© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/18 / 15. Juni 2018

Goldene Zeiten für geldgierige Denunzianten
Unternehmen: Die Datenschutz-Grundverordnung versorgt Abmahnjuristen mit neuen Einnahmequellen / Auch Abgeordnete ächzen unter dem Bürokratiemonster
Ronald Berthold

Für Konstantin von Notz ist die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) „ein Meilenstein“. Das am 25. Mai in Kraft getretene Gesetz (JF 22/18) biete „mehr Schutz vor dem intransparenten Mißbrauch persönlicher Daten und Informationen, vor diskriminierenden Entscheidungen, unbegründeter Verweigerung von Krediten oder willkürlicher Überwachung im Alltag“, schwärmt der promovierte Jurist und grüne Vizefraktionschef im Bundestag.

Für die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff (CDU) besitzen die 99 DSGVO-Artikel sogar „globale Strahlkraft, da sie nicht nur für Unternehmen und Behörden innerhalb der EU“ gelten. Der entstehende „Mehraufwand“ sei daher als Chance zu betrachten: Wer Datenschutz als Qualitätsmerkmal einsetze, könne so einen echten „Mehrwert“ generieren. Voßhoffs Parteifreund Klaus-Peter Willsch teilt diese Euphorie nicht: „Mir ist in den 20 Jahren meiner Abgeordnetentätigkeit kein Rechtsakt – weder auf nationaler noch auf EU-Ebene – in Erinnerung, der so viel Rechtsunsicherheit und – das Wort wähle ich bewußt – Chaos angerichtet hat“, schreibt der CDU-Bundestagsabgeordnete in einem Brandbrief an Kanzlerin, Bundestagspräsident und Unionsfraktionschef Volker Kauder. Er sei beruflich und privat mit Anfragen überhäuft worden: „Die vielen E-Mails sind auch Ausdruck einer großen Angst vor Abmahnanwälten.“

Selbst Bundestagsabgeordnete seien mit etlichen Dokumenten überhäuft worden, „ohne am Ende klar und deutlich zu wissen, was genau zu tun ist“. An der DSGVO sei nur eines gut: „Die Verordnung läßt auch uns Abgeordnete am eigenen Leib spüren, mit welchen bürokratischen Bürden wir die Wirtschaft und die Bürger unseres Landes überziehen“, so der Berichterstatter für Bürokratieabbau im Wirtschaftsausschuß. „Es dürfe nicht passieren, daß Abmahnanwälte systematisch Homepages von Vereinen, Unternehmen, Selbständigen usw. abklappern.“ Wenn die DSGVO praxisuntauglich sei, müsse man den Ball zurück zum EU-Parlament spielen. „Wenn es an schlechter deutscher Umsetzung liegt, müssen wir auf nationaler Ebene ran“, mahnte Willsch.

„Kein Abweichungs- und Interpretationsspielraum“

Für die Bundesregierung sind das nur „zum allergrößten Teil unberechtigte“ Horrorszenarien. Um das „Abmahnunwesen“ generell „zu minimieren und zurückzufahren“ müsse das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) novelliert werden, erklärte Horst Seehofers Innenstaatssekretär Stephan Mayer (CSU). Bei Bußgeldern gebe es „keinen Abweichungs- und Interpretationsspielraum“, denn die Sanktionen sollten „eine Abschreckungswirkung“ haben, erklärte Renate Nikolay, Kabinettschefin von EU-Justizkommissarin Vera Jourová. Österreich schert sich darum kaum: Die ÖVP/FPÖ-Regierung beschloß im April weitreichende Ausnahmen für Journalisten, Wissenschaftler, Künstler oder öffentliche Einrichtungen. Dem organisierten Abmahnunwesen wurde zudem der finanzielle Stecker gezogen: Sie dürfen keinen Schadenersatz von DSGVO-Tätern mehr verlangen.

In Deutschland hat das DSGVO-Geschäft freien Lauf: bis zu 20 Millionen Euro oder vier Prozent des Jahresumsatzes eines Unternehmens können Verstöße kosten. Die Anwaltsgebühren berechnen sich anteilig. Clevere Kanzleien haben Firmen bereits kostenpflichtig abgemahnt – angeblich im Auftrag von Mitbewerbern. Das berichtet die Kanzlei Hechler aus Schwäbisch Gmünd. Dabei sei es auch um die Verknüpfung vieler Webseiten mit Google Analytics gegangen. Dieses Instrument mißt die Zahl der Besuche, die Dauer des Aufenthalts auf Unterseiten und ähnliches.

Nun bemängeln professionelle Abmahner, daß dafür neuerdings ein sogenanntes Opt-in benötigt werde – ein Fenster, das sich öffnet und den Besucher zur Zustimmung auffordert. Allerdings generiert Google die Daten anonym. Die Firmen glaubten, ein Verweis darauf in der Datenschutzverordnung reiche aus. Die Abmahnjuristen verlangen eine Unterlassungserklärung. Hechler empfiehlt: „Ruhe bewahren. Nicht zahlen – nicht unterschreiben.“

Der Augsburger Rechtsanwalt Orhan Aykaç fordert von einem vorgeblichen Sünder laut Heise.de 700 Euro Abmahngebühren, weil er den Gegenstandswert auf 7.500 Euro festsetzt. Dieser errechne sich „aus dem Jahreswert der Kosten für die vollständige und ordnungsgemäße Umsetzung der DSGVO“. Der Flensburger Anwalt Stephan Hansen-Oest hält auf der Webseite Datenschutz-guru.de dagegen: Es sei „stark umstritten“, daß Abmahnungen als Verstoß gegen das UWG durch Mitbewerber überhaupt abmahnbar seien oder nicht.

Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO/:  dejure.org