© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/18 / 22. Juni 2018

Die Fehdehandschuhe für den Kalten Krieg
Vor siebzig Jahren spitzte sich mit den Konferenzen in London und Warschau die Situation zwischen den Siegermächten zu
Stefan Scheil

Acht Mächte waren sich sicher: „Der Westen gefährdet die Oder-Neiße-Friedensgrenze“, so hieß es im Juni 1948 in Warschau. Es war eine Kampfansage der Sowjetunion und ihrer Verbündeten gegen die neue Politik, die seit Monaten von Washington betrieben wurde.

Jeden Krieg begleitet die Frage, wer ihn denn nun „angefangen“ hat, das galt auch für den Kalten Krieg. Will man seinen Memoiren glauben, dann hatte Amerikas Präsident Harry Truman am Anfang des Jahres 1948 keine Zweifel über den einzuschlagenden Kurs und dessen Ursachen: „Aus den Verhandlungen mit intransingenten russischen Diplomaten hatte ich gelernt, daß ein dritter Weltkrieg nur auf eine einzige Weise vermieden werden konnte, nämlich indem wir aus einer Position der Stärke heraus die Führung übernahmen. Wir mußten wieder aufrüsten und auch unsere Verbündeten bewaffnen und gleichzeitig die Russen so behandeln, daß sie es nie als Schwäche auslegen konnten.“ So gesehen griffen die USA lediglich einen Fehdehandschuh auf. Und aus der Position des Mannes, der als damals und bis heute einziger Mensch je den Abwurf von Atomwaffen befohlen hat, konnten solche Entschlüsse durchaus ein Signal senden. 

Deutschland wichtig für künftige Kontrolle Europas

Die USA fühlten sich unter Druck, die Weltkriegsära schien keineswegs beendet zu sein. Einst hatte man den Konflikt mit Japan gesucht, um den eigenen Einfluß in China zu retten. Nun tobte im China der Nachkriegszeit ein Bürgerkrieg, der letztlich erst einmal zum Totalverlust der US-Positionen führen sollte. Aber auch in Europa wurde noch heiß gekämpft, zum Beispiel in Griechenland. Zudem standen die mittelosteuropäischen Staaten trotz noch vorhandener Reste demokratischer Entscheidungsfindung kurz davor, ebenfalls kommunistisch-autoritär regiert zu werden. 

So geriet einmal mehr die „deutsche Frage“ ohne eigenes Zutun in den Blickpunkt der Weltpolitik. Auch nach 1945 hatte in Europa prinzipiell derjenige die machtpolitisch besseren Karten, der auf deutsche Unterstützung bauen konnte. Wenn die USA sich also entschließen sollten, Rußland in Europa dauerhaft entgegenzutreten, mußte neben der Bewaffnung bereits vorhandener Verbündeter wohl aus ganz pragmatischen Gründen ein deutscher Staat gegründet werden. Der Natur der Sache nach konnte dieser Staat aber nur dann nützlich sein, wenn er so frei wie möglich von Einflüssen des neuen russischen Hauptgegners ausgestaltet wurde.

Solche Fragen wurden bereits vor jener Konferenz des Westens diskutiert, die im Mai und Juni 1948 in London stattfand. Sie brachte die drei westlichen Besatzungsmächte Deutschlands sowie die Benelux-Staaten an einen Tisch und ging als „Sechsmächte“-Konferenz in die Geschichte ein. Man kam, salopp gesagt, zum Ergebnis, die Westdeutschen seien zur Staatsgründung aufzufordern. 

Im Kreml reagierte man auf diese absehbare Entwicklung und gab sich seinerseits überzeugt, es hätte der kapitalistische Westen den Konflikt gesucht. Noch im gleichen Monat wurde deshalb die eingangs erwähnte Konferenz veranstaltet, die ob ihres Ortes die Bezeichnung „Warschauer“ Konferenz verpaßt bekam. Man beschwor dort die angebliche Verteidigung gegen Aggressionen und legte ebenfalls den Grundstein zu einem Militärbündnis.

An dieser russischen Argumentation mochte schon 1948 so viel richtig sein, daß man im Kreml aus ganz grundsätzlichen Erwägungen nicht die indirekte Kontrolle über Deutschland verlieren wollte, die sich aus dem Viermächtestatus nicht nur Berlins, sondern des ganzen Territoriums der späteren Berliner Republik ergab. Was die Westmächte planten, betrachtete man nicht völlig zu Unrecht als Betrug und jedenfalls als Aufkündigung der bisher gemeinsamen Sache gegen Deutschland, hinter der sich die revolutionären Ziele der UdSSR für ganz Europa so gut verbergen ließen. 

Wurde ein deutscher Weststaat gegründet, würde der UdSSR nur die eigene Besatzungszone bleiben, aus der sich schwerlich ein Konkurrenzstaat bilden ließ. Nicht einmal eine unbestrittene Hauptstadt war vorhanden, da die Westmächte im ganzen Territorium Berlins weiterhin Besatzungsrechte ausübten. Vielleicht ließ sich wenigstens dieses Problem lösen. Die Warschauer Konferenz war kaum vorbei, da blockierte die Sowjetunion sämtliche Zufahrtswege nach Berlin, um den Westen von dort zu vertreiben.

Lebensfähiger Oststaat mit Pommern und Schlesien?  

Zwar kontrollierte die Sowjetunion im Osten fast halb Deutschland, doch hatte man dessen angestammtes Territorium jenseits von Oder und Neiße zusammen mit den Westmächten in großem Umfang unter „polnische Verwaltung“ gestellt und die Bevölkerung von dort vertrieben. Dieses vom Westen nicht nur gebilligte, sondern auch befürwortete und vorangetriebene Verbrechen blieb nun am sich bildenden „Ostblock“ fast allein hängen und erschwerte die Bildung eines lebensfähigen deutschen Oststaats weiter. Vor diesem Hintergrund mußte zwar etwas um die Ecke gedacht werden, aber in der Tat gefährdete die westliche Politik im Jahr 1948 noch einmal die Oder-Neiße-Linie, wie der Vorwurf der Warschauer Konferenz lautete. Es wäre im wohlverstandenen sowjetischen Interesse gewesen, Ostdeutschland anders zu verwalten und die noch zu bildende DDR mit Territorium in Pommern und Schlesien aufzuwerten. Aber dies blieb letztlich ein vages Gedankenspiel zu Zeiten, die noch kaum als Nachkriegszeit bezeichnet werden konnten.