© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/18 / 15. Juni 2018

„Ein Europa, das schützt“
Österreich: Die österreichische Regierung übernimmt ab Juli die EU-Ratspräsidentschaft / Im Fokus soll die europäische Grenzsicherung stehen
Verena Rosenkranz

Manch einer sieht bereits die Grundfeste der Europäischen Union gefährdet. Andere sprechen von einem Spiel mit dem Feuer. Nun also übernimmt Österreich ab dem 1. Juli 2018 den Vorsitz der Versammlung der  Staats- und Regierungschefs der EU und legt sich dafür bereits mächtig ins Zeug. „Wir nehmen den Ratsvorsitz sehr ernst“, versicherte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am vergangenen Mittwoch am Flughafen Wien-Schwechat. Schließlich stehe Europa vor großen Herausforderungen. Oberstes Ziel sei dabei die Stärkung des Subsidiaritätsprinzips. Die Europäische Union solle sich auf die großen Fragen konzentrieren, die einer gemeinsamen Lösung bedürfen, und sich in kleinen Fragen zurücknehmen, in denen die Mitgliedstaaten oder Regionen selbst besser entscheiden können.

So will die östereichische Regierung in ihrer Vorsitzzeit nicht weniger als eine mögliche Abkehr vom doppelten Sitz des EU-Parlaments in Straßburg und Brüssel diskutieren, die Verkleinerung der EU-Kommission anstreben, die Erhöhung der Beitragszahlungen stoppen, die Digitalisierung vorantreiben sowie die illegale Migration nach Europa eindämmen. Hauptaugenmerk soll vor allem auf letzteres Thema gelegt werden.

Verhandlungen über den EU-Haushalt stehen an

Bis auf vier Ausnahmen saßen deshalb alle Minister des Kabinetts bereits um sieben Uhr morgens geschlossen in der Austrian-Airlines-Maschine nach Brüssel, um dort einen informellen Ministerrat abzuhalten und die Pläne für und mit der EU zu besprechen. Während sich der ehemalige SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern gern in Privatjets befördern ließ, gab sich Türkis-Blau ein bodenständiges Stelldichein in der 20. Reihe der Economy Class. Geduldig wurden Fotos mit weiteren Fluggästen geschossen und in den sozialen Medien geteilt. Das gefiel offenbar nicht jedem. 

Der österreichische Topjurist und Verfassungsexperte Heinz Mayer rügte die gemeinsame Reise. Verfassungsrechtlich sei die Abwesenheit der Regierung zwar unproblematisch, doch „keine Bank würde ihr Topmanagement gemeinsam in einen Flieger setzen“, kritisierte Mayer. Zumindest Kanzler und Vize sollten darum getrennt anreisen.

In die Periode des österreichischen Ratsvorsitzes fallen unter anderem auch erste Verhandlungen über den neuen Etatentwurf der EU-Kommission, der zwischen 2021 und 2027 Ausgaben von knapp 1,3 Billionen Euro vorsieht. Deutschland – das wie Österreich zu den Nettozahlern gehört – will mehr als bisher in den Haushalt einzahlen, aber weniger als jene bis zu zwölf Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr, die die Kommission verlangt. So gab es beim Zusammentreffen des österreichischen Kabinetts mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker viel zu besprechen. 

Als Kurz, Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) und Juncker schließlich vor die Presse traten, war letzterer voll des Lobes für die konservative Regierung Österreichs und voller Zuversicht für die anstehenden sechs Monate: „Wir haben alle Themen behandelt – Westbalkan, Haushalt, Flüchtlingsfragen, Soziales, alles mögliche“, sagte Juncker und nahm den zuvor oftmals kritisierten FPÖ-Chef in Schutz: Er kenne diesen seit Oppositionszeiten und habe den Eindruck, „daß manches, was er gesagt hatte, überspitzt übersetzt wurde“.

Bei dem Zusammentreffen ließ er sich von der „pro-europäischen Ausrichtung“ sowohl von Kanzler Kurz als auch seinem Vize beeindrucken. Ein Umstand, der gerade freiheitlichen Wählern sauer aufstoßen könnte, sprach sich die FPÖ in den vergangenen Jahren doch vehement gegen jegliche EU-Vorhaben und teilweise sogar die Zugehörigkeit Österreichs zur Union aus.

Grenzschutzagentur Frontex soll finanziell gestärkt werden

Besänftigt werden sollen diese nun durch die Umsetzung von strengeren Richtlinien in der Migrationsfrage und ein koordinierteres Vorgehen der Länder in der Flüchtlingscausa. Bereits im März hatte deshalb der österreichische EU-Minister Gernot Blümel (ÖVP) die anstehende Ratspräsidentschaft unter das Motto „ein Europa, das schützt“ gestellt.

Sebastian Kurz, der auch in europäischen Angelegenheiten den Ton in der Regierungskoalition angibt, will „Eu-ropa sicherer gegen illegale Migration“ machen und nichts mehr von einer Quotenverteilung wissen. Hierfür schwebt ihm eine personelle und finanzielle Stärkung der Grenzschutzagentur Frontex vor. Diese müsse das politische Mandat bekommen, aufgegriffene Flüchtlinge ins Herkunftsland zurückzubringen. Auch der Idee eines Zentrums für abgelehnte Asylwerber außerhalb der Europäischen Union zeigte sich Kurz aufgeschlossen. Diesbezüglich sei Österreich bereits auf bilateraler Ebene mit einer kleinen Gruppe von Staaten in Kontakt. Es sei aber „kein Projekt des österreichischen Ratsvorsitzes, sondern eine Initiative im kleinen Kreis mit Dänemark“, betonte er.

So präsentierte sich Kurz am Mittwoch als ein Mann der Mitte und des Ausgleichs. Die Asylkrise habe „für zuviel Gräben und Spaltung gesorgt“, bedauerte er. „Wir wollen hier einen Beitrag leisten, um diese Spannungen zu reduzieren.“ Dabei sei es klar, „daß man als Ratsvorsitzender etwas mehr Einfluß hat, als wenn man gerade nur ein einfaches Mitglied der Europäischen Union ist. Aber man kann auch nicht allein entscheiden.“ Es müsse ein Konsens aller 28 Staaten gefunden werden.

Auch Vizekanzler Strache verwies darauf, daß es in der Flüchtlingskrise zu „dramatischen Entwicklungen“ gekommen sei. Es sei auch „stümperhaft agiert“ worden und damit ein großer Vertrauensverlust in der Bevölkerung entstanden. Weil in der kurzen Zeit von sechs Monaten nur wenige Themen in ausreichender Tiefe behandelt werden könnten, will sich Strache bei dem selbstgesetzten Themenschwerpunkt Migration speziell auf die Balkanroute konzentrieren.

Ein Vorhaben, das vor allem in Osteuropa auf offene Ohren stößt und einiges an Unterstützung dieser Länder auf EU-Ebene bewirken könnte. Erst vor wenigen Tagen hatte in Slowenien die einwanderungskritische SDS-Partei die Parlamentswahlen gewonnen. Deren Vorsitzender Janez Janša will sein Land den Visegrad-Staaten weiter annähern.

Weil sich die Region zwischen Alpen und Adria schon im Aufkommen der Zuwanderungskrise 2015 nicht loyal zur Union verhalten hatte, blickt Brüssel nun um so angespannter auf die dortigen Entwicklungen sowie die Zusammenarbeit der übrigen Visegrad-Staaten mit Österreich.