© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/18 / 15. Juni 2018

Ein weiterer Einzelfall
Fall „Ali B.“: Ein abgelehnter, aber geduldeter Asylbewerber erdrosselt Schülerin Susanna F. – und wird geschnappt
Christian Rudolf

Der Mörder von Susanna Maria F. aus Mainz hatte geglaubt, nach seiner geglückten Rück-Flucht aus Deutschland in seiner Heimat Irak untertauchen zu können. Auf Nimmerwiedersehen für die deutschen Strafverfolgungsbehörden. Es existiert laut einer aktuellen Richtlinie des Bundesjustizministeriums von April mit dem Irak kein Auslieferungs- oder Vollstreckungshilfeabkommen. Zusammen mit Eltern und fünf Geschwistern im Alter zwischen 13 und 23 Jahren packte er in der Nacht zum 2. Juni die Koffer und floh via Düsseldorf und Istanbul nach Irakisch-Kurdistan. In den Staat, der ihn angeblich verfolgte, so daß er im Herbst 2015, als einer von vielen Hunderttausenden, in der Bundesrepublik um Asyl nachsuchte.

Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Gegen die Ablehnung reichte er Klage ein. Sein Gastland, ein Rechts- und vor allem auch Rechtsmittelstaat, behielt ihn da. Duldete und versorgte ihn und seine große Familie, gab ihm Unterkunft, Verpflegung, Taschengeld. Nahm seinen schwerkranken Vater wie selbstverständlich in ärztliche Behandlung. Jeweils in Zweierzimmern lebten sie sicher in einer Asylunterkunft in Wiesbaden auf einem gemeinsamen Flur. Ali Bashar dankte die kostenlose Aufnahme in unserem Land mit Drogenhandel, Körperverletzung, schließlich mit dem Mord an einem Mädchen. Die Klage gegen den Bescheid liegt jetzt seit bald eineinhalb Jahren am Wiesbadener Verwaltungsgericht. Nicht entscheidungsreif, wie es heißt.

Doch Ali Bashar hatte nicht mit den exquisiten Kontakten der Bundesregierung zur kurdischen Regionalregierung gerechnet. Bundespolizeichef Dieter Romann machte den Fall zur Chefsache und setzte sich persönlich bei den irakischen Amtskollegen in Erbil dafür ein, den dringend Tatverdächtigen aufzuspüren und festzusetzen. Eine Elite­einheit der kurdischen Peschmerga griff am Freitag zu. Sie schnappten den bereits Observierten in seiner Heimatstadt Zakho nahe der Grenze zur Türkei. Romann wurde sofort informiert.

Im kurdischen Verhör „singt“ der Kindermörder

Bis der 56jährige am Samstag auf dem Flughafen in Erbil eintrifft, um den Verdächtigen von den Kurden in Empfang zu nehmen und postwendend nach Deutschland zurückzuholen, hatte Ali Bashar vor der kurdischen Polizei die Tat bereits gestanden. Vielleicht ist man in seiner Muttersprache gesprächiger, vielleicht wurde ortsüblich robust verhört. Der, wie inzwischen bekannt, bereits 21jährige Ali B. habe sich im Gefängnis „zu dem Verbrechen bekannt, ein 14 Jahre altes deutsches Mädchen nach der Vergewaltigung getötet zu haben“, sagte der Polizeichef des Gouvernements Dahuk, Tarek Ahmed, am Freitag dem kurdischen Fernsehsender Rudaw.

Als der oberste Bundespolizist Dieter Romann am Samstag abend in Frankfurt am Main landet, ist er der Held des Wochenendes. „Diesen außergewöhnlichen Einsatz der Bundespolizei in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den kurdischen Sicherheitsbehörden sind wir auch der Mutter des toten Kindes schuldig“, sagt Romann später der Bild-Zeitung. Ob dem Mörder klar ist, daß Romanns Einsatz ihm das Leben gerettet hat? Im Irak wird die Todesstrafe sowohl verhängt als auch vollstreckt.

Ali wird noch vom Flugfeld mit dem Hubschrauber zum Polizeipräsidium Westhessen in Wiesbaden gebracht. In Hand- und Fußfesseln, abgeführt von maskierten und schwerbewaffneten Polizisten. Als ob es um den Kopf eines international operierenden Drogenkartells ginge, haben sich Scharfschützen auf dem Gebäude postiert, sichern die Umgebung. Großes Kino, medienwirksam in Szene gesetzt. Der handlungsfähige Staat, der durchgreift. Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) erzählt der Bild die gewünschte Interpretation: Romann habe dazu beigetragen, „daß das Vertrauen, das die Behörden in weiten Teilen Deutschlands verloren haben, ein Stück weit wiederhergestellt worden ist“.

Noch in der Nacht wird Ali Bashar erkennungsdienstlich behandelt. In der Vernehmung durch eine Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts Wiesbaden räumt er am Sonntag den Kindesmord ein, bestritt aber, Susanna F. vergewaltigt zu haben. Derzeit sitzt er in Frankfurt in U-Haft. Aus Dokumenten des irakischen Generalkonsulats geht hervor, daß Ali im März 1997 geboren wurde und damit ein Jahr älter ist als bisher angenommen. Damit ist ihm ein Prozeß nach milderem Jugendstrafrecht verwehrt.


***


Das Vertrauen in die Behörden, das ein Parlamentarier der Regierungskoalition beschwört – es ist bei Susannas Angehörigen unwiederbringlich zerstört. Wer will das Leid der Mutter ermessen? Ihren Abgrund an Verzweiflung? Daß die eigene Tochter ohne Abschied niemals mehr wiederkehrt, niemals? Bekannte und Fremde posten in bester Absicht auf das Facebook-Profil von Diana F., drücken ihr „tiefempfundenes Beileid“ aus und wünschen „viel Kraft für die Zeit“, manche schreiben hebräische Segenswünsche für das tote Mädchen hinein – Susanna war Mitglied der Jüdischen Gemeinde Mainz. Aber keiner, der es nicht selbst erleiden mußte, hat auch nur einen blassen Schimmer davon, was Diana F. durchmacht. Was das real bedeutet: seines Lebens nicht mehr froh zu werden.

Alles Hoffen war umsonst. Am 22. Mai kehrte Susanna von einem Ausflug nach Wiesbaden nicht zurück. In Mainz war ihr Zuhause, bei ihrer Mutter aus dem moldawischen Balti (Belz) und deren Verlobten. Tags darauf erstattete die Mutter Vermißtenanzeige. Sie sei häufiger weggeblieben, habe seit Wochen oft die Schule geschwänzt. Auf Facebook schrieb Frau F.: „Seit sie vor ca. 3 Monaten diese Clique in Wiesbaden kennengelernt hat, ist sie wie ausgewechselt. Ganz anders als früher.“ Gruppenwärme und ein 14jähriges Mädchen. Diese Clique hatte Bekanntschaft mit Ali, der im Bahnhofsviertel mit Drogen handelte und auf dicke Hose machte. Der bei der Polizei schon mehrfach wegen Körperverletzungsdelikten aktenkundig ist und gegen den ermittelt wird. Beispielsweise soll er im März nachts in Wiesbaden eine Polizistin bespuckt und geschlagen haben. Im Mai wandten sich die Eltern eines elfjährigen deutschen Mädchens an die Polizei: Es sei im März von einem „Ali“ aus der Asylunterkunft Wiesbaden-Erbenheim vergewaltigt worden. Derselben Unterkunft, in der auch Ali Bashar wohnte. Doch der Tatverdachtsgrad gegen Ali B. reichte für U-Haft nicht aus. Was völlig rechtens und nicht zu beanstanden sei, wie der JF ein Strafverteidiger bestätigte.

Susanna soll ab und an in der Asylunterkunft gewesen sein, zu Besuch bei einem von Alis jüngeren Brüdern, den sie auch in der Wiesbadener Innenstadt traf. Über den Bruder kannten sich Täter und Opfer.

Die Ermittlungsarbeit der Polizei wirft Fragen auf. Am Tag nach Susannas Verschwinden erhält Frau F. vom Handy ihrer Tochter eine Whatsapp-Nachricht: „Mama, ich komm nicht nach Haus. Ich bin mit meinem Freund in Paris. Such mich nicht – ich komm nach zwei oder drei Wochen. Bye.“ Das sei nicht der Schreibstil ihrer Tochter. Da war Susanna schon tot, vergewaltigt und erwürgt. Am 24. Mai hätten sich die Beamten zunächst an Susannas Schule erkundigt. Die Tage vergingen. Frau F. erhebt auf Facebook schwere Vorwürfe gegen die Polizei, fühlt sich nicht ernst genommen. Die Beamten hätten an ein Verbrechen nicht glauben wollen. Verzweifelt postete Frau F. am 1. Juni einen „Hilferuf“ an Bundeskanzlerin Merkel, weil sie sich „vom deutschen Staat“ sowie von den Ermittlern „im Stich gelassen“ fühle. „Wie kann es sein, daß die Polizei sich 5 Tage Zeit läßt und nichts tut und nur dank unserer Rechtsanwältin endlich eine Handyortung sowie öffentliche Fahndung veranlaßt?“ Und: „Wir haben in den ersten 6 Tagen mehr Leistung erbracht als unser Freund und Helfer Polizei!“

Erst nachdem sich am 29. Mai eine Bekannte bei der Mutter meldete und – mysteriös genug – berichtete, ihre Tochter sei ermordet worden und ihre Leiche liege in Wiesbaden unweit der Bahngleise, wurde der Vorgang von der Polizei Mainz in die hessische Landeshauptstadt übergeben. Die Polizei überflog mit einem Suchhubschrauber das betreffende Gebiet. Ergebnislos. Woher die Zeugin dieses Wissen hatte? Die Ermittler hätten sie nicht befragen können – sie sei verreist gewesen.

Am 3. Juni sprach ein 13jähriger Junge aus derselben Asylunterkunft bei der Polizei vor. Susanna sei ermordet worden und Ali der Mörder. Und wo die Leiche zu finden sei, wisse er auch. Ali war schon untergetaucht, für den Tipgeber die potentielle Gefahr vorbei. Es dauerte noch einmal drei Tage, bis die Polizei die Mädchenleiche fand. In einem Erdloch verscharrt, gut 500 Meter von der Unterkunft des Mörders entfernt, in einem zwischen Autobahnumgehung und Bahntrasse gut zugänglichen, schmalen Waldstückchen. Ob der Fundort auch der Tatort ist, ob es Mittäter gibt, wer Ali beim Transport der Leiche geholfen hat – das wissen die Ermittler noch nicht.





Sie könnten alle noch leben

16. Oktober 2016, Freiburg: Nachts wird die Medizinstudentin Maria L. (19) auf einem Radweg grausam vergewaltigt. Der Täter, Hussein Khavari aus Afghanistan, schleift sie in einen Fluß – Maria L. ertrinkt. Khavari hatte 2013 als Flüchtling in Griechenland Asyl beantragt. Dort warf er eine Frau von einer Klippe, sie überlebte. Urteil: zehn Jahre, von denen er zwei absitzt. Im November 2015 kommt er nach nach Deutschland und beantragt als angeblich Minderjähriger  Asyl. Er wird in Freiburg untergebracht. Sein Asylantrag wird über zehn Monate nicht bearbeitet. In der Zwischenzeit ermordet er Maria L. Sein Vater gibt später an, Hussein sei 33 Jahre alt. Er wird nach Erwachsenenstrafrecht zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.


30. August 2017, Regensburg: Die Prostituierte Lica L. (33) wird nachts von ihrem Kunden Souleymane T. (21) erwürgt. Er türmt mit ihrem Geld (150 Euro) und dem Handy. Es stellt sich heraus: Der Täter aus Mali hatte am 31. März 2017 Asyl beantragt. Der Antrag wurde am 20. Juni abgelehnt. Die Behörden konnten den Mann nicht abschieben, weil erst Ersatzpapiere beantragt werden mußten. So lange wurde seine Duldung immer wieder verlängert. Im Mordprozeß behauptet der Angeklagte jetzt, er stamme aus Burkina Faso.


5. September 2017: Die 60 Jahre alte Susanne F. macht sich aus einem Biergarten im Berliner Tiergarten gegen 22 Uhr auf den Heimweg, doch die Kunsthistorikerin kommt nie zu Hause an. Drei Tage später findet die Polizei ihre Leiche. Sie wurde erwürgt und ausgeraubt. Der mutmaßliche Täter: Ilyas A., ein 18 Jahre alter russischer Staatsbürger aus Tschetschenien. 2014 war er mit seiner Familie nach Polen abgeschoben worden, kehrte von dort aber wieder zurück, beantragte Asyl und erhielt eine Duldung. Wegen Diebstahls- und Raubdelikten wurde er zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt. Danach sollte er abgeschoben werden, wogegen er Rechtsmittel einlegte.


27. Dezember 2017, Kandel: Die Schülerin Mia V. (15) wird von ihrem Ex-Freund, Abdul D., bis in einen Drogeriemarkt verfolgt. Dort sticht er um 15.20 Uhr mehrfach auf die Schülerin ein. Abdul D. stammt aus Afghanistan und kam im April 2016 nach Deutschland. Hier lebte er als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling. Angeblich soll er zum Tatzeitpunkt 15 Jahre alt gewesen sein, Gutachter schätzen sein Alter auf 20 Jahre.


12. März 2018: Die 17 Jahre alte deutsche Auszubildende Mireille B. wird in Flensburg mit mehreren Messerstichen getötet. Der mutmaßliche Täter, Ahmad G. (18), kam als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling 2015 aus Afghanistan nach Deutschland. Sein Asylantrag war in der Zwischenzeit abgelehnt worden, gegen seine Ausweisung klagte er. Täter und Opfer kannten sich. Eine Freundin des Opfers berichtete, daß es vor der Tat öfter zum Streit zwischen Mireille und dem Afghanen kam, weil die junge Frau sich weigerte, Kopftuch zu tragen. 


3. Mai 2018: Die 84jährige Maria M. wird tot in ihrer Wohnung im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg gefunden – sie wurde mit ihrem Rollator erschlagen. Als mutmaßlichen Täter nimmt die Polizei den 23jährigen Asylbewerber Bernhard N. aus Kamerun fest. Der Mann stellt 2012 einen Asylantrag in Belgien, der 2015 abgelehnt wurde. Anschließend reiste er illegal nach Deutschland ein und stellte vermutlich mit einer falschen Identität einen weiteren Asylantrag. Er soll wegen Diebstahl, Drogenhandel, Körperverletzungen sowie sexuellen Belästigungen mehrfach vorbestraft sein.