© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/18 / 22. Juni 2018

Den Schleppern das Handwerk legen
Libyen/Italien: Während in Nordafrika weiterhin Chaos herrscht, verstärkt Rom den Kampf gegen die illegale Migration
Alessandra Bocchi

Die guten Zeiten für die „Flüchtlingsretter“ im Mittelmeer seien endgültig vorbei, verkündete der neue italienische Innenminister Matteo Salvini (Lega Nord) am Samstag und ließ seinen Worten unmittelbar danach Taten folgen. Kurzerhand verweigerte Salvini zwei Schiffen deutscher  Nichtregierungsorganisationen (NGO) die Einfahrt in italienische Häfen. „Diese Leute sollten wissen, daß Italien nicht länger diesem illegalen Einwanderungsgeschäft Beihilfe leisten will“, verdeutlichte der 45jährige. Eine Woche zuvor hatte er bereits einem Schiff der Seenotrettungsorganisation SOS Méditerranée, der „Aquarius“, untersagt einen italienischen Hafen anzulaufen. Notgedrungen mußte das Boot mit 600 Migranten an Bord tagelang vor der italienischen Küste ausharren. 

Auf Twitter veröffentlichte Salvini den Hashtag „#chiudiamoiporti“ (Schließen wir unsere Häfen) und sorgte damit endgültig für einen politischen Eklat. Sowohl die spanische als auch die französische Regierung kritisierten die Hafenschließungen mit scharfen Worten und sprachen von „unmenschlichem Verhalten“. Es folgten tagelange diplomatische Auseinandersetzungen, bis sich die Wogen allmählich glätteten und die „Aquarius“ auf Einladung der spanischen Regierung sicher im Hafen von Valencia einlief. Salvini jedoch zeigte sich unbeirrt und machte deutlich: Die neugewählte Regierung werde weiterhin rigoros gegen die vor der libyschen Küste operierenden Schiffe der NGOs vorgehen.

Die Grenze im Süden ist weiterhin kaum gesichert 

Seit dem Sturz des Ex-Diktators Muammar al-Gaddafi und den nachfolgenden Bürgerkriegen ist Libyen weiterhin das vorrangige Transitland für Einwanderer aus dem subsaharischen Afrika. Noch immer versucht der Großteil der Migranten schnellstmöglich über das Mittelmeer nach Italien zu gelangen. Ein Problem, mit dem sich die Italiener  alleine gelassen fühlen.

Spanien hat es durch Vereinbarungen mit Marokko geschafft, die Einwanderung über das Mittelmeer einzudämmen. Frankreich schloß 2015 seine Grenze zu Italien sowie 2017 seine Häfen. Somit ist Italien bei der Auseinandersetzung mit Libyen – einem seinen Küsten gegenüber gelegenen Land, das sich noch immer im Bürgerkrieg befindet – mit weitaus größeren Herausforderungen konfrontiert. 

Derzeit agieren die NGOs weitgehend ungehindert im Mittelmeer und beharren auf dem Transport von illegalen Migranten nach Europa. Daß sie damit das internationale Recht brechen, ignorieren sie. Denn dem Gesetz nach müßten sie die auf See geretteten Afrikaner in den „nächsten und sichersten Hafen“ befördern. In Libyens Fall wäre das der Hafen von Tunis in Tunesien. Stattdessen aber nehmen die NGOs die Migranten etwa zwölf Kilometer von Libyens Küsten entfernt auf und bringen sie direkt nach Italien, hauptsächlich in den Hafen von Catania auf Sizilien. 

Doch die Migranten an der Ausreise von Libyens Küsten zu hindern wäre wohl nur eine Übergangslösung. Nach Ansicht libyscher Experten liegt die Lösung vor allem in der Kontrolle der Grenze im Süden. Obwohl die UN ein Programm zur Rückführung von Migranten in ihr Herkunftsland erarbeitete, ist die schiere Anzahl der nach Libyen einreisenden Migranten zu groß, um ein erfolgreiches Rückführungsprogramm zu etablieren.

