© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/18 / 15. Juni 2018

Gefährte der Melancholischen
Unglücksboten und Glücksbringer: Eulen gehören seit jeher zu den symbolträchtigsten Tierarten
Richard Stoltz

Der Eulen-Verlag von Harald Gläser in München besteht nun schon seit fünfunddreißig Jahren. Er führt ein bescheidenes Dasein im verborgenen, zur Genugtuung seiner treuen Stammkunden, die sich einst auf jeden neuen Band der bilderreichen, inzwischen leider längst verblichenen Verlagsreihe „Die Schwarzen Führer“ freuten wie Kinder auf die Weihnachtsbescherung.

Es geht dort vorwiegend um historische Stätten einer Region sowie die mythologische und populäre Rezeption großer Tiergestalten durch den Lauf der Zeiten, beispielsweise – wie könnte es anders sein – um die Eule. Wer wirklich etwas Interessantes über Eulen erfahren möchte, der muß zum Eulen-Buch des Eulen-Verlags greifen, anders geht es nicht.

Eulen als Objekt der Kunst, Eulen als Subjekt der Heraldik. Eulen als Inbegriff der Weisheit, Eulen als Leckerbissen in Fernost, Eulen als Medizin für rheumatische Sozialrentner. Eulen auf Trinkschalen, Eulen auf römischen Mosaiken. Hölzerne Eulen als Wandleuchter, baumwollene Eulen als Wedel bei altindianischen Kriegstänzen. Eulen auf Cartoons von Angus James – über alles wird man hier optimal unterrichtet („Eulen. Vögel der Nacht in Kunst und Natur“, Eulen-Verlag).

Mit der berühmten Klugheit der Eulen, lernt man übrigens, scheint es nicht allzu weit her zu sein. Die aufgeklärte Eule der Minerva beginnt, wie jeder Hegelianer weiß, erst mit einbrechender Dämmerung ihren Flug, das heißt, sie muß den Ereignissen immer hinterherfliegen.

Bei einigen Poeten erregt die Eule ausgesprochenes Mitleid, nicht zuletzt weil sie am Tag so rührend hilflos scheint und dann von anderen Vögeln rücksichtslos angegriffen wird. Auf dem Weg übers Mitleid wurde sie zum Gefährten der Melancholischen und Unglücklichen, wie die schönen Verse von Robert Jones aus dem Jahre 1607 zeigen: „Komm, traurige Eule, Bote des Leids,/ Vogel der Melancholie, Gefährte der Verzweiflung,/ Bester Freund der Sorge und Feind der Heiterkeit,/ O komm, arme Eule, und klag mir dein Leid …“