© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/18 / 22. Juni 2018

Ländersache: Niedersachsen
Palermo liegt bei Pattensen
Christian Vollradt

Eigentlich ist es nur eine Provinzposse, aber diese Geschichte hat Drehbuch-Potential für einen Politkrimi. Ort der Handlung: Niedersachsens Landeshauptstadt. Zwar im Vergleich zu Berlin, München oder Hamburg nur ein Mauerblümchen, aber spätestens seit Lutz Hachmeisters Enthüllungs-Doku „Der Hannover-Komplex“ dürfte niemanden überraschen, daß Palermo auch an der Leine liegen könnte. Dort, wo bundespolitische Karrieren geschmiedet – und beendet – werden, mit freundlicher Unterstützung der vielbeschworenen Maschsee-Mafia.

Ganz in der Nähe des besagten innerstädtischen Binnengewässers liegt der neugotische Amtssitz von Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok (SPD). Und der bekam jüngst Besuch. Nicht ungewöhnlich für ein Stadtoberhaupt, doch diese Visite war so gar nichts fürs Goldene Buch. Es schauten nämlich Beamte der Staatsanwaltschaft vorbei, die auch Schostoks Privatdomizil aufsuchten. Die Behörde leitete nämlich ein Ermittlungsverfahren wegen Untreue gegen das Stadtoberhaupt ein.

Der OB soll, so lautet der Vorwurf, davon gewußt haben, daß Spitzenbeamte gesetzeswidrig Gehaltszulagen bekamen. Wie so oft hatte „Kommissar Zufall“ die Ermittler auf die Spur der Affäre gebracht. So war im Herbst vergangenen Jahres herausgekommen, daß der frühere Personal- und jetzige Kulturdezernent Harald Härke seiner ebenfalls bei der Stadt beschäftigten Lebensgefährtin einen besser dotierten Posten zuschanzen wollte. Schostok versuchte daraufhin, den Parteilosen loszuwerden – vergeblich. Stattdessen tauchten auf einmal über den Umweg der CDU-Landtagsfraktion Hinweise auf, daß Schostoks Büroleiter Frank Herbert, den Beobachter als den eigentlichen Verwaltungschef der Landeshauptstadt bezeichneten und der auch mit einem entsprechenden Selbstbewußtsein aufgetreten sein soll, eine Zugabe auf dem Gehaltszettel bekam. Das ist für Beamte mit Besoldung der Kategorie B eigentlich verboten.

Die naheliegende Vermutung: Härke habe Details über die Gehaltsverhandlungen seines mutmaßlichen Intimfeindes Herbert durchgestochen – als Revanche sozusagen. Vergangene Woche nun hat Schostok den aufsässigen Kulturdezernenten, gegen den ein Disziplinarverfahren unter anderem wegen Geheimnisverrats eröffnet wurde, mit knapper Mehrheit dann doch suspendiert. Seinen Büroleiter schickte der OB dagegen nur in den Urlaub. 

Der CDU stieß diese Ungleichbehandlung übel auf. Außerdem monierte die Partei, die seit nunmehr 70 Jahren die Oppositionsbank im Rathaus drücken muß, daß die entscheidende Stimme zur Mehrheit für eine Amtsenthebung von Härke ausgerechnet von Schostok kam, der schließlich selbst Beteiligter in der Affäre ist. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), immerhin Amtsvorgänger seines Genossen Schostok, gibt sich bisher wortkarg in der Angelegenheit. Während der Oberbürgermeister zuversichtlich behauptet, er könne bald alle Vorwürfe entkräften, soll sein Rückhalt in der SPD schwinden. Einen vorgezogenen Wahlkampf an der Leine mag niemand mehr mit Sicherheit ausschließen.

Süddeutsche-Chef Kurt Kister schrieb einmal, in Palermo sei das Wetter besser als in Hannover. Die Unterschiede zwischen den beiden Städten scheinen sich aufs Meteorologische zu beschränken.