© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/18 / 08. Juni 2018

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Die Vorrichtungen zur Steuerung der Touristenströme in populären Sehenswürdigkeiten erinnern an die Koppelgänge, mit denen das Vieh sortiert wird; Schafe zum Zwecke der Schur, Rinder zum Zwecke der Brandmarkung, beide wie die Schweine zum Zweck der Schlachtung.

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Unter denjenigen, die ’68 Widerstand leisteten, darf der Name des bedeutenden Staatsrechtlers Helmut Quaritsch nicht fehlen. In der heißen Phase der Entwicklung an die Freie Universität Berlin berufen, zeigte er ein bemerkenswertes Maß an Mut, Gelassenheit und Durchhaltevermögen. Wegen der Relegation zweier Aufrührer unter den Studenten als „Denunziantenschwein“ beschimpft und regelmäßig attackiert, ging er dazu über, seine Vorlesungen unter Polizeischutz abzuhalten. Als er auch noch Ausweiskontrollen einführte, bewarfen ihn Linke mit Eiern und einem Farbbeutel, der Quaritsch im Gesicht traf und seine Brille zerstörte. Ungerührt holte er eine „sicherheitshalber“ mitgeführte alte Hornbrille heraus und setzte seinen Weg fort. „Ich sah aus wie Frankenstein in Agfacolor“, bemerkte er gegenüber einem Journalisten des Spiegel. „Aber wenn ich aufgebe, geben alle Kollegen auf.“ Den „Kampfanzug“ trug er demonstrativ wochenlang, und Carl Schmitt schrieb an Ernst Forsthoff, daß das Bild des vom linken Pöbel angegriffenen und beleidigten Quaritsch ihn bis in seine Träume verfolgte.

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Beim Besuch des Panthéon in Paris fällt vor allem die bewundernswerte Fähigkeit der Franzosen auf, die disparaten Elemente ihrer Nationalgeschichte zu integrieren. An den Wänden findet man fromme Legenden von der heiligen Genoveva und der Taufe König Chlodwigs, aber im Zentrum den Skulpturenberg, der die „levée en masse“ zum Schutz der Republik feiert, auf der einen Seite das große Denkmal für Diderot, den Enzyklopädisten und Unterwühler des Ancien régime, auf der anderen ein Monument für die geistreichen Köpfe der Restauration, eine Erinnerung an den Volkssturm der Commune und gleichzeitig ganze Kohorten napoleonischer Amtsträger und Militärs eher zweiten Ranges, unter den im Ersten Weltkrieg gefallenen Schriftstellern werden selbstverständlich auch die Nationalisten Augustin Cochin und Ernest Psichari aufgezählt, während der Sozialist Jean Jaurès ein Ehrengrab erhielt, der die Katastrophe zu verhindern trachtete und den ein rechter Fanatiker ermordete. Selbstverständlich genießen alle Vorrang, die irgendwie mit den „Ideen von 1789“ zu tun haben. So Rousseau und Voltaire. Man findet ihre Sarkophage in den Gewölben, gleich hinter dem Zugang, einander gegenübergestellt, obwohl Voltaire so häßlich gegen den Optimismus Rousseaus im Hinblick auf die Natur und den Menschen giftete. Sicher hätte die lebensgroße Statue seiner Eitelkeit geschmeichelt. Dem deutschen Besucher geht allerdings bei der Betrachtung durch den Kopf, daß hierzulande in vergleichbarem Fall irgendwo eine Tafel mit distanzierendem Text angebracht worden wäre, in dem die Heutigen ihre überlegenen Einsichten zur Geltung gebracht und Voltaires Rassismus wie Antisemitismus gegeißelt hätten. Denn den Juden warf der Aufklärer ihren „Fanatismus“ in Glaubensfragen vor, und nachdem er die biblische Schöpfungsgeschichte erledigt hatte, stellte er auch die Einheit des Menschengeschlechts in Frage: Er sehe „Menschen, die (…) Negern überlegen erscheinen, wie diese Neger es den Affen sind und wie die Affen wiederum den Austern und anderen Tieren dieser Art“.

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Bildungsbericht CXV in loser Folge: „Der Glaube, daß Reformen des Bildungs- und Unterrichtssystems immer Verbesserungen darstellen, muß endlich abserviert werden. Beispiel: Qualitätsanalyse oder -inspektion – es gibt keine einzige ernsthafte empirische Untersuchung, die beweist, daßdieses Verfahren Schule und Unterricht verbessert hätte. Einige Länder haben sie schon abgeschafft. Richtig – in Zeiten von Lehrermangel ist eine QA ohnehin peinlich. G8 war ein pädagogisch undurchdachter Flop, richtig, diese Regelung abzuschaffen. Der verpflichtende – statt der offene Ganztag – findet immer weniger Anhänger, weil die Rasanz der Arbeitszeitflexibilisierung für viele Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit Ganztagspflichtschulen erschwert. Und auch die Privatschulen sind entgegen einer aktuellen Studie natürlich für eine Reihe von Schülern besser, die im staatlichen System unter die Räder gekommen sind. Der soziale Status der Eltern ist – entgegen dieser Studie – immer nur relativ schwach mit dem Schulerfolg korreliert (oder ist zwanzig Prozent Varianzaufklärung viel?). Radikale Rücknahmebereitschaft von sog. ‘Reformen’ nach ihrem Scheitern (oder ihrer Wirkungslosigkeit) ist das Alpha und Omega der Schulentwicklung.“ (Rainer Dollase, Bildungsforscher an der Universität Bielefeld, in Profil, Zeitschrift des Deutschen Philologenverbandes, Ausgabe Mai 2018)

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 22. Juni in der JF-Ausgabe 26/18.