© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/18 / 06. Juli 2018

Duell der Verlierer
Streit in der Union I: Kanzlerin und Innenminister schließen in letzter Minute einen Kompromiß
Jörg Kürschner

Nach dem kaum mehr erwarteten Asyl-Kompromiß zwischen den Unionsparteien streitet die SPD über die Einrichtung von Transitzentren an der deutsch-österreichischen Grenze. In einer Krisensitzung am Montag hatten sich CDU und CSU auf diese Zentren geeinigt, „aus denen die Asylbewerber direkt in die zuständigen Länder zurückgewiesen werden (Zurückweisung auf Grundlage einer Fiktion der Nichteinreise)“, heißt es in der Vereinbarung. Die Zurückweisungen sollen nicht unabgestimmt erfolgen, vielmehr werden mit den betroffenen Ländern Verwaltungsabkommen angestrebt oder das Benehmen dafür hergestellt.  Wenn die Länder solche Abkommen ablehnen, sollen die Asylbewerber auf Basis einer Vereinbarung mit Österreich zurückgewiesen werden, die es aber noch nicht gibt. Das „neue Grenzregime“, von dem in dem Unions-Kompromiß die Rede ist, soll sicherstellen, „daß wir Asylbewerber, für deren Asylverfahren andere EU-Länder zuständig sind, an der Einreise hindern“. Diese Passage ist es, die die Forderung der CSU aufnimmt,  Flüchtlinge, die in anderen EU-Ländern registriert sind, an der Grenze aufgrund nationaler Beschlüsse zurückweisen zu können.

Dementsprechend sprach CSU-Chef Horst Seehofer anschließend von einer „klaren Übereinkunft, die in allen Punkten meinen Vorstellungen entspricht“. Dabei vermieden der Innenminister und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einen gemeinsamen Auftritt vor der Presse. Nach Seehofer nannte dessen Kabinettschefin die Vereinbarung einem „wirklich guten Kompromiß“. Der entscheidenden Begegnung im Konrad-Adenauer-Haus waren harte Worte Seehofers über seine Gegenspielerin vorausgegangen. „Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist. So werde ich nicht von der Bühne abtreten.“

Mit Seehofers Abgang war vielfach gerechnet worden, da er tags zuvor seinen Rücktritt als Bundesinnenminister und CSU-Vorsitzender innerhalb der nächsten drei Tage in Aussicht gestellt hatte. Der CSU-Chef ging aufs Ganze, die Koalition stand auf der Kippe, ebenso der Bestand der jahrzehntelangen Fraktionsgemeinschaft der beiden „Schwesterparteien“. In einem „Zwischenschritt“ wolle er in einem letzten Gespräch mit Merkel einen Kompromiß ausloten, ließ er sich ein Hintertürchen offen. Und so kam es zu Seehofers Wende vor der Tür der CDU-Parteizentrale. „Ich kann mein Amt weiterführen.“ Merkel nahm es zur Kenntnis. Einen Tag später sagte sie in der Sondersitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: „Ich glaube, es wäre gut, wenn wir in anderen Bereichen der Politik eine ruhige Arbeitsmethode an den Tag legen würden“. Zugleich kündigte sie einen Ausbau der Schleierfahndung im Rückraum der deutschen Grenzen an, zusätzlich zu den auf dem EU-Gipfel beschlossenen Maßnahmen.

Die SPD hadert mit der Einrichtung von Transitzentren, die sie 2015 vehement abgelehnt hatte. Diese stehen zwar geographisch auf deutschem Boden, die Asylanten sollen dort aber ähnlich wie auf deutschen Flughäfen so behandelt werden, als wären sie im juristischen Sinne gar nicht eingereist. Vor der für Dienstag abend angesetzten neuerlichen Sitzung des Koalitionsausschusses meldeten Vertreter des linken Flügels ihre Bedenken an. Die Transitzentren befänden sich in einem „rechtsfreien Raum“, gegen deren Einrichtung müsse man sich „massiv wehren“, sagte etwa Hilde Matteis, Vorsitzende des Forums Demokratische Linke 21. In Erklärungsnot bringt die SPD-Führung auch ihr am Montag beschlossenes Fünf-Punkte-Papier zur Asylpolitik. Darin heißt es, geplante Flüchtlingszentren in EU-Staaten und in Afrika dürften „keine geschlossenen Einrichtungen werden“. Doch wie Seehofer fand auch SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles ein Hintertürchen. Die von der Union geforderten Transitzentren für Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze seien „nicht derselbe Sachverhalt, nicht dieselbe Gruppe“ wie auf der Höhe des Flüchtlingszuzugs vor drei Jahren, argumentierte sie. „Deshalb lehnen wir den Begriff auch ab.“ Der frühere Justizminister Heiko Maas nannte die Transitzentren damals „Massenlager“.

Opposition dagegen – aus unterschiedlichen Gründen

Die Opposition lehnte den Unionskompromiß mit unterschiedlicher Begründung ab. AfD-Parteichef Jörg Meuthen meinte, Seehofer habe von der CDU „nur ungedeckte Schecks erhalten“. Deutschland werde sich auch in Zukunft schwer damit tun, Asylbewerber, die einmal die Grenze passiert haben, wieder außer Landes zu bringen. Auch durch die Unterbringung in grenznahen Transitzentren werde dieses grundlegende Problem nicht  gelöst. Nach Ansicht von FDP-Chef Christian Lindner ist Seehofer „in die Debatte als Groß-Zampano gestartet und als Däumling aus der Debatte herausgekommen“. Trotz des Burgfriedens werde wieder Streit aufkommen. Der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger hält die Transitzentren für „Masseninternierungslager“. Die Menschlichkeit bleibe auf der Strecke. Und die Grünen, die sich für den Fall eines Zerbrechens der Regierung schon als möglichen Koalitionspartner neben CDU und SPD gesehen hatten, kritisierten einen „Aufguß alter Ideen“. CDU und CSU hätten einen Vorschlag von 2015 rausgekramt und als Einigung verkauft, sagte Parteichef Robert Habeck. „Dabei hat die SPD Transitzonen explizit als Massenlager abgelehnt. Arme SPD.“