© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/18 / 06. Juli 2018

Kiel kennt kein Pardon
Schleswig-Hostein: Weil er ein dem politischen Mainstream widersprechendes Gutachten verfaßt hat, darf ein Rechtswissenschaftler nicht Verfassungsrichter werden
Christian Vollradt

Wieviel kritischen Geist verträgt ein Verfassungsgericht? Wenig, meint offenbar die Mehrheit der Abgeordneten im Richterwahlausschuß des schleswig-holsteinischen Landtags. Denn das Gremium hat die Nominierung des Rechtswissenschaftlers Christian Winterhoff unmittelbar vor der Abstimmung über seine Berufung im Landtag wieder zurückgezogen. Grund: seine kritische Haltung zur Sexualerziehung an Schulen. 

Winterhoff hatte im September 2016 ein Rechtsgutachten zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Erziehung zur Akzeptanz sexueller Vielfalt an Schulen veröffentlicht. Darin kam der Jurist zum Ergebnis, daß ein Unterricht mit dem Ziel, die Schüler zur – im Sinne einer als Befürwortung verstandenen – Akzeptanz jeglicher Art von Sexualverhalten zu erziehen, verfassungswidrig sei (JF 37/16). Wie die Lübecker Nachrichten berichten, haben die Jamaika-Koalitionäre CDU, Grüne und FDP sowie der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) die Rücknahme der Nominierung Winterhoffs insbesondere mit diesem Gutachten sowie mit seinem Vortrag bei einer Veranstaltung des Bündnisses „Demo für Alle“ begründet, bei dem der Rechtswissenschaftler seine Thesen dargestellt hatte. Dieses hatte der Kieler Verein „Echte Toleranz“ in Auftrag gegeben, der sich unter anderem gegen den umstrittenen und nach Protesten schließlich zurückgezogenen „Methodenschatz für Grundschulen zu Lebens- und Liebesweisen“ (JF 48/15) engagiert hatte. 

Vor allem für die Grünen ist Winterhoff, der als außerplanmäßiger Professor Öffentliches Recht an der Universität Göttingen lehrt und Partner einer renommierten Hamburger Anwaltskanzlei ist, nun „unter keinen Umständen mehr wählbar“, stellte deren Landtagsabgeordnete Rasmus An­dresen fest: Wer sich um ein so herausragendes Amt im Land bewerbe, dürfe sich nicht im Vorfeld schon „zum Sprachrohr von Menschenfeinden und Rechten“ gemacht haben. Das vor zehn Jahren eingerichtete Landesverfassungsgericht in Schleswig-Holstein besteht aus ehrenamtlichen Richtern, die in erster Linie Organstreit- oder Normenkontrollverfahren entscheiden.

Sicher ist: Die Personalie wurde an die Medien durchgestochen mit dem einzigen Ziel, Winterhoffs Ruf nachhaltig zu beschädigen. Denn laut Paragraph 26 des Schleswig-Holsteinischen Richtergesetzes sind die Mitglieder des Richterwahlausschusses und ihre Vertreter zur Verschwiegenheit verpflichtet. Auch wer von welcher Fraktion als potentieller Kandidat ausersehen und kontaktiert wird, muß geheim bleiben; erst die tatsächlich Gewählten werden bekanntgegeben. Paßt ein Bewerber – aus welchen Gründen auch immer – einer Mehrheit im Ausschuß nicht, wird er eben nicht gewählt. Aufgrund der Anonymität bleibt seine berufliche Reputation erhalten. Anders, wenn sein Name vor der Wahl bekanntgegeben wird, versehen mit dem Hinweis, der Betreffende sei unwählbar.

Der bildungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Frank Brodehl, nennt es einen Skandal, daß der renommierte Verfassungsrechtler „zunächst vorgeschlagen und dann unmittelbar vor dem Wahltermin medienwirksam mit der diffamierenden Behauptung zurückgezogen wird, er stünde zwei ‘rechten’ Vereinen nahe“. Daß CDU, Grüne und FDP angeblich erst kurzfristig erfahren hätten, was Winterhoff zum Thema schulische Sexualerziehung veröffentlicht hat, lasse sich mühelos widerlegen, da Politiker aller drei Fraktionen bereits im September 2016 mit seinem Gutachten konfrontiert worden seien. 

Für die Sprecherin des Aktionsbündnisses „Demo für Alle“, Hedwig von Beverfoerde, zeige der Fall „die skandalöse Zerstörung unseres Rechtsstaates wie in einem Brennglas: Gerade weil Winterhoff sich in hohem Maße durch persönliche Qualitäten wie Redlichkeit, Unbestechlichkeit und Verfassungstreue auszeichnet, kommt er als Verfassungsrichter für die grünen Ideologen nicht in Frage“, sagte sie der JUNGEN FREIHEIT. Der „Vielfaltslobby“ gehe es inzwischen „allein um Macht über Menschen, Meinungen und jetzt die Rechtsprechung“. Wer ihre Interessen nicht bediene, „wird knallhart zum Menschenfeind erklärt und aussortiert“, kritisiert Beverfoerde. Christian Winterhoff  indes macht, was das Gesetz in diesem vertraulichen und nichtöffentlichen Verfahren gebietet: Er schweigt.