Sollten die Grenzen nach Süden jedoch nicht gesichert werden, wird die Gefahr für Durchreisende weiterhin groß sein, auf libyschem Territorium Milizen oder kriminellen Banden zum Opfer zu fallen, die bereit sind, die Migranten nach Europa zu schmuggeln oder sie als Sklaven zu verkaufen und als billige Arbeitskräfte auszubeuten. 

Seit den Wahlen im Jahr 2014 herrschen in Libyen mehrheitlich zwei Regierungen – eine im Westen unter Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch, eine im Osten unter dem General Chalifa Haftar. Tatsächlich ist die Situation komplizierter, da eine Vielzahl von Milizen große Teile des Landes unter sich aufgeteilt haben. Sie kontrollieren nicht nur Städte, Institutionen und Geschäftszweige, sondern auch die Regierung im Westen. 

Diese besitzt selbst keine richtige Armee mehr und kann die Routen der Menschenhändler kaum überblicken. Derzeit hat die nationale Einheitsregierung gerade einmal die Kontrolle über die Gegend rund um Tripolis. Sie hält sich vor allem dank der Unterstützung, die sie von der internationalen Gemeinschaft bekommt. Auch Italien setzte bislang konsequent auf die Regierung al-Sarradschs.

So stellte Rom im August 2017 Mittel für Ausrüstung und Training einer Art Küstenwache zur Verfügung. Weil es im libyschen Westen aber keine staatliche Ordnungsmacht gibt, übernahmen zwei mächtige Milizen aus der Stadt Sawija bei Tripolis die Aufgaben. Seither fahren sie mit Hightech-Überwachung und drei ausrangierten italienischen Marineschiffen in libyschen Gewässern umher, greifen Flüchtlingsboote frühzeitig auf und leiten sie zurück auf libyschen Boden.

Der Plan zur flächendeckenden Verhinderung einer Ausreise ist jedoch größtenteils gescheitert. Auch wenn die illegale Einreise nach Italien im vorigen Jahr zurückgegangen ist, laufen Migrantenboote weiterhin von kleineren Küstenstädten wie Garabulli und Zuwara aus, wo skrupellose Milizen das Gebiet kontrollieren.

Die Koalition aus Lega Nord und 5-Sterne-Bewegung will deshalb weitere Veränderungen. „Wir hätten gerne eine stärkere italienische Präsenz in Libyen, um das Problem der Instabilität zu lösen“, erklärt der EU-Abgeordnete Marco Zanni (Lega Nord) der JUNGEN FREIHEIT. Obwohl von der neuen Regierung noch keine offizielle Strategie ausgearbeitet sei, müsse zudem sichergestellt werden, daß auch Chalifa Haftar, von der EU bislang weitgehend isoliert, mit in eine Lösung einbezogen werde.

Dieser regiert im Osten Libyens mit voller militärischer Härte, regen Menschenverkehr gibt es hier kaum. Neben der Ausarbeitung einer neuen Strategie, um Libyen zu stabilisieren, will Italien zudem einen Investitionsplan für Afrika erstellen. Migranten sollten künftig nicht mehr ihr Heimatland verlassen müssen. Auch deshalb lautete Salvinis Hauptmotto während des italienischen Wahlkampfs: „Helfen wir ihnen in ihrer Heimat.“

Gleichzeitig sei die Entwicklungspolitik internationaler Finanzorganisationen wie der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfonds bislang nicht gerade hilfreich gewesen, kritisiert Zanni gegenüber der JF. Eine neue Strategie, die sich auf vom Staat bereitgestellte Investitionen konzentriert, biete bessere Lösungsansätze. „In diesem Sinne möchten wir gerne die chinesische Methode nachahmen, aber mit anderen Intentionen. Wir möchten Afrika helfen, die Armut zu überwinden – durch den Einsatz von staatlich finanzierten Programmen und nicht durch private, wie die von der EU-Kommission aufgezwungenen Programme, so Zanni. „Denn die sind überwiegend gescheitert.“