© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/18 / 15. Juni 2018

Sie oder er?
Asylpolitik: Der Konflikt zwischen Kanzlerin und Innenminister bringt die Große Koalition an den Rand des Scheiterns
Peter Möller

Eigentlich wollte Bundesinnenminister Horst Seehofer am Dienstag seinen mit Spannung erwarteten „Masterplan“ zur Asylpolitik präsentieren. Das 63 Punkte umfassende Papier sollte ein erstes Ausrufezeichen in seiner bislang von der Affäre um das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) überschatteten Amtszeit setzen. Gleichzeitig sollte der Asylplan der CSU rechtzeitig vor Beginn der heißen Phase des bayerischen Landtagswahlkampfes Schützenhilfe leisten. Denn der ehemalige bayerische Ministerpräsident weiß nur zu genau, daß die anhaltende Diskussion über fehlerhafte Asylbescheide, geringe Abschiebequoten und spektakuläre Verbrechen durch Flüchtlinge die Chancen seiner Partei auf die absolute Mehrheit bei der Wahl am 14. Oktober immer stärker schwinden lassen.

Union und Regierung    steuern auf Krise zu

Flankierend dazu erschien am Montag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Interview mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, in dem dieser forderte, „die gesamte Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik“ neu aufzustellen. Mit dem Masterplan wollte Seehofer genau das machen und demonstrieren, daß fortan ein schärferer Wind in der Asylpolitik weht. Mehr und schnellere Abschiebungen und als vielleicht wichtigster Punkt: Nach den Vorstellungen von Seehofer sollen künftig Asylbewerber, die bereits in anderen, sicheren Drittstaaten Asyl beantragt haben oder rechtskräftig aus Deutschland ausgewiesen worden sind, an der deutschen Grenze wieder zurückgewiesen werden. Ein Punkt mit großer Symbolkraft, der signalisieren soll: die Zeit der ungehinderten Einreise nach Deutschland ohne Ansehen der Person ist vorbei. Doch daraus wird vorerst nichts. Bereits am Sonntag war beim Auftritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der ARD-Talkshow „Anne Will“ deutlich geworden, daß die Kanzlerin die Pläne ihres Innenministers kritisch sieht. „Wir sind über den Masterplan noch in intensiven Gesprächen“, hatte Merkel gesagt und mit Blick auf mögliche Zurückweisungen angefügt, ihr gehe es darum, „europäisches Recht anzuwenden“, statt „einseitig national zu agieren“. Dem widersprach CSU-Landesgruppen-Chef Alexander Dobrindt umgehend: „Diese Zurückweisung muß Teil eines Masterplans Migration sein“, sagte er am Montag. „Das ist die Rechtslage in Europa. Und ich will, daß die Rechtslage an den Grenzen umgesetzt und durchgesetzt wird.“ 

Nicht nur die Absage von Seehofers Pressekonferenz und Dobrindts deutliche Worte deuteten auf ernsthafte Auseinandersetzungen zwischen den beiden Unions-Parteien über den Asylplan hin. Auch die Stimmen, die aus der Sitzung der CSU-Landesgruppe am Montag abend an die Öffentlichkeit drangen, zeigten, daß die Union und damit die gesamte Regierung auf eine schwere Krise zusteuern. Seehofer unterstrich nach der Sitzung seine Position, für die er in der bayerischen Landesvertretung „hundertprozentige“ Rückendeckung bekommen hatte. „Wir haben eine Systemkrise“, sagte er mit Blick auf die Asylkrise. „Wir haben die Lage nach wie vor nicht im Griff.“ Dazu gehöre auch die Statistik. Gezählt würden demnach die gestellten Asylanträge. Um realistische Zahlen zu bekommen, müßten die Behörden jedoch die Grenzübertritte erfassen. Politische Beobachter waren überrascht, wie schnell und wie massiv sich die Krise zwischen den beiden Schwesterparteien zugespitzt hatte. Seehofer wirkte dabei teilweise so, als würde er von seiner wahlkämpfenden Partei in die Auseinandersetzung mit Merkel getrieben. 

So twitterte etwa Bundestagsvizepräsident Hans-Peter Friedrich (CSU) am Montag nach der Absage der Pressekonferenz: „Deutschlands Reise in die Realität ist also wieder mal verschoben. Schade! Wenn Seehofer sich nicht durchsetzt, wird es für Deutschland ein böses Erwachen geben.“ Diese Äußerung, die offenbar die Stimmung innerhalb der CSU und der Landesgruppe widerspiegelt, läßt Seehofer kaum noch die Möglichkeit, unbeschadet von seiner Forderung abzurücken. Und so ließ er sich dann am Montag abend mit dem Satz zitieren: „Ich mache keine faulen Kompromisse.“ Damit scheint klar zu sein: Entweder setzt sich Seehofer im Streit um seinen Asylplan gegen Merkel durch, oder aber er ist als Innenminister irreparabel beschädigt – und die CSU kann sich auf ein Wahldebakel einstellen.

Die Aufregung um den Seehofer-Plan ließ Anfang der Woche eine weitere bemerkenswerte Äußerung Merkels in der Anne-Will-Sendung schnell in den Hintergrund rücken. Mit Blick auf die Flüchtlingskrise und den Bamf-Skandal hatte sie gesagt: „Weil ich weiß und gar nicht wegreden will, daß letztlich bei der Bundeskanzlerin die politische Verantwortung für das allermeiste, was in diesem Land passiert, liegt, nehme ich diese Verantwortung auch voll auf mich.“ Zwar wurde schnell deutlich, daß Merkel damit nicht ihren Rücktritt angekündigt hatte, doch zeigte die Äußerung, wie ernst die Kanzlerin die Situation um das Bamf mittlerweile einschätzt. Denn nachdem der Bundestag in der vergangenen Woche über die Anträge von AfD und FDP zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses debattiert hatte, mehren sich die Stimmen aus den Reihen der Koalitionsparteien, die ebenfalls eine parlamentarische Untersuchung fordern. 

Mit dem früheren Innenminister Otto Schily sprach sich am Wochenende ein prominenter SPD-Politiker für eine parlamentarische Untersuchung der Vorgänge im Bamf aus: „Die Vorgänge sind so gravierend, daß die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses entsprechend dem Antrag der FDP dringend geboten ist“, sagte Schily der Bild.

Und dann ist da ja auch noch die CSU. Seehofer hatte sich im Mai vor dem Bundestag bemerkenswert offen für einen Untersuchungsausschuß gezeigt. In Berlin kursiert daher nun folgendes Szenario: Sollte die CSU im Streit um den Asylplan den Kürzeren ziehen, könnten ihre Abgeordneten aus Rache FDP und AfD die fehlenden Stimmen für die Einsetzung eines Bamf-Ausschusses liefern, den Merkel unter allen Umständen verhindern will.