haben Union und SPD festgeschrieben, die Kolonialvergangenheit künftig ähnlich aufzuarbeiten und zu bewältigen wie die Zeit des Nationalsozialismus und des SED-Regimes. Hierzu gehört auch die Lokalisierung und Rückgabe von „Raubkunst“ aus den Kolonien. Mitte Mai stellten Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und der Deutsche Museumsbund einen „Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ vor. Mit Hilfe dieses Leitfadens sollen alle Museen, Sammlungen und Universitäten ihre Bestände auf Objekte aus der Kolonialzeit überprüfen und den weiteren Umgang damit klären. Experten gehen davon aus, daß fast alle Museumssparten in Deutschland entsprechende Objekte und Sammlungsgüter in ihrem Bestand haben. Wie heftig es dabei mitunter zugeht, zeigte sich Ende März in Hamburg, als der AfD-Bürgerschaftsabgeordnete Alexander Wolf kurzerhand von einer Sitzung in der Kulturbehörde zum Thema „koloniales Erbe“ ausgeschlossen wurde. Ihm war von Teilnehmern vorgeworfen worden, einer „rassistischen“ Partei anzugehören.

Der Kampf gegen angeblich belastete Straßennamen und die Suche nach kolonialer Raubkunst ist indes nicht der erste Schritt in der sehr deutschen „Bewältigung“ der Kolonialgeschichte. Auftakt hierfür war vielmehr der jahrelange Streit über die Klassifizierung der Niederschlagung des Aufstandes der Hereros in Deutsch-Südwestafrika als Völkermord und die Frage der Entschädigung für die Nachkommen der Überlebenden. Während auch die Bundesregierung in diesem Zusammenhang 2015 erstmals den Begriff Völkermord benutzte, ist im Streit um Entschädigungszahlungen derzeit eine Sammelklage vor einem Gericht in New York anhängig.

Doch nicht immer geht es beim Blick auf die koloniale Vergangenheit Deutschlands um Bewältigung und Wiedergutmachung. So sagte Außenminister Heiko Maas (SPD) Anfang Mai Tansania, dem ehemaligen Deutsch-Ostafrika, Hilfe bei der Renovierung von Bauten aus der deutschen Kolonialzeit zu. Tansanias Außenminister Augustine Mahiga hatte zuvor auf eine Rückgabe von afrikanischen Kunstobjekten aus deutschen Museen verzichtet.