© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/18 / 06. Juli 2018

Vom Helfer zum Opfer
Beschimpft, bespuckt, geschlagen, belästigt: Zwei Ärzte berichten der „Jungen Freiheit“ von ihrer Arbeit in Flüchtlingsheimen
Hinrich Rohbohm

Lange hatte die Ärztin geschwiegen – vielleicht zu lange. Darüber, was ihren Kollegen widerfährt, wenn sie in Asyl-unterkünften zum Einsatz gerufen werden. „Daß ich jetzt mit der Presse spreche, ist eigentlich ein No-go“, sagt Veronika Dahms (Name von der Redaktion geändert) zu Beginn des Gesprächs mit der JUNGEN FREIHEIT. Käme es heraus, könne sie ihre Approbation, ihre Zulassung für ihren Beruf verlieren.

Die Mutter zweier Kinder aus Ostdeutschland ist dennoch bereit zu reden. Zu viel sei geschehen, als daß sie weiter schweigen könne. Vor drei Jahren hatte die Zuwanderungskrise gerade begonnen. Hunderttausende Migranten kamen über die Balkanroute nach Deutschland.

Die 38jährige erinnert sich an das Chaos. Der Bedarf an Ärzten ist groß zu dieser Zeit. Die Angekommenen müssen untersucht und behandelt werden. Ärzte aus verschiedenen Krankenhäusern wurden für die Arbeit in die immer zahlreicher werdenden Erstaufnahmelager und Asylunterkünfte abgestellt. Weitere Mediziner melden sich, wie Dahms, voller Elan, Einsatzwillen und Hilfsbereitschaft freiwillig.

„Am nächsten Morgen war das halbe Haus zerlegt“

„Aber die Ernüchterung folgte für uns alle sehr schnell“, erinnert sie sich. Die Ärztin erzählt von der aggressiven Stimmung, die sie in vielen Einrichtungen erlebt hat: von Spuckattacken gegen Kollegen; von sexuellen Belästigungen; von mangelhaft abgeklärten Tuberkulosefällen und nicht vorhandenen Medikamenten. Und von Sicherheitsdiensten, die ihrer Aufgabe nicht gerecht werden.

„Es ist fast schon alltäglich, daß wir bei Einsätzen in Asylunterkünften als Feind angesehen werden.“ Mehrfach seien sie und ihre Kollegen angegriffen worden. „Von der Security war dann meist weit und breit nichts zu sehen. Die haben sich manchmal sogar selbst eingeschlossen, um sich zu schützen.“ Sie kann sich an einen Sicherheitsdienst erinnern, der sich regelmäßig nach 20 Uhr einsperrte, um auftretenden Konflikten und angestauten Aggressionen mit oder unter den Asylbewerbern zu entgehen.

„Die haben die Leute machen lassen, die hatten Schiß. Am nächsten Morgen war das halbe Haus zerlegt.“ Dahms erzählt von Albanern, die abends Alkohol ins Heim schmuggelten. Die Betrunkenen machten dann ihr „großes Geschäft“ auf den Fluren, in den Ecken waren Lachen von Urin.

Manche Ärzte hätten sich schon nach zwei Wochen von ihrer Arbeit in den Unterkünften wieder zurückgezogen. Aus Angst, aus Frust, oftmals sei es eine Mischung aus beidem gewesen.

„In Berlin waren die Ärzte für ihre Tätigkeit beispielsweise nicht einmal versichert.“ Der Senat habe schlicht übersehen, daß die bestehenden Versicherungen der Ärzte ihre Arbeit in den Asylunterkünften nicht abdecken. Korrigiert sei der Fehler bis heute nicht. „Viele haben sich dann natürlich gesagt, ohne Versicherungschutz halte ich hier nicht den Hintern hin.“

Ein zusätzlicher Frustfaktor sei der chronische Medikamentenmangel. Daß in einer hochentwickelten Industrienation wie Deutschland nicht ausreichend Medikamente zur Verfügung gestellt werden, ist für die Ärztin nicht nachvollziehbar.

Für ganz Berlin ein einziges Tuberkulose-Scangerät

„Die Betreiber der Unterkünfte sind eigentlich dazu verpflichtet, eine ausreichende Versorgung sicherzustellen.“ Möglicherweise wurden lukrative staatliche Zuschüsse abgeschöpft und an entstehenden Kosten gespart, um einen höheren Gewinn aus dem Betrieb der Asylunterkünfte zu erzielen.

„Wir hatten für 1.500 Flüchtlinge gerade einmal zehn Packungen Paracetamol mit je 20 Tabletten zur Verfügung. Und das zur Grippezeit.“ Für ganz Berlin habe zeitweise nur ein einziges Tuberkulose-Scangerät zur Verfügung gestanden.

Ein Versäumnis, das verheerende Folgen nach sich ziehen kann. „Tuberkulose kann sich sehr schnell verbreiten“, sagt Dahms. In den vergangenen Jahren ist es in Deutschland zu einem massiven Anstieg der Krankheitsfälle gekommen. „Viele Flüchtlinge kommen mit grippeähnlichen Symptomen. Meist handelt es sich dabei aber um Tuberkulose oder HIV.“

Symptome, die gerade von unerfahrenen Ärzten oftmals verkannt würden. Mit der Folge, daß Tuberkulose-Patienten aus Asylunterkünften mit anderen Patienten in einem gemeinsamen Krankenzimmer lagen. Die Krankheit ist besonders ansteckend für Alte und Immunschwache. Vor allem aus  Afghanistan, Pakistan und ehemaligen Sowjetrepubliken seien an Tuberkulose erkrankte Zuwanderer nach Deutschland gekommen. Die Fallzahlen stiegen mit der Zahl der ankommenden Migranten (JF 16/18).

Die in solchen Fällen notwendige Quarantäne war schwierig umzusetzen. „Wir können einen Flüchtling nicht wie einen Deutschen wieder nach Hause schicken. Wenn wir sicherstellen wollen, daß er wirklich isoliert ist, müssen wir ihn im Krankenhaus behalten.“

Ein kostspieliger Umstand. Nicht selten sei sogar eine Chemotherapie aufgrund einer multiresistenten Tuberkulose erforderlich. „Die kann schon über 100.000 Euro kosten“, schildert Dahms. Zusätzliche Ausgaben, für die laut Gesetz, auch wenn Krankenkassen teils die Organisation übernehmen, der Staat aufkommen muß.

„Hier sind vielleicht drei Prozent richtige Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, der Rest sind Leute, die sich hier einfach durchfressen wollen“, hatte ihr ein in der Unterkunft arbeitender syrischer Dolmetscher erzählt.

„Die dachten, benebelt wäre sie leichter zu vergewaltigen“

Das Schlimmste war für sie die Aggression, mit der ihr begegnet wurde. „Es ist fast schon normal, daß wir bei Einsätzen als Gegner angegangen werden.“ Und während sich der Sicherheitsdienst zurückhalte, seien zum Einsatz gerufene Ärzte und Helfer Angriffen von Migranten ausgesetzt.

Besonders ein Vorfall geht Veronika Dahms nicht aus dem Kopf. Migranten aus dem arabischen Raum hätten versucht, einer jungen Frau mit Hilfe eines von einem Benzinkanister stammenden Trichters Rasierwasser gewaltsam einzuflößen. „Die dachten, dadurch wird sie benebelt, und es wäre leichter, sie zu vergewaltigen. Sie bekam dadurch spastische Krämpfe.“ Zwei Ärztinnen seien zu Hilfe gekommen. „Eine mußte die Migranten zurückhalten, damit die andere das Opfer behandeln konnte. Und die Security machte sich vom Acker.“ 

Die Situation eskalierte, die beiden Medizinerinnen seien „bespuckt und befummelt“ worden. „Wir befürchteten, daß sich die Stimmung jetzt total entlädt.“ Unhaltbare Zustände, wie Dahms findet. „Gerade die Flüchtlingsfrauen haben so viel durchgemacht. Und hier in Deutschland geht es jetzt weiter, sie haben keinen Schutz.“ Dahms wirkt resigniert.

Grund für die Aggressionen seien Traumata der Geflüchteten, haben sogenannte Flüchtlingshelfer ihr dann zu verstehen gegeben. „Als ich einige der Migranten aufforderte, nicht auf den Boden zu spucken und ihnen statt dessen ein Taschentuch anbot, mußte ich mir von Refugees-welcome-Flüchtlingshelfer den Vorwurf anhören, ich hätte rechtsextremes Gedankengut.“

Sie habe den Flüchtling nicht zu belehren, sei ihr zu verstehen gegeben worden. Dabei sei ihre Aufforderung aus rein hygienischen Gründen erfolgt. „Schließlich liefen da auch viele Kinder rum. So wird doch das Beibringen von Grundregeln für das Zusammenleben unterbunden.“

Ähnliches berichtet auch Günther Frantzen (Name geändert) aus Niedersachsen. Für den Amtsarzt ist es ebenso „ein Tanz auf der Rasierklinge“, mit der Presse zu reden. Auch ihm sollen wir Anonymität zusichern.

Er erzählt von Kolleginnen, die sich bei ihm „ausgeheult“ hätten, weil sie von Migranten angegriffen, bespuckt und sexuell belästigt worden seien. „Das geht sogar so weit, daß einige ihren Dienst ganz hinschmeißen oder ins Ausland gehen, weil sie für derartige Einsätze nicht verpflichtet sein möchten.“

Für mehr als tausend Migranten hätten in Aufnahmelagern oftmals nur drei bis vier Sprechstunden zur Verfügung gestanden. „Wenn dann auch noch die Medikamente nicht ausreichten, kam schnell eine aggressive Stimmung auf, und Ärzte wurden beschimpft sowie auch körperlich angegriffen“, berichtet der Mediziner.

Aufsicht und Kontrolle der Heimbetreiber versagt

Frantzen berichtet von Durchfall-erkrankungen, die sich in den Asyl­unterkünften aufgrund mangelnder Medikamentenversorgung und der engen Quartiere ausbreiteten, sowie von zunehmenden Grippeinfektionen. „Jeder steckte jeden an.“ Mundschutz, Desinfektionsmittel und Gummihandschuhe seien nur in so geringem Maße vorhanden gewesen, daß sie nach zehn Minuten aufgebraucht waren.

„Der Betreiber eines Flüchtlingsheims ist eigentlich verpflichtet, all diese Dinge bereitzustellen. Aber die meisten kamen mit diesem Skandal durch, weil Aufsicht und Kontrolle offensichtlich versagten. Allein bei den hygienischen Zuständen hätte man zahlreiche Heime dichtmachen müssen“, erklärt der Arzt. 

Aber die Behörden waren angesichts des Ansturms von 2015 froh, wenn sie die Flüchtlinge überhaupt irgendwo unterbringen konnten. „Die Schließung einer Unterkunft hätte sie ja wieder vor neue Probleme gestellt.“ Und so bettelten Behörden um jeden Quadratmeter Wohnraum, während sich Unterkunftsbetreiber fürstlich entlohnen ließen.

Für Fahrten aus dem Krankenhaus zurück in die Asylunterkunft habe man den Flüchtlingen übrigens 50 Euro Bargeld gegeben. Fahrkarten für öffentliche Verkehrsmittel wurden nicht ausgestellt. Die Begründung: Die Flüchtlinge könnten sich verfahren.





Tätlich gegen Einsatzkräfte

Ottobrunn (Juni 2018)

Ein 20jähriger Eritreer verletzt mehrere Personen. Auf ein Alkoholverbot im Jugendhaus angesprochen, schlägt er zwei Betreuer und flüchtet. Unterwegs wirft er eine Whiskyflasche gegen das Fenster eines Rettungswagens. Die Flasche durchschlägt die Scheibe und trifft eine Notärztin. Sie erleidet ein Schädel-Hirn-Trauma, einen Kieferbruch und verliert Zähne. Der Sanitätswagenfahrer wird von Glassplittern am Auge verletzt. Der Eritreer gibt bei der Vernehmung an, er habe ein Polizeiauto angreifen wollen.

Deggendorf (April 2018)

Ein Aserbaidschaner schlägt im Transitzentrum Deggendorf mit der Faust auf einen Arzt ein, weil er mit dessen Behandlung unzufrieden ist. Zwei Tage später kehrt der Asylbewerber zurück und zückt ein Messer. Die Polizei verhindert Schlimmeres.

Saarbrücken (Juni 2017)

In einem Therapiezentrum für Flüchtlinge in Saarbrücken ersticht ein 27jähriger Syrer einen Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Der 30jährige Psychologe stirbt noch an seinem Arbeitsplatz an schweren Verletzungen.

Obrigheim (Februar 2016)

Zwei Rettungssanitäter werden von rund 30 Bewohnern einer Asyl­unterkunft körperlich angegriffen und an ihrer Arbeit gehindert. Die Helfer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), angerückt um einen kranken Asylbewerber in eine Klinik zu bringen, werden von der Gruppe bis zum Rettungswagen verfolgt und dort geschlagen. 

Parsberg (Dezember 2015)

Ein Notarzt wird in einem Flüchtlingsheim von einem Asylbewerber angegriffen, während er eine Messerstichverletzung von dessen Frau behandelt. Der Angreifer beginnt ihn zu würgen, nur mit Mühe kann der Mediziner aus der Unterkunft flüchten. (ha